Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 09|2013
Bauen für Kinder
db deutsche bauzeitung 09|2013

Ordnung attraktiv gemacht

Evangelische Grundschule mit Sporthalle in Karlsruhe

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

2. September 2013 - Falk Jaeger
Ein wenig abseits liegt die Karlsruher Nordweststadt schon, eine bleiern ruhige Schlafstadt, angelegt nach dem Trabantenstadtprinzip in den 60er Jahren. Bedeutende Architektur hat das Quartier nicht zu bieten, Einfamilienhäuser ohne Ende, hier und da etwas Geschosswohnungsbau, die eine oder andere Schule, ein Sportplatz. Am bemerkenswertesten noch das Wilhelmine-Lübke-Altenwohnheim, 1968 von Bertold Sack erbaut und offenkundig der Ära der Terrassenbauten von Faller und Schröder zuzurechnen. Doch dann lässt am Ende der Trierer Straße ein Ensemble aufmerken, das einen Epochensprung anzeigt. Nicht etwa durch extravagante Bauformen oder schiere Größe, sondern durch eine angesichts des Béton brut in der Nachbarschaft fast elegant zu nennende Leichtigkeit und Anmut: die neue Grundschule von wulf architekten.

Zunächst markiert ein merkwürdiger, offener Campanile den Zugang, der Glockenturm der rechter Hand benachbarten Jacobuskirche. Turm und Gemeindezentrum aus den 60er Jahren einerseits und die Evangelische Grundschule andererseits bilden einen wohlproportionierten Platz, der mit einem althergebrachten Schulhof nicht mehr viel gemein hat. Die Schule selbst versucht gar nicht erst, sich mit abweichenden Baukörperformen unter all den orthogonalen, flach gedeckten Quadern der unmittelbaren Nachbarschaft besonders zu positionieren, sondern ordnet sich städtebaulich unauffällig ein. Sie besteht aus Schulhaus und Sporthalle, zwei klaren, zweigeschossigen Baukörpern. Fragilen, leichten Volumen, deren Körperlichkeit sich bei Annäherung mehr und mehr aufzulösen scheint.

Der erstaunliche Effekt ist den geschosshohen, vertikalen Aluminiumlamellen geschuldet, die in unregelmäßigem Rhythmus zwischen die liniendünnen Deckenplatten gespannt sind und die Außenhaut der beiden Gebäude in einen farbig oszillierenden Schleier verwandeln. Zu der einen Seite sind alle Lamellen in Rot- und Pinktönen lackiert, zur anderen hin in Grüntönen. Einzelne Lamellen sind in Gelb gehalten. Die Stirnseiten zeigen Aluminium-Naturton, ebenso wie die schlanken konstruktiven Stützen übrigens. So wandelt sich das Bild im Vorbeigehen oder im Zusammenklang der beiden versetzt zueinander stehenden Baukörper. In der Bewegung entsteht ein Vexierbild.

»Fröhliche Farben«, der Topos kommt einem in den Sinn und bestimmt den ersten Eindruck. Dennoch handelt es sich nicht um eine hemmungslos bunte Schule; kräftige Farben tauchen nur noch einmal auf, bei den Gewänden der Oberlichter in der zentralen Halle des Schulhauses.

Die zweigeschossige Halle ist Erschließungsraum, Versammlungshalle, aber auch pädagogisches Element, denn die Evangelische Grundschule Karlsruhe ist eine Ganztagsschule mit Montessori-Pädagogik. Die Schule soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebens- und Erfahrungsraum in einem umfassenden Sinne sein. Demgemäß ist das Raumprogramm nicht auf Flure, Klassenzimmer und Aula beschränkt. Das »Lernhaus« (wie es in der Montessori-Pädagogik heißt) bietet ein offenes, zweigeschossiges Zentrum mit Freitreppe und Podium sowie Nutzungsbereichen vor den Klassenzimmern. Das Podium aus einzelnen Kiefernholz-Elementen lässt sich für verschiedene Nutzungen zu unterschiedlichen Ebenen und Sitzanordnungen arrangieren. Auch andere Einbauten wie die Garderoben sind aus dem lebendig gemaserten Seekiefernholz gefertigt und prägen den Charakter des Raums.

Wunderbarer Bewegungsraum

Um die zentrale, von Zenitlicht belichtete Halle herum reihen sich im EG der Andachtsraum, der am Abend auch separat vom Windfang aus zu erreichen ist, vier Klassenzimmer mit zwei Multifunktionsräumen, ein Lehrerzimmer und eine große Küche. Treppauf ein ähnliches Raumprogramm mit vier Klassen, Lehrerzimmer, Musikraum, Werkraum, Bibliothek und einer weiteren Küche.

Frontalunterricht vor einer homogenen Klasse spielt in der Montessori-Pädagogik eine untergeordnete Rolle. Häufig werden die Gruppen gewechselt, neu formiert, die Sitzanordnung geändert. Deshalb sind die quadratischen Klassenzimmer mit 80 m² ungewöhnlich geräumig und erlauben vielgestaltige Nutzungsmöglichkeiten jenseits der üblichen schematisch aufgestellten Schulbankreihen. An den Standards des öffentlichen Schulbauwesens hat man sich bei diesem von der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche Baden realisierten Projekt offenbar nicht orientieren müssen, wenngleich das knappe Budget mit 8,25 Mio. Euro zu sparsamer Bauweise zwang. Jeweils zwei Klassen ist noch ein zusätzlicher Multifunktionsraum zugeordnet, der weitere pädagogische Möglichkeiten, etwa des Lernens in kleiner Gruppe eröffnet.

Zwischen der eigentlichen Fassade und dem Lamellenstakkato liegt ein Rundgang, der im oberen Geschoss auch als zweiter Rettungsweg fungiert, aber v. a. natürlich wunderbaren Bewegungsraum für die Kinder abgibt. Den Blick beeinträchtigende Geländer gibt es nicht, nur sehr zarte Metallnetze mit äußerst minimierten Abspannvorrichtungen.

Durchgängig im Haus ist die Wertschätzung und Hinwendung zu den Schülern als Individuen zu spüren, bis hin zum Geschirr für das Schulessen, das nicht als Kantinen-Massenware eingekauft, sondern von den engagierten Eltern nach gestalterischen Gesichtspunkten sorgfältig ausgesucht wurde.

Der zweite Baukörper tritt noch luftiger vor Augen, weil die obere Etage nur aus einer Pergola zu bestehen scheint. Der Bau beinhaltet die Sporthalle, die 3 m tief eingesenkt wurde und oberirdisch normale Geschosshöhe erreicht. An der Südseite liegen im EG die Umkleideräume, im OG Rektorat und Verwaltung der Schule. Die Dachfläche der Halle wird als Pausenbereich und Spielfläche genutzt und auf zwei Seiten von der Pergola begrenzt. Sie ist mit Kunstrasen belegt, als Ballspielfläche markiert und ringsum mit einem fast unsichtbaren Edelstahlnetz umfangen, ein ungewöhnlicher, luftiger Spielraum mit vielfältigen Blickbeziehungen. Die Netze spielen bei dem Bauwerk also eine bedeutende Rolle. Sie sind innen wie außen als ephemere Raumabschlüsse und Brüstungen eingesetzt. Bei den Außentreppen werden sie sogar zu tragenden Elementen, denn die Handläufe sind mit Klemmvorrichtungen am Netz befestigt. So tragen sie wesentlich zum leichten, offenen und reizvollen Erscheinungsbild der Schule bei.

Lehrer haben leichtes Spiel

Die anregende Lernumgebung ist geeignet, im Sinn Maria Montessoris das Interesse und die spontane Aktivität bei den Kindern zu wecken. »Alles, was langweilt, entmutigt oder unterbricht, wird zu einem Hindernis, das durch keine logische Vorbereitung des Unterrichts überwunden werden kann«, ist ihr Credo. So gesehen müssen die Lehrer an dieser Schule wohl leichtes Spiel haben.

Welches Glück sie haben wird deutlich, wenn man z. B. eine der strengen, in düsteren Farben gemauerten Schulen Max Dudlers dagegenstellt. Sie mag gestalterische Qualitäten aufweisen, gut detailliert und solide gebaut sein, aber Kinder sollte man damit nicht behelligen.

Für die Evangelische Grundschule gilt: Selten wird ein pädagogisches Konzept so nonchalant und dennoch so konsequent in Architektur umgesetzt. Selten auch gelingt es in diesem Maß, eine zwanglose, freundliche, bei durchaus beibehaltener gestalterischer Disziplin dennoch räumlich ungemein vielseitige und differenzierte Lernumgebung zu schaffen. In diesem Punkt trennen wulf architekten und z. B. Peter Hübner, der ebenfalls anregende Schulen baut, Welten. Doch hier geht es nach Montessori, die dem Kind eine äußere Ordnung vorgeben möchte, damit es sich in seiner inneren Ordnung daran orientiere. »Sie muss attraktiv sein, um das Kind zu jener Aktivität aufzufordern, die es braucht, um von der äußeren Ordnung zur inneren zu gelangen.« Die Ordnung attraktiv machen, womit sicher auch ästhetisch, schön gemeint ist, das war hier die Aufgabe, die von den Architekten gemeistert wurde. Der Spruch hat gewiss einen langen Bart, aber er scheint hier am Platz: Hier würde man gerne nochmal zur Schule gehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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