Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2018|10
Keramik
db deutsche bauzeitung 2018|10

Der Eisberg von Poing

Kirchenzentrum Seliger Pater Rupert Mayer in Poing

Ein vielflächiger Körper, auch auf den Dachflächen mit schillernd weißer, dreidimensionaler Keramik bekleidet ist, ist das neue, verspielt-strenge Wahrzeichen der Oberbayrischen Gemeinde Poing bei München. Licht, vielfach gebrochen und reflektiert oder milde diffundiert, ist das zentrale Thema des gelungenen Kirchenneubaus, den Andreas Meck und sein Partner Axel Frühauf entworfen haben.

8. Oktober 2018 - Ira Mazzoni
Die neue Ortsmitte von Poing – wenige Kilometer vor der östlichen Stadtgrenze von München gelegen – ist an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. ­Alles scheint hier billig: Der dreigeschossige Wohnungsbau, der Supermarkt, der Schnell-Imbiss an der Ecke, das Einkaufscenter am S-Bahnhof. Alles ist beliebig, austauschbar und multiplizierbar.

Typisch Randstadt eben. Planerische Liebe ist bisher nur in den Bergfeldpark geflossen, der alle neuen Baugebiete verbindend, fast bis zur zentralen Durchgangsstraße vorstößt. Fast – denn am südlichen Ufer des Parksees erhebt sich seit Neuestem ein im Sonnenlicht glitzernder, gleißend weißer Eisberg über erdigem Steinsockel: Die neue katholische Pfarrkirche Seliger Pater Rupert Mayer tritt mit ihrem mächtigen, kristallinen Keramik-Überbau in die Ortsmitte, die ohne sie keine wäre, da ihr jeder architektonische Anspruch und damit auch jede Identität fehlte. Es spricht für das Selbst- und Sendungsbewusstsein der Erzdiözese München Freising, dass sie sich beim Neubau für die rasant wachsende ­Gemeinde mit nichts weniger als mit dem Bild einer funkelnden, je nach ­Sonnenstand in die verschiedenen Richtungen blitzenden Stadtkrone in unbeflecktem und unbefleckbarem Weiß zufrieden gab.

Das Münchner Büro Meck Architekten ist vertraut mit den Traditionen des Sakralbaus, insbesondere mit den unterschiedlichen Materialisierungen von Transzendenz im barocken Kirchenbau. Dessen lichtmodulierende, stuckierte Gewölbeschalen inspirierten die Architekten zu dieser zeitgenössischen Interpretation: Himmelstrebend sollte der Bau sein, ein Raum aus Licht war die Vision, ein Raum dem das Kreuz fast unmerklich, aber alles tragend eingeschrieben ist.

Und tatsächlich ruht die ganze polygonale Dachkonstruktion auf kreuzförmig über den quadratischen Unterbau gelegten Stahlträgern. Sie bilden die gemeinsame Unterkante der drei unterschiedlich hoch aufsteigenden Lichträume. Das vierte Raumsegment ist relativ flach gehalten und dem Eingangsbereich zugeordnet. Mit der Ausbildung dreier lichtzustrebender Hochräume nehmen die Architekten Bezug auf die dem christlichen Glauben wesentliche Dreifaltigkeit Gottes. Dabei lenkt die große Dachschräge des höchsten Raums das durch einen weißen Screen diffundierte Zenitlicht aus 30 m Höhe auf den Altar. Das Taufbecken ist nicht nur nahe dem großen Fenster platziert, das den Blick auf den Parksee freigibt, sondern der liturgisch wichtige Ort erhält zusätzlich diffuses Seitenlicht von Osten. Genauso lenkt die oberhalb der Orgelempore ansetzende Dachschräge hohes, durch einen inneren, schräggestellten Screen weich gestreutes, südliches Seitenlicht zur Mitte des Kirchenraums. Der kristalline Kalkputz der hohen Wände und der in Trockenbau ausgeführten inneren Raumschale unterstützt die Lichtstreuung und Lichtführung des kunstvoll gefalteten Kirchenhimmels.

Aus der Geometrie des Lichtraums haben Meck und Frühauf dann die Plastik für das keramische Kleid des Gebäudes entwickelt: eine keramische, dreidimensionale Fliese von 38,7 cm Kantenlänge und einer Höhenentwicklung von bis zu 13 cm. Durch ein ausgeklügeltes Verlegemuster, bei dem die Fliesen unterschiedlich zueinander gedreht werden, sollte ein Maximum an Lichtreflektion und Streuung erreicht werden. Auch galt es jede Assoziation mit profanen 70er Jahre Kaufhaus-Vorhangfassaden zu vermeiden.

Es gestaltete sich gar nicht so einfach, einen Hersteller zu finden, der den Ansprüchen an die komplizierte Form und an eine lebendig-weiße Oberflächenglasur gerecht werden konnte. Immerhin musste der Hersteller in der Lage sein, 15 000 Elemente zur Bekleidung von 1 200 m² Wandfläche und 1 400 m² Dachfläche in einem weitgehend handwerklichen Prozess zu fertigen. Die europaweite Ausschreibung konnte die spezialisierte M&R Manufaktur aus dem Kannebäckerland für sich entscheiden. Die in Schlickerguss in eigens entwickelten Gipsmodeln hergestellten, glatt gebrannten, rund 4 kg schweren Steinzeug-Plastiken wurden mit Fugenabstand unsichtbar mit der Unterkonstruktion aus Stahl verklammert. An den Traufen und Kanten des Bauwerks wurden z. T. an der Oberfläche flache Keramikformteile eingesetzt, für die Dachschrägen mussten individuelle Passstücke gefertigt werden. Diese Kantenausbildung sorgt nochmals für eine besondere Lichtbrechung und Überstrahlung an den Gebäudekanten, wenn das Sonnenlicht darauf fällt.

Die technische Durchbildung der Unterkonstruktion und der Aufhängung wurde von Meck Architekten in Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren von Haushofer und dem Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat entwickelt. Dabei musste beachtet werden, dass die gegossenen Formteile in der Wanddicke und im Volumen leicht variieren. Statisch ist das Fassadenkleid aufgrund seines Gewichts eine Herausforderung. Um Bewegungen aufnehmen zu können, ist das ganze Konstrukt »weich«. Die wasserableitende Schicht von Dach und Wand befindet sich hinter bzw. unter der Stahlunterkonstruktion. Dass der irisierende Keramik-Schild der Kirche seine Strahlkraft trotz Wind und Wetter behält, davon ist Andreas Meck überzeugt: Das mit Keramikplatten bekleidete ehemalige Postsparkassenamt von Otto Wagner in Wien habe ja auch 100 Jahre glänzend überstanden.

14,6 Mio. Euro hat der Poinger Kirchenbau gekostet. Auf den Bau eines neuen Pfarrhauses, das dem Platz vor dem Sakralbau eine Fassung gegeben hätte, verzichtete die Kirche schließlich genauso wie auf den für den Platz vorgesehenen Naturstein, jenen für die oberbayerische Schotterebene typischen Nagelfluh, mit dem auch die Außen- und Innenwände des irdischen Teils des Kirchenraums bekleidet wurden. Und so fehlt gerade dem Platz vor der Kirche leider jene Liebe zum sorgfältig gestalteten Raum, die das ganze fernwirksame Projekt trägt. Die Asphaltierung des Platzes entspricht der Beliebigkeit des vorstädtischen Umfelds, aber nicht dem hehren Anspruch des Kirchenbaus eine Mitte zu bilden und Menschen weg von der Straße ins Innere des beeindruckenden Lichtraums zu ziehen. Die größte Wirkung entfaltet der kristalline Solitär ohnehin, wenn man sich ihm von der Parkseite aus nähert. Dort spiegelt sich der Lichtkörper im schilfumstandenen See – eine echte ­Erscheinung.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: