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db deutsche bauzeitung 09|2013
Bauen für Kinder
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Schule mit Weitblick

Sanierung und Erweiterung Schule Balainen in Nidau bei Biel (CH)

Bereits 2006 hatten Wildrich Hien den Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Schulhauses Balainen in Nidau gewonnen. Doch erst im Mai 2013 konnte das Projekt, das insgesamt 12 Mio. CHF an Investitionskosten erforderte, fertiggestellt werden. Trotz diverser Sparrunden und Programmänderungen ist es den Architekten gelungen, die städtebaulichen und architektonischen Grundzüge ihres Entwurfs umzusetzen und zu einer überzeugenden Balance zwischen Alt und Neu zu finden.

2. September 2013 - Hubertus Adam
Im Zentrum der Kleinstadt Nidau im Kanton Bern steht ein 1908 eingeweihtes Denkmal, das an die Väter der ersten Juragewässerkorrektion erinnert: Eine Büste auf einem Postament vor dem Obelisk zeigt den radikal-liberalen Politiker und Initiator des Unternehmens, Johann Rudolf Schneider und ein Porträtmedaillon den aus dem Bündnerland stammenden Ingenieur Richard La Nicca. Zwischen 1868 und 78 wurde La Niccas Meisterwerk umgesetzt: Die Einleitung der Aare über den Hagneckkanal in den Bielersee – und die Ableitung des Seewassers über den Nidau-Büren-Kanal in das alte Bett der Aare. In Kombination mit der Verbindung der drei Schweizer Juraseen durch weitere Kanäle und der Absenkung der Seepegel befreiten die wasserbautechnischen Maßnahmen das Seeland von den periodisch wiederkehrenden Hochwassern und erschlossen weite Flächen von bisherigem Sumpfland für die Landwirtschaft.

Bestandsbau im Heimatstil

Der idyllische Nidau-Büren-Kanal trägt heute maßgeblich zur Attraktivität der Stadt bei, die nahtlos an das nördlich gelegene Biel anschließt und mit diesem auch längst verschmolzen wäre, wenn der Große Rat des Kantons Bern das Zusammenschlussbegehren beider Städte 1920 nicht abgelehnt hätte. Südlich des Zentrums von Nidau war kurz zuvor auf einem unmittelbar an den Kanal angrenzenden Grundstück 1919 das Schulhaus Balainen entstanden. In der zivilisationskritischen Diktion der Zeit wurde der Umzug der Schule aus dem Stadtkern an den Rand in einer Festschrift des Jahres 1937 als »Erlösung« dargestellt: »Dort im Städtchen Kindergeschrei, Wagengerassel, Tramgequieke, Bähnlipfiffe und der Anblick naher Häuserfronten, hier Fernsicht über den stillen Kanal hin auf Kirschbaumgärten und Buchenwald (…).«

Die Bieler Architekten Saager & Frey hatten für ihr Gebäude am Balainenweg, das auf einen Wettbewerb des Jahres 1913/14 zurückgeht, Formen eines purifizierten Heimatstils gewählt: Ein mächtiges Walmdach überdeckt das orthogonale Volumen mit seinen drei Vollgeschossen, der Treppenturm auf der Straßenseite referiert auf den Südwestturm der Stadtbefestigung. Beherbergte das Schulhaus bis in die 60er Jahre hinein alle Schülerinnen und Schüler des Orts, so sind unterdessen zwei weitere Schulgebäude entstanden. Dann stand indes auch für das erste Schulhaus des Orts, das ca. 1960 und 1975 durch Umbauten den Bedürfnissen der Zeit angepasst worden war, eine grundlegende Sanierung und Erneuerung an, welche das seinerzeit in Chur, heute in Zürich ansässige Architekturbüro Wildrich Hien 2006 in einem offenen Wettbewerb für sich entscheiden konnte.

Skulpturaler Neubau

Die jungen Architekten, für die der Wettbewerbssieg den Auslöser für die Gründung eines eigenen Büros bedeutete, hatten vorgeschlagen, die bestehende L-förmige Konfiguration aus Schulhaus und Sporthalle durch ein skulptural wirkendes Neubauvolumen im Osten – als Abschluss des Schulhofs und als Pendant zur Sporthalle – zu einem u-förmigen, sich zum Nidau-Büren-Kanal hin öffnenden Ensemble zu erweitern. Sonderräume in den oberen und unteren Stockwerken von Alt- und Neubau sollten zu den in der Mitte angeordneten Klassenzimmern treten; die neue Sporthalle war unterirdisch unter dem Pausenhof geplant, aus der Sporthalle sollte die Aula werden. Die Jury lobte das maßstäbliche Weiterbauen der bestehenden Situation, den sorgfältigen Umgang mit dem denkmalgeschützten Ensemble und das Schaffen einer überzeugenden Gesamtanlage – und auch die »hohe Flexibilität, welche für zukünftige Nutzungsverschiebungen von Belang sein könnte«.

Diese Bemerkung war durchaus prophetisch, denn den Architekten, die ab dem Bauprojekt eine Arbeitsgemeinschaft mit Frei + Saarinen aus Zürich bildeten, oblag es in den kommenden Jahren, angesichts von Sparrunden ihr Projekt zu redimensionieren und dennoch dessen Qualitäten zu bewahren, die ja schließlich auch den Ausschlag für den Wettbewerbssieg gegeben hatten. Zu den wesentlichen Änderungen zählte zum einen der Verzicht auf die unterirdische Sporthalle. Stattdessen wurde die – nicht wettkampfkonforme – bestehende Turnhalle sanft renoviert, während die Aula als multifunktionaler Mehrzwecksaal im DG des Neubaus Unterbringung fand. Zum anderen revidierte man die Raumaufteilung grundlegend: Die Klassenzimmer verblieben im Altbau, der Neubau ist allein den Sondernutzungen vorbehalten: Handarbeitsraum und Lehrküche im EG, Musik, Naturwissenschaften und Informatik im 1. OG, Bibliothek und Multifunktionsraum unter dem Dach. Die Räume werden von in der Mitte liegenden Korridoren aus erschlossen; je zwei Sonderräume teilen sich einen dazwischen liegenden Vorbereitungsraum. Schiebetüren entlang der Außenwand erlauben es, alle Räume intern miteinander zu verbinden, und schaffen so kurze und informelle Wege.

Mit diesen Ideen konnten die Architekten wichtige Akzente hinsichtlich einer flexibleren Raumanordnung setzen; in diesem Zusammenhang ist auch der große multifunktionale Veranstaltungssaal zu sehen, der gleichermaßen für Kino-, Theater- oder Konzertveranstaltungen genutzt werden kann, aber auch durch seine Panoramascheiben beeindruckende Ausblicke auf den Baubestand und den Kanal bietet. Ein zentrales Anliegen der Architekten ist darüber hinaus die großzügige Treppenhalle, die das Volumen in seiner gesamten Ausdehnung erlebbar macht. Im Innern setzen Wildrich Hien auf helle Farben – sowie Grüntöne für die Einbaumöbel und den durchgefärbten Hartbetonboden in den öffentlichen Zonen. Der Neubau entspricht dem Minergie-Standard; die Technikzentrale im UG des Altbaus ist über den Kriechkeller unterhalb des Pausenhofs mit der Erweiterung verbunden.

Vom Eingang aus führen Treppe oder Lift empor zum Pausenbereich, welcher niveaugleich an das Hauptgeschoss (Hochparterre) des Altbaus anschließt. Das bestehende Schulhaus blieb in seiner Raumstruktur weitgehend unverändert; lediglich ein Gruppenraum pro Geschoss ist anstelle früherer Toiletten getreten. Innovative Unterrichtskonzepte, wie sie in anderen Kantonen erprobt werden, waren hier kein Thema, und so dienen die Gruppenräume auch lediglich als optionale Raumreserven, die vom Lehrpersonal bei Bedarf benutzt werden können.

Sanfte Renovierung

Mit der Reinigung der Terrazzo- und Gussasphaltböden, der Freilegung des Parketts und einer partiellen Wiederherstellung der historischen Farbigkeit inklusive der Zierleisten aus Schablonenmalerei erweisen die Architekten dem Ursprungsbau ihre Reverenz.

Ein experimentelles Raumprogramm zu realisieren, war bei der Erweiterung des Schulhauses in Nidau weder gefordert noch gewünscht. Die Qualität der architektonischen Intervention besteht daher primär im sensiblen Reagieren auf den Altbau – sowie in der städtebaulichen Lösung. So wurde der bei einem früheren Umbau geschlossene Arkadendurchgang zwischen Hauptbau und Sporthalle wieder geöffnet, um eine öffentliche Wegverbindung zwischen Stadt und Kanal zu schaffen. V. a. aber überzeugt der trotz der Planänderungen in seiner Grundvolumetrie, Maßstäblichkeit und skulpturalen Gestalt bewahrte Körper des Neubaus. Er vermittelt zwischen der Einzelbebauung des benachbarten Wohnquartiers und der starken Setzung des Schulhauses. Jede Fassade ist anders ausgebildet, das beherrschende Element ist das große Walmdach, dessen Deckung die Architekten gemeinsam mit der Firma Eternit entwickelten. Auch die markante Lukarne des Dachgeschosses lässt sich als Anspielung auf die Formensprache des Baus von 1919 verstehen. Der helle Beton des Neubaus wurde farblich an die Tonalität der Putzfassade des Altbaus angeglichen; durch Sandstrahlung erhielten die Fassaden eine unprätentiöse, aber lebendige Textur, zu der die rahmenartigen Laibungen aus schalungsglattem Beton wirkungsvoll und markant in Kontrast treten. Aus Beton bestehen schließlich auch die präfabrizierten, pilzartigen Dachstrukturen, die, zu Clusterstrukturen vereint, als Wetterdach und Sonnenschutz dienen und ebenfalls ein Element darstellen, das die Architekten über die Sparrunden retten konnten.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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