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db deutsche bauzeitung 04|2013
Trauer braucht Raum
db deutsche bauzeitung 04|2013

Zwischen Erde und Himmel

Kolumbarium in der Liebfrauenkirche in Dortmund

Ein Kolumbarium muss kein Taubenschlag sein, das zeigt Volker Staab mit seinem bronzenen Urnengräberfeld in der umgenutzten Grabeskirche Liebfrauen in Dortmund. Wer diesen Raum betritt, kann glauben, dass das Leben im Tod nicht genommen, sondern gewandelt wird.

8. April 2013 - Uta Winterhager
Die Geschichte der Dortmunder Liebfrauenkirche ist ähnlich vieler anderer Kirchen in der Region: Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, als Katholizismus und Industrie prosperierten, wurde sie im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört und von der Gemeinde ab 1947 wieder aufgebaut. Heute steht der neogotische Ziegelbau des Wiener Architekten Friedrich von Schmidt dicht umbaut und umfänglich saniert im innerstädtischen Klinikviertel. Bis 2008 war die Zahl der Gemeindemitglieder so weit zurückgegangen, dass die wenigen verbliebenen der benachbarten Propsteigemeinde angegliedert wurden. Um das Gotteshaus aber dennoch bewahren zu können, wollte der Katholische Gemeindeverband Östliches Ruhrgebiet es weiterhin gerne selber nutzen. Nicht als Kirche ohne Gemeinde, sondern als christliche Urnengrabstätte, Bestattungsort für Katholiken wie Protestanten gleichermaßen. Ein eher ungewöhnliches Unterfangen, war doch Katholiken die Kremation bis 1963 noch gänzlich verboten. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Beisetzungen (auch katholische) in deutschen Großstädten Feuerbestattungen und der Wunsch nach einem christlichen Rahmen aus Ort und Liturgie wächst stetig. Diesen mitten in der Stadt, in der Liebfrauenkirche zu schaffen ist in einer Gesellschaft, die den Gedanken an den Tod eher aus dem Alltag verbannt, ein mutiger Schritt. Da es bis heute aber nur erlaubt ist, Päpste, Bischöfe und Kardinäle in einer Kirche beizusetzen, musste der Bau vor der Umnutzung zum Kolumbarium profaniert werden.

Dass auch die Art der Gestaltung eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz der neuen Nutzung spielen würde, hat der Katholische Gemeindeverband frühzeitig erkannt und 2008 einen Wettbewerb ausgelobt. In Deutschland gab es zu dieser Zeit genau zwei vergleichbare Beispiele: die Grabeskirche St. Josef Aachen (Hahn Helten + Assoziierte, 2006) und das Kolumbarium in der Allerheiligenkirche Erfurt (Evelyn Körber, 2007). In beiden Fällen wurde die Grundidee des Kolumbariums – eine Wand wie ein Taubenschlag – in übermannshohe Stelen aufgelöst. Der Gesamteindruck der Stelen ist jeweils sehr dicht und skulptural, die schmalen Zwischenräume haben zwar eine intime Wirkung, doch die Kirchenräume verlieren an Offenheit und Weite.

Schweres Dunkel für Trauer und Gedenken

Als Ergebnis des Dortmunder Wettbewerbs wurden die beiden ersten Preisträger beauftragt. Volker Staab (Berlin) mit der Realisierung der Urnengrabstätten und die Künstler Lutzenberger + Lutzenberger (Bad Wörishofen) mit der Gestaltung der Prinzipalstücke für den Chorraum, in dem die Trauerfeiern abgehalten werden.

Staab Architekten nutzten die gesamte Fläche des Kirchenraums und verzichteten auf Höhe, sie entwarfen ein rechteckiges Gräberfeld auf dem scharfkantige Blöcke aus dunkler Bronze in rechtwinkliger Symmetrie um die acht Pfeiler der Stufenhalle mäandrieren. Das Bild ist streng und geerdet, doch da die bronzenen Einbauten nicht höher als die Rückenlehnen üblicher Kirchenbänke sind, bleibt die Weite des Raums erhalten. Die Bodennähe der Einbauten erinnert an ein Gräberfeld und nimmt der Urnenstätte so ihre Fremdheit.

Zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung sind etwa 100 Grabstätten belegt, wie die Kerzen und Blumen und die quadratischen Abdeckplatten auf den »Bronzeblöcken« zeigen. Kein Detail, keine Gliederung gibt Aufschluss über Inhalt oder Konstruktion der Einbauten und fast nahtlos werden sie eins mit den bronzenen Bodenplatten. Die Urnen sind geborgen und geschützt – für die Angehörigen ein entscheidender Aspekt. Während der Beisetzung werden die Urnen von oben in die Kammern herabgesenkt, ein Ritual, das dem Herablassen des Sargs bei der Erdbestattung sehr ähnlich ist. Verschlossen werden die Gräber mit einer gegossenen Bronzeplatte, die nach den Wünschen der Angehörigen gestaltet werden kann. Dabei sind Typografie und Schriftgröße vorgegeben, es können jedoch individuelle Bildmotive – z. B. auch ein Foto des Verstorbenen – verwendet werden. Zu jeder Grabplatte gehören wahlweise außerdem ein Opferlichthalter, ein Kerzenhalter und eine Blumenvase, die an den Rand der Grabplatte gesteckt werden können. Ursprünglich war es so – und offiziell gilt das noch immer – dass darüber hinaus keine Dekorationen auf den Grabstellen erlaubt sind. Doch keiner bringt es übers Herz, die hinterlegten Sträuße, Engelchen oder Kinderbasteleien wegzuräumen. Auch hat die Erfahrung gezeigt, dass der Wunsch, die Grabstätte mit persönlichen Dingen zu schmücken, Teil des Trauerprozesses ist und mit der Zeit nachlässt.

In die Urnengrabblöcke sind an mehreren Stellen gepolsterte Sitzbänke eingelassen, die es den Angehörigen ermöglichen, dem Verstorbenen auch physisch nah zu sein. 20 Jahre währt die Nutzungs- bzw. Ruhezeit der Urnengrabstätten, danach wird die Totenasche von einem Priester in die »Letzte Ruhestätte« überführt. Sehen kann man davon nur ein geschlitztes Kreuz in der Mitte des Gräberfeldbodens, darunter verbirgt sich ein zum Erdreich offener Aschebrunnen.

Lichte Weite für Glaube und Hoffnung

Die gegensätzliche Wirkung der Materialien, schwere, dunkle Bronze (fein geschliffen, chemisch braun gefärbt und gewachst) an den Grabstätten und helle kanadische Eiche in lockerer Schichtung für Boden, Einbauten und Mobiliar im Chorraum, verstärkt die funktionale Gliederung des Kirchenraums. Hier setzt auch die Lichtplanung (ausschließlich mit LED) vom Büro Licht Kunst Licht an; vom Eingang aus betrachtet liegt hinter dem dunklen Gräberfeld der hell erleuchtete Chorraum. Die Gewölbe der Mittel- und Seitenschiffe werden mit diffusem Licht gleichmäßig ausgeleuchtet, um die gesamte Raumhöhe wirken zu lassen. Im Urnenfeld ist es gerade so hell, dass die Flammen der Kerzen auf den Gräbern noch als Lichtpunkte leuchten. Die gekonnte Mischung von Kunst- und Tageslicht verleiht dem Raum eine warme Atmosphäre, besonders reizvoll ist es, wenn die durch die bunten Fenster einfallenden Sonnenstrahlen ein flimmerndes Lichterspiel auf dem Gräberfeld erzeugen.

Im rechten Seitenschiff befindet sich die »Grabstätte für Unbedachte«, eine bronzene Wandscheibe in deren Nischen die Asche obdach- und mittelloser Menschen beigesetzt wird. Auch ihre Grabstätten bekommen ein Namensschild, die Kosten übernimmt der Gemeindeverband Kath. Kirchengemeinden ÖR. Nicht zuletzt trägt die neue Nutzung der Kirche auch wirtschaftlich dazu bei das Gebäude zu erhalten. Die Urnengrabstätten, von denen es etwa 4 800 gibt, werden in drei Preisstufen angeboten, Wahlgrabstätten für zwei Urnen kosten 7 000 Euro, Reihengrabstätten 3 000 und ein Platz in der Gemeinschaftsgrabstätte in der Josephskapelle 1 600 (die Kosten fallen jeweils einmalig für 20 Jahre Nutzungszeit an). Damit die Grabeskirche sich rechnet, braucht man einen langen Atem, sagt die Verwaltung, doch das Interesse nicht nur an den Grabstätten, sondern an der gesamten Institution ist enorm, wie die über 100 Führungen im letzten Jahr gezeigt haben.

An einem Dienstagmorgen im Februar ist die Kirche eiskalt, doch immer wieder kommen Menschen – und bleiben. Sie bringen Blumen mit, tauschen Kerzen aus und sprechen miteinander. Oft kommt es dazu, dass sich Einsame und Trauernde hier gegenseitig Trost spenden. Denn die Grabeskirche bietet neben der Schwere des Todes auch Allegorien für das Leben und den christlichen Glauben. Es ist nicht nur das Licht, dessen Wirkung man sich kaum entziehen kann, sondern auch die stille Größe des scheinbar unberührten sakralen Raums.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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