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db deutsche bauzeitung 2018|1-2
Bauen für Kinder
db deutsche bauzeitung 2018|1-2

Lustvolles Lernen

Gymnasium in Wien (A)

Das neue Gymnasium, in der Seestadt Aspern im Nordosten Wiens steht beispielhaft für die gelungene räumliche Umsetzung weiterentwickelter pädagogischer Konzepte. Die leichtfüßig anmutende und vielfältige Gestaltung von fasch&fuchs.architekten bietet die besten Voraussetzungen dafür, dass sich Schüler und Lehrer hier wohlfühlen.

2. Februar 2018 - Wojciech Czaja
»Ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Schulbaus«, hat Christian Kühn im Sommer letzten Jahres in der Tageszeitung Die Presse geschrieben.

»fasch&fuchs.architekten haben für die Seestadt Aspern ein Gymnasium entworfen, das Optimismus und Pioniergeist verströmt.« Beim Vororttermin mit der Schuldirektorin des Gymnasiums steht die gläserne Tür ihres Arbeitszimmers offen. Silvia Böck sitzt an ihrem Schreibtisch, lächelt strahlend und meint: »Es stimmt schon, was da in der Zeitung geschrieben stand. Das hier ist die schönste Schule Wiens.«

Der Bildungscampus in der Seestadt Aspern – Satellitenstadt im Nordosten Wiens und eines der großen Vorzeigeprojekte der Wiener Stadtregierung – ist das Resultat eines offenen, einstufigen Realisierungswettbewerbs, der Anfang 2013 entschieden wurde. Das ungewöhnliche pädagogische Raumkonzept, das hier umgesetzt wurde, war bereits Bestandteil der Ausschreibung und sollte die teilnehmenden Architekten dazu anspornen, einen neuen Schultypus zu entwickeln.

»Wir haben ganz schön große Augen gemacht, als wir die Ausschreibung gelesen haben. Das hat nach einem richtig großen Schritt in der Entwicklung der Schulpädagogik geklungen«, sagt Hemma Fasch. Das Wiener Architekturbüro fasch&fuchs.architekten, das sie zusammen mit ihren beiden Partnern Jakob Fuchs und Fred Hofbauer leitet, konnte sich im Wettbewerb gegen seine Mitstreiter durchsetzen. Beflügelt von der Herausforderung einer derart anspruchsvollen Aufgabe setzten die engagierten Architekten ihre Planung ohne große Abstriche um.

Albino-Rochen oder Schlossgespenst

Von außen betrachtet sieht das Schulgebäude auf den ersten Blick wie eine flache Flunder aus oder vielleicht auch wie ein nach Osten schwimmender Albino-Rochen mit zwei seitlich nach hinten abzweigenden Schwänzen – den beiden Gartentreppen, die zugleich als Fluchtwege dienen.

Während die Fassade im EG robuste Materialien wie Glas und vorgehängte Betonfertigteile prägen, sind den beiden ebenfalls großzügig verglasten OGs an der Nord-, Ost- und Südfassade zusätzlich Balkone vorgelagert, die wiederum von einer weißen, perforierten Membran verhüllt werden. Das textile Material ist leicht transluzent und lässt, je nach Sonnenstand, die dahinterliegenden Bauteile als tanzende Schatten durchschimmern ‒ während der Pausen noch ergänzt durch die Silhouetten spielender Kinder. Die Membran dient nicht nur als Beschattungsmaßnahme für die dahinterliegenden Fenster und Balkone, sondern auch als weiche, emotionale Grenze zwischen Innen- und Außenraum. Die Balkone sind so konzipiert, dass sie in der warmen Jahreszeit als Lernraum-Erweiterung dienen können. Bei Bedarf lassen sich die ausgesparten Bereiche der leichten Hülle in derselben Materialität schließen. Dann verunklärt sich das Haus im Nu zu einer Art Schlossgespenst. Keine unangenehme Geste in dieser noch im Entstehen begriffenen Satellitenstadt, in der die meisten Bauwerke mit knalligen Farben und mehr oder weniger gelungenen Fassadengestaltungen um die Gunst der Betrachter ringen.

Wohnzimmer und Loft

Sobald man das Haus an der Nordseite betreten hat, spürt man eine gelungene Mischung aus Exponiertheit und Geborgenheit. Vor einem eröffnet sich ein riesiges, dreigeschossiges Atrium, hell und lichtdurchflutet, mit freundlichen Farben und einer so großen Luftigkeit und Leichtigkeit, dass man Lust verspürt, tief durchzuatmen und neugierig um sich zu blicken. Die Verwandtschaft mit der Architektur der Hellerup-Schule in Kopenhagen, jenem Best-Practice-Projekt von Arkitema Architects, das seit seiner Errichtung 2011 als eine Art heiliger Gral des pädagogischen Bauens gilt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Das rege Treiben für das die zentrale Halle ausgelegt ist, hat sich indes noch nicht eingestellt. Da das Haus im Schuljahrestakt jeweils ausschließlich mit den Klassen der Eintrittsklassenstufe belegt wird, werden hier derzeit nur rund 50 Schüler unterrichtet. Im Herbst werden vier neue erste Klassen dazukommen und in acht Jahren schließlich wird das Schulhaus voll ausgelastet sein. Dann werden hier jeden Tag bis zu 1100 Schüler und rund 120 Lehrer ein- und ausgehen. Bis dahin soll das Gebäude auch als temporäres Ausweichquartier für all jene Wiener Schulen genutzt werden, die von größeren Umbaumaßnahmen betroffen sind.

Die lang gestreckte Halle mit Sheddach bietet auf den ersten Blick eine gute Übersicht und unterstützt so die Orientierung. Die breite Sitztreppe wird wohl so manches Mal als Tribüne für Feste und Theateraufführungen dienen. In den beiden OGs links und rechts entlang der Umgänge reihen sich Unterrichtsräume, die durch schalldämpfende Holzelemente und Glasscheiben von der Halle abgetrennt sind. Das Gebäudeinnere zeigt sich als eine Art Rohbau mit vorgefertigten Betonstützen und sichtbar belassenen, bauteilaktivierten Ortbetondecken (Heizung mit Fernwärme, Kühlung mit Grundwasser), dazwischen immer wieder eingehängte Brücken und Treppenläufe aus Stahl – eine Mischung aus Wohnzimmer und Fabrikloft. Um die Räume im EG möglichst flexibel nutzbar zu machen, haben fasch&fuchs.architekten die Stützen in diesem Bereich auf ein Minimum reduziert und den Großteil der beiden OGs als Hängewerk aus Stahl ausgeführt.

Cluster und Homebase

Die architektonische Gestaltung sei gelungen, meint die Schuldirektorin Silvia Böck. »Aber das wirklich Außergewöhnliche an diesem Haus ist das neue, hier in Teilen erstmals implementierte pädagogische Konzept der Stadt Wien.« Die Unterstufe ist – wie bereits an einigen Wiener Schulen – in sogenannte Cluster unterteilt. Jeder Cluster besteht aus vier, über Schiebetüren ‧erweiterbaren Schulklassen und einem zentralen Raum, dem sogenannten Marktplatz. Der Vorteil an diesem Konzept ist, dass die Kinder – auch unterschiedlicher Klassen – nicht nur während der Pausen, sondern bereits schon im Unterricht leichter in Kontakt treten und miteinander projektbezogen arbeiten können. Ein absolutes Novum am Haus ist jedoch die räumliche Organisation der Oberstufe: Jede Klassenstufe wird im 2. OG eine eigene »Homebase« haben. Die großen Räume werden wie ein Wohnzimmer mit Tischen, Stühlen, Regalen, Schränken, gemütlichen Sofas und etlichen Leselampen ausgestattet sein. Jede der insgesamt vier Homebases wird gleichzeitig bis zu 80 Schülern Platz bieten. Der Unterricht selbst wird in »Departments« stattfinden. Ähnlich wie an einer Universität wird jedem Fach ein eigener Lernbereich, ein eigener Studiensaal zugeordnet. Das System ist laut Architekt Jakob Fuchs nicht nur komfortabel für die Lehrkräfte, da sie dadurch »stationär« arbeiten können, sondern auch wirtschaftlich und flächeneffizient.

Licht und Farbe

Auffällig ist nicht zuletzt der Umgang mit Tageslicht und Farbe. Mitten ins Gebäude ist ein Atrium mit einem »Schulwäldchen« aus Bambus eingeschnitten. Nach Westen zum angrenzenden Park hin treppt sich der Bau ab. Aufgrund der Abgrabung des Geländes entlang dieser Gebäudeseite können auch die im UG untergebrachten Räume wie etwa Werkräume, Zeichensäle und die drei Turnhallen natürlich belichtet werden.

Die beiden Künstler Gustav Deutsch und Hanna Schimek haben den gesamten Schulbau – so unfarbig er sich nach außen auch zeigt – im Innern in ein Wechselbad der hellen und dunklen, der kalten und warmen, der gedeckten und leuchtenden Farben getaucht. Jeder Farbton steht dabei für eine bestimmte Raumfunktion im Haus – Gelb für die Treppenhäuser, Ziegelrot für die Treppen im Atrium, Türkisgrün für die Sanitärräume, Violett für den Garderobenbereich und Hellblau für den Sport. Das Farbsystem sorgt jedoch nicht nur für abwechslungsreiche Raumeindrücke, sondern erleichtert auch ganz beiläufig die Orientierung und Kommunikation im Haus.

Eine fundierte Bewertung des Gymnasiums in der Seestadt Aspern wird erst in einigen Jahren möglich sein ‒ erst wenn es voll belegt sein wird und wenn hier Hunderte Schüler die Möglichkeiten haben werden, eine neue Form des Lernens zu entdecken. Aber das Versprechen ist so groß wie schon lange nicht mehr.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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