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db deutsche bauzeitung 11|2016
Kleine Bauten
db deutsche bauzeitung 11|2016

Zum goldenen Würstel

Imbissstand in Wien (A)

Einen banalen Würstchenstand in ein von alteingesessenen Geschäften geprägtes Umfeld einzufügen, ist keine leichte Aufgabe. Mit viel Verständnis für die Bauaufgabe und einem Händchen für die Materialauswahl geriet die Würstelbude zum Schmuckstück – ein überaus appetitlicher Beitrag zu dieser sonst wenig beachteten, in ­ihrer Komplexität oft unterschätzten Sparte des Bauens.

5. November 2016 - Wojciech Czaja
»Einen Kasäkrainer bitte, mit a bissl an Schoafn«, sagt die Dame in Abend­garderobe. Ob sie wohl von einer Vernissage kommt – oder vielleicht nach dem ersten Akt aus der Staatsoper geflüchtet ist? »Und a Gurkerl noch dazu.« Man kann die Kundin gut verstehen, nicht nur, dass dieser Imbiss zu den besten der Innenstadt gehören soll, auch die auf dem Grill präsentierte Ware sieht mehr als appetitlich aus. Vorausgesetzt natürlich, man hat etwas übrig für die Jahrhunderte alte, in dieser Stadt von jeher besonders ausschlachtend zelebrierte Verwurstungskultur. Die Wiener und ihre Würstel. Ein Kapitel für sich.
»Ich kann echt keine Würstel mehr sehen«, sagt indes die Architektin Johanna Schuberth. »So ein kleines Projekt ist extrem komplex, bedarf vieler Bauherrenbesprechungen und v. a. unzähliger Abstimmungen mit den städtischen Magistratsabteilungen, und bei jedem einzelnen Termin wurden uns fürwahr wunderbare Würstel kredenzt. Aber jetzt reicht’s.«

Das Wurstveto ist freilich mit Vorsicht zu genießen.

Zum Portfolio des Büros, das die Architektin gemeinsam mit ihrem Bruder Gregor betreibt, zählen nicht nur geförderte Wohnungsbauten, sondern auch Einfamilienhäuser, Objektsanierungen, Gastronomiebetriebe – und eben Imbissstände. Der kleine Wurstpalast am Graben ist das mittlerweile vierte realisierte Projekt dieser Art. Weitere Anfragen sind bereits in Bearbeitung.

»Ich liebe es, mit solchen Bauaufgaben umzugehen«, sagt Schuberth. »So ein Würstelstand ist ein Bauwerk mit unendlich vielen Zwängen und de facto sehr geringen Gestaltungsmöglichkeiten. In diesem formalen, technischen, logistischen und letztlich auch gesetzlichen Korsett« – in Wien gilt ein Imbissstand als ein auf Pachtgrund errichtetes und bis auf Widerruf genehmigtes, temporäres Bauwerk – »gedeihen oft die besten, spannendsten Ideen.« Das tun sie.

Durchgeplant

Mit seiner strukturellen und materiellen Selbstverständlichkeit passt sich das nur 12 m² große und 2,80 m hohe Häuschen der historischen Umgebung an. Die Geometrie der Außenhülle scheint mit der historischen Curtain-Wall-Fassade des benachbarten Geschäfts förmlich zusammenzufließen. Und die Details und Oberflächen wirken, als seien sie der denkmalgeschützten Traditionsboutique Braun & Co. gleich nebenan entlehnt. Durch das Glasdach, das täglich gereinigt wird, blickt man hoch in die Geschichte der Wiener Baukunst.

»Die Magistratsabteilung für Stadtgestaltung (MA 19) hat gefordert, dass wir uns der Umgebung unterordnen«, erzählt Johanna Schuberth. »Über fehlende Inspirationsquellen können wir uns in dieser hochsensiblen Innenstadtlage wirklich nicht beklagen.« Fast wie eine elegante, formal neu interpretierte Dependance von Braun & Co. steht der kleine Gastronomiepavillon am Rande der Fußgängerzone. Das grünlich hinterleuchtete, massiv geschichtete Glas, das als Lockmittel aus der Spiegelgasse hinausleuchtet, verleiht ihm einen Hauch von kupfernem Glanz.

Mit geschickter Hand und dem Materialpotpourri aus Stahl, hochglänzendem Edelstahlblech, Glas, künstlichem Marmor – echter Stein hätte der aggressiven Kombination aus Hitze und Fett farblich nicht standgehalten – und bronzefarben lackiertem, ein wenig an Hammerschlag erinnernden Reliefblech ist es gelungen, eine Mischung aus Jugendstil und Eklektizismus zu erschaffen. Hie und da scheint sogar Adolf Loos aus dem Innern hervorzuwinken.

»Wir haben die Funktionen wie bei Loos’ Raumplan in der Tat dreidimen­sional geordnet – solange, bis sich alles perfekt ausgegangen ist.« Die Schwierigkeit des richtigen Arrangements liege nicht nur in der Beachtung des Lieferverkehrs und der Feuerwehrzufahrten sowie den ­damit verbundenen Breiten und maximal erlaubten Dachüberständen, sondern v. a. auch in der Komposition des Innenlebens. Dieses, meint Gül Fethi, sei gelungen. »Ich habe schon in vielen Imbissbuden gearbeitet«, sagt der Mitarbeiter, »aber diesen Würstelstand mag ich wirklich sehr. Die Arbeitsabläufe sind perfekt geplant. Und ­obwohl ich die ganze Schicht hindurch stehe, er­müde ich weniger als in anderen Buden.«

Grillplatte, Kocher und allerlei heiße Geräte stehen auf engstem Raum neben Kühlschränken, -laden und -vitrinen. Zwar handelt es sich dabei um Standardware der Großkücheneinrichter. »Aber in dieser Platzknappheit«, so Schuberth, die das gesamte Projekt in 3D abgewickelt hat, »muss man dann doch Wärmedämmelemente vorsehen und etliche Anschlüsse im Millimeterbereich umplanen.« Bei manchen Details habe man um jeden einzelnen ­Kabelquerschnitt kämpfen und dafür Platz finden müssen.

Zu sehen ist von diesem Kampf nicht das Geringste. Ganz im Gegenteil: Der Betrieb »Zum Goldenen Würstel« kommt überaus komfor­tabel und wandelbar daher. Während die Stehpulte im Winter ­beheizbar sind, lässt sich für die heißen Sommer über den Köpfen der Gäste eine Sprühnebelanlage installieren. Auf der Längsseite, auf der sich auch die beiden Verkaufs- und Übergabefenster befinden, lässt sich bei Sonne und Regen eine farbig angepasste Mar­kise ausfahren. Die oben angebrachten Feuchtraumsteckdosen sind eine vorausschauende Maßnahme für Weihnachts­beleuchtung und diverse andere temporäre Lichtinstallationen. Und die gesamte Fassade ist so konzipiert, dass sich Verteilerkasten, Wasseranschluss und Küchengeräte von mal innen, mal außen durch leicht zugängliche Revi­sionsöffnungen warten lassen.

»Die Arbeit nimmt bei so einem Projekt kein Ende«, blickt Johanna Schuberth­ auf die Planungs- und Bauphase zurück. Mehr als 1 200 Arbeitsstunden flossen in den rund 300 000 Euro teuren Imbissstand. Allein die Küchentechnik schlug mit 70 000 Euro zu Buche. »Kaum hat man die wichtigsten konstruktiven Details fertig gezeichnet, findet man sich beim Abmessen von Getränkeflaschen und Hot-Dog-Brötchen wieder und beim Entwerfen einer Display-Choreografie für die in den Vitrinen präsentierten Lebensmittel.« Dazu gehört auch die richtige Lichtplanung. Wie bei Fleischtheken im Supermarkt kommt im Wurstbereich warmes, rötliches LED-Licht zum Einsatz. Das rückt die hier brutzelnden Fettspeisen ins richtige Licht. Oberste Prämisse in der Würstelstand-Architektur: »Keine Fotos von Speisen. Das macht die beste Lichtplanung kaputt.«

Konstruktiv, lernt man am Ende der Lektion bei Bratwurst und Senf: Bei ­einem Würstelstand handelt es sich um einen reinen Stahlbau, der im Werk bis zur letzten Schraube vorgefertigt wird. Der Grund dafür, meint die Architektin, liege nicht so sehr in der Mobilität, die sich bei den heiß gehandelten Pachtgrundstücken mit gewerblicher Konzession sowieso in Grenzen hält, sondern vielmehr in den strengen Bau- und Montagevorschriften in der Wiener Innenstadt. »Das gesamte Ding wurde in einer Nacht mit ­einem Sondertransport an Ort und Stelle gebracht. Und schon in den frühen Morgenstunden war der Würstelstand angeschlossen und einsatzbereit.« Einzig für die wenigen Minuten, die das Goldene Würstel an einem Haken vom Autokran baumelte, musste der Stahlbau nicht nur auf Druck, sondern auch auf Zug berechnet und ausgeführt werden. Das machte das konstruktive Tragwerk mit seinen stützenlosen Ecken und seinem tonnenschweren Innenleben entsprechend aufwendig und teurer. »An so etwas denkt man natürlich nicht, wenn man in seinen Käsekrainer beißt«, scherzt die Architektin.

Es ist spät geworden. Der letzte Kunde ist verschwunden. Kurz vor Sperrstunde wird der 50-KW-Betrieb nach und nach heruntergefahren, mit Fettlösern gereinigt, so für den nächsten Tag vorbereitet und verschlossen. »Jetzt verrate ich ­Ihnen noch ein Geheimnis«, sagt Johanna Schuberth: »Eigentlich wollten wir den Schriftzug oben auf dem Dach aus Messingblech herstellen lassen. Aber das wäre technisch sehr schwierig gewesen. Letztlich haben wir die ­extrudierten Blechbuchstaben blattvergolden lassen. Ist das nicht großartig?« Das Projekt »Zum Goldenen Würstel« wurde in aller Konsequenz zu Ende gedacht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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