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db deutsche bauzeitung 2018|04
Sportbauten
db deutsche bauzeitung 2018|04

Schutzraum für die Elite

Topsportschule in Antwerpen-Wilrijk (B)

Auf die vielerlei Anforderungen der sehr unterschiedlichen Funktionen einer Elite-Sportschule – zwischen Räumen der Konzentration für individuelles Training und Bereichen unbefangener Begegnung – reagiert das Gebäude mit einem ungezwungenen Spiel der Gegensätze.

6. April 2018 - Olaf Winkler
Eine seltsame Ambiguität strahlt dieses Schulgebäude aus. Trutzig-ab­geschrägt steigt ein Betonsockel aus dem Boden auf; darüber lagert ein gläsern-spiegelnder Quader – mit freundlicher Anmutung, doch der Öffentlichkeit entzogen. Gleich zwei Eingänge führen hinein, nur ähnelt jener zum Vorplatz eher dem Zugang einer Felsenhöhle. Der andere, im Alltag wichtigere, wirkt weniger streng, bedarf aber erst des Anstiegs das Gelände hinauf. Der Eintritt dort ist dann umso abrupter. Kaum ein Übergang ebnet den Weg ins Geschehen: Rechts, nur durch eine Glasscheibe getrennt, schwitzen Schüler auf Fitnessgeräten, während geradeaus der Blick durch eine Glastür bis hinein in die große Sporthalle reicht.

Ein besonderer Ort

In urbanem Umfeld müsste sich eine solche Schule mit dem Verhältnis zur Stadt auseinandersetzen, hier aber waren die Kriterien andere. Zum einen zählt das Lyzeum im Antwerpener Stadtteil Wilrijk zu den wenigen »Topsportschulen« Flanderns. Die rund 200 Jugendlichen haben sich durch ihre Leistungen als Medaillenhoffnung qualifiziert – ein Elite-Ort also. Wichtigstes Ziel war die Schaffung moderner, geschützter Trainingseinrichtungen etwa für Basketball, Badminton, Hockey, Taekwondo oder Judo; die übrigen Lehrräume nehmen den deutlich kleineren Teil ein. Zum anderen erstreckt sich rundum das von alten Backsteinbauten und Festungsresten durchsetzte Gelände des Fort VI, Teil des im 19. Jahrhundert errichteten städtischen Verteidigungsrings. Ein lockeres Ensemble war dennoch nicht möglich; angesichts des historischen Terrains definierte das Baurecht einen streng umrissenen Fußabdruck, der selbst die Flugbahnen der im Fort heimischen Fledermäuse berücksichtigt.

Der Entwurf, mit dem das Büro Compagnie-O aus Gent 2011 den offenen Wettbewerb gewann, entpuppt sich vor diesem Hintergrund als erstaunlich pragmatisch.

Die Architekten sortierten schlicht alle Sportbereiche nach unten und legten die eigentliche Schule wie einen Deckel obenauf. Die Kompaktheit schafft kürzeste Wege, die dem dichten Wechsel zwischen »geistiger« und »körperlicher« Lehre im Schulalltag entspricht. Die Konstruktion folgt der Schichtung: Während der – ähnlich dem historischen Fort teils eingegrabene – Sockel vollständig in Ortbeton gegossen wurde, spannen darüber raumhohe Stahlfachwerkträger, die das Schulgeschoss ausbilden. Auf der Westseite kragt diese »Box« gut 11 m über einen Riegel mit Nebenräumen aus. Der freie Raum darunter ist von einem dreiseitig gläsernen Quader mit Fitnesszone und Cafeteria belegt, daneben ergeben sich der obere Eingangsbereich und ein Terrassenstreifen.

Offensichtlich spielt der Baukörper mit der Bildhaftigkeit des einst militä­rischen Areals, doch eigentlich überspitzt er nur die mit den Funktionen einhergehenden Notwendigkeiten. Die Lehrräume, als klarer Ring um einen Terrassenhof mit einem expressiven Dach gruppiert, erhalten durch geschoss­hohe Fenster viel Tageslicht.

Weil beim Basketball oder Badminton jeder ­Sonnenfleck stören würde, ist die große Halle hingegen dem Außen entzogen. ­Lediglich die Kampfsporthalle jenseits des zentralen Umkleidetrakts erhielt am fernen Ende eine Art Schaufenster, das eher noch die Zurückgezogenheit betont. Das allerdings ist kein ironischer Kniff; Durchblicke spielen eine wichtige Rolle, nur verlagern sie sich eher nach innen: »Zum Elitesport gehört ­Narzissmus«, erklärt Francis Catteeuw, zusammen mit Joke Vermeulen Gründer von Compagnie-O, »das gegenseitige Beobachten ist Teil davon.« Manchmal gingen die Architekten dabei sogar zu weit – die Glaswand zwischen ­Fitnessbereich und Cafeteria versah die Schulleitung nachträglich mit einem Vorhang. Dennoch war die Haltung der Architekten in Wahrheit weniger ­radikal und wirkt das Gebäude im Innern nun in erster Linie einladend. Das Schulgeschoss strahlt im offenen Empfangsbereich, in den Klassenräumen und Lernsälen helle Zugänglichkeit aus. Semitransparente Scheiben zwischen Empfang und Dachhof lassen dort eher Freiraum als Konfrontation ent­stehen. Der Balkon der großen Halle, oberhalb einer ausfahrbaren Tribüne, ist für alle Schüler zugänglich – und ebenso für Besucher, die etwa zu Wettkämpfen willkommen sind und dann auch dem Eingang am Vorplatz nachdrück­licher zu seinem Recht verhelfen.

Pragmatischer Gestaltungswille

Tatsächlich tragen gerade die Details und Oberflächen zur offenen Atmosphäre bei. Die Balance zweier Herangehensweisen wiederholt sich dabei. So ist die Architektur auch beim Nähertreten v. a. robust. Klare Geometrien, Sichtbetonwände, offenliegende Rohre wirken »brut«. Überlagert aber werden sie von einer breiten, z. T. überraschenden Farbpalette. Im Schulgeschoss kam neben weißem Putz und Möbeln ein Bodenbelag aus Gummi in tetris­artig gefügten Crème- und Grüntönen zum Einsatz. Hinzu tritt Gelb in den Sanitärräumen, kontrastierendes Gelb und Schwarz an den einfachen Stahlplatten der Treppengeländer. Die Umkleiden, vollständig mit einer Poly­urea-Beschichtung versehen, sind in monochromes Pink getaucht. Während im Gang davor grün glasierte, geschuppt montierte Ziegel eine der Wände ­bedecken und – im Prinzip funktionslos – diesem gestreckten Raum eine besondere Wertigkeit verleihen.

Der klare Gestaltungswillen lässt vergessen, dass einzelne der Entscheidungen kaum losgelöst von praktisch-technischen Fragen zu denken waren – mit Rücksicht ­darauf oder trotz derselben. Dazu zählt nicht nur das elegante Schwarz der Deckenuntersicht in der großen Halle, das üblichem Licht- und Raumempfinden eher zuwiderläuft. Betroffen ist auch die Akustik. In Ballsporthallen verlangt sie ohnehin eine gewisse Toleranz, dennoch: Angesichts des Sichtbetons dort, gemildert nur durch einige Prallschutzmatten, wird derzeit noch über zusätzliche Textilflächen nachgedacht. In der Kampfsporthalle reduziert hingegen der Mattenboden den Hall, zudem wurde ein Teil der Wände akustisch vorteilhafter in Holz mit integrierten Bänken ausgebildet. Im Schulgeschoss helfen derweil frei verteilte, abgehängte Schallschutzquader, die weiterhin den Blick auf die rohe Decke zulassen.

Auch Energiefragen bestimmten die Konstruktion maßgeblich mit. So mussten die Decken unverkleidet bleiben, da das Haus bei der Nachtkühlung die konstruktiven Speichermassen nutzt. Hinzu kommt eine ganze Anzahl von Maßnahmen, die dem Gebäude Passivhausstandard sichern – trotz eines ­Entwurfs, der nicht die übliche Abschottung nach Norden und punktuelle Öffnung zur Sonne befolgt. Um den geforderten Energiebedarf von unter 15 kWh/(a m²) zu erreichen, lag das Augenmerk auf Wärmebrückenfreiheit und hoher Luftdichtheit, kombiniert mit 18 cm dicker PIR-Dämmung an Dach und Wänden, Dreifachverglasung, Wärmerückgewinnung aus Lüftung und Duschwasser sowie energiesparender LED-Beleuchtung. Auf dem Terrassendach sind Sonnenpaneele montiert; außerdem wird Regen zur Brauchwassergewinnung genutzt.

Der energetische Aspekt, sagt Catteeuw, war eine der größten Herausfor­derungen. Eine weitere war organisatorischer Art: Sie lag im Bedürfnis der ­diversen Sportverbände, beim Neubau für ihren besten Nachwuchs mitzusprechen. Dabei bewährte sich, dass die Stadt Antwerpen als Bauherr auftrat, vertreten durch den eigenständigen städtischen Betrieb AG Vespa, der bei Bauprojekten federführend ist.

Dort bündelten sich die Wünsche aller Beteiligten – von den Architekten, so Catteeuw, wäre diese Koordination kaum zu leisten gewesen. Sportfelder im Freien waren davon nicht unmittelbar betroffen, weil Tennis- und Fußballplätze im weitläufigen Fort, wo auch Teile der Universität Antwerpen zu den Nachbarn zählen, bereits vorhanden sind und weitere Einrichtungen in erreichbarer Nähe liegen.

Umso mehr bleibt der Neubau ein Solitär, und fügt sich dennoch ein. Zwischen den teils überwucherten Altbauten ließen die Architekten den Sockel bewusst porös betonieren, um Moosbewuchs zu fördern. Langsam färbt er sich grün. Auch wegen solcher Kleinigkeiten wirkt das Gebäude zwar verschlossen, aber nicht feindselig. In einem Gelände, das Spaziergängern offen steht, definiert es einen Ort des Rückzugs, der Konzentration auf den Sport.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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