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Vorhof zum Himmel

Kirchenzentrum Petrus Jakobus in Karlsruhe

In einer Stadtrandsiedlung hat die evangelische Gemeinde einen einprägsamen Ort der Begegnung geschaffen. Um einen zentralen Hof gruppieren sich eine Kirche mit wunderbarer Lichtwirkung und ein Café, das dazu beiträgt, das ruhige Viertel zu beleben. Für den neuen Stadtbaustein fand Peter Krebs genau das richtige Maß zwischen Einpassen und Zeichensetzen.

3. Dezember 2018 - Christian Schönwetter
Es wirkt wie eine gebaute Trotzreaktion: Obwohl Deutschlands Kirchen seit Jahren sinkende Mitgliederzahlen vermelden müssen, leisten sie sich immer wieder ambitionierte neue Gotteshäuser. Was auf den ersten Blick unvernünftig erscheinen mag, entspringt jedoch häufig einer nüchternen Logik des Sparens. So auch in der Karlsruher Nordweststadt, einer sehr ruhigen, sehr grünen, sehr aufgelockerten Nachkriegssiedlung, in der anno 2010 zwei schrumpfende evangelische Gemeinden zusammengelegt wurden: Petrus und Jakobus. Ihre beiden Kirchen waren in die Jahre gekommen und hätten eine aufwendige Sanierung erfordert. Weil sie zudem heutigen Vorstellungen eines zeitgemäßen Gottesdienstes nicht mehr entsprachen, wurden beide abgebrochen und das eine Grundstück verkauft, um auf dem anderen ein modernes Kirchenzentrum finanzieren zu können. Der Neubau ist nun exakt auf den Bedarf der fusionierten Gemeinde zugeschnitten: ein einladender Ort mit niederschwelligen Angeboten an das Quartier – und mit einem Kirchenraum, der genau jenen sakralen Charakter zeigt, der vielen protestantischen Räumen der Nachkriegszeit fehlt. Entworfen hat ihn der Karlsruher Architekt Peter Krebs.

Geschickt nutzt das Kirchenzentrum die Vorteile seines Standorts. Es liegt am Walter-Rathenau-Platz, der so etwas wie die Mitte des Wohnviertels darstellt: Zweimal pro Woche findet hier ein kleiner Markt statt. Die Petrus-Jakobus-Gemeinde betreibt daher ein Café, das allen Interessierten offensteht. So wird das Kirchenzentrum stärker belebt, umgekehrt bietet es aber auch einen attraktiven Treffpunkt für das Quartier und sorgt für ein bisschen Leben auf dem Platz, wenn kein Markt stattfindet.

Kirche und Gemeindehaus mit Café bilden eine bauliche Einheit, eine langgestreckte Raumspange, die dem Platz eine klare Kante nach Süden gibt. Dachflächen, die mehrfach abknicken und die Neigung wechseln, verleihen dem Gebäudeensemble eine markante Silhouette und erzeugen exakt das Maß an formaler Eigenständigkeit, das nötig ist, um das Kirchenzentrum als Sonderbaustein im städtischen Gefüge zu kennzeichnen. Die Fassaden aus geschlämmtem Sichtmauerwerk halten das Ganze gestalterisch zusammen. Natürlich sind sie nur vorgeblendet, doch der übliche Eindruck einer steinernen Tapete stellt sich hier nicht ein. Schwere Stürze über Fenstern und Türen machen das Prinzip von Tragen und Lasten anschaulich und geben – gepaart mit großen Laibungstiefen – den Wänden einen Ausdruck von Massivität, Ruhe und Beständigkeit. Ein sympathisch handwerkliches Erscheinungsbild wiederum erhält die Gebäudehülle durch die weiße Schlämme, welche die Ziegel mal stärker, mal weniger stark durchscheinen lässt. Gleichzeitig korrespondiert sie mit den verputzten Wohnbauten der Umgebung.

Gestaffelte Raumschichten

Vom Platz aus tritt man durch eine Pfeilerreihe zunächst in einen Vorhof, der Kirche und Gemeindehaus verbindet. An seiner Rückseite gibt er gleich wieder den Durchgang zur angrenzenden Wohnbebauung frei. Diese Möglichkeit der Durchwegung trägt wesentlich dazu bei, das Zentrum Petrus Jakobus mit dem Quartier zu verzahnen. Im Sommer bietet der Hof einen angenehmen Rahmen für Gemeindefeste. Sowohl der Kirchenraum als auch der Gemeindesaal lassen sich mit breiten Glastoren öffnen, sodass bei Bedarf eine durchgehende Fläche entsteht.

Hier kommt der gut durchdachte Grundriss zum Tragen, der sehr stringent in drei Raumschichten zoniert ist. Zum Platz hin bilden die Hauptnutzflächen ein zusammenhängendes Band aus Kirchenraum, Hof und Gemeindesaal. Es folgt eine Erschließungszone als durchlaufende Achse: Sie beginnt im Gemeindehaus als Flur, setzt sich im Hof unter einem eleganten, papierdünnen Vordach fort, das es erlaubt, trockenen Fußes hinüber zur Kirche zu gelangen, und mündet dort in einen inneren Weg, der schnurgerade bis zum Tauf­becken am Ende des Raums führt. Im Süden schließlich liegt die dritte Zone. Sie besteht aus untergeordneten Räumen – im Gemeinde­zentrum Küche, Haustechnik und Treppe, in der Kirche Sakristei und ein Andachtsraum – aufgelockert von kleinen Gartenhöfen, die mit buschartigen Ahornbäumen bepflanzt sind. Aus Kirche und Andachtsraum fällt der Blick in diese Patios, die einen Puffer zum direkt angrenzenden öffentlichen Weg und zur Wohnbebauung im Süden bilden. Da die Hofmauern bis zur Dachkante reichen und die Patios dadurch als Teil des umbauten Volumens erscheinen, wirkt das Kirchenzentrum größer als es tatsächlich ist und kann sich besser gegen die achtgeschossigen Wohnblocks in der Umgebung behaupten.

Natürlicher Materialkanon im Sakralraum

Über ein schweres Portal aus Eiche betritt man den Kirchenraum, ganz klassisch von Westen. Das Dach steigt allmählich an, um über dem Altar an der Ostseite in einen hohen Lichtraum zu münden, der diesen Bereich betont und effektvoll ausleuchtet. Sonne fällt hier – passend zum Hauptgottesdienst am Sonntagvormittag – durch Fenster in der Ost- und in der Südwand. Was ­sofort auffällt, ist die angenehme Akustik. An der Decke sorgen zarte Leisten aus Birken-Multiplex dafür, dass Töne kurz im Raum nachklingen, ohne sich in der endlosen Halligkeit zu verlieren, wie man sie etwa von gotischen Domen kennt.

Die glatt verputzten Wände tragen einen gebrochen weißen Anstrich aus antistatischer Silikatfarbe, die verhindert, dass sich Rußpartikel der Kerzen dort ablagern und mit den Jahren einen Grauschleier bilden. Am Boden liegen Platten aus hellem, grob geschliffenem Juramarmor. Als sakraler Brennpunkt setzt sich der Altarbereich mit zwei Treppenstufen vom restlichen Raum ab. Weil die Architekten auch die Prinzipalstücke entwerfen durften, wirkt alles wie aus einem Guss: Altar, Kanzel und Taufbecken bestehen aus dem gleichen Stein wie der Boden und ruhen als schwere Blöcke auf weiß gekalkten Eichengittern.

Dass die Orgel von einer der beiden Vorgängerkirchen übernommen wurde, ist ihr ihr nicht anzusehen, mit ihrer neuen weißen Lackierung passt sie sich unauffällig der Architektur an. Auch Teile der alten Kirchenfenster wurden wiederverwendet. In die Nordwand zum Platz sind zwölf kleine quadratische, rote Glasscheiben eingelassen, die aus der ehemaligen Petruskirche stammen, während sich an der Westwand über der Chorempore ein groß­flächiges, blau-gelbes Fenster aus der früheren Jakobuskirche findet. So lebt die Erinnerung an die aufgegebenen, vertrauten Gotteshäuser der beiden ­Gemeinden weiter und die Fusion schlägt sich symbolisch im Kirchenraum nieder. Wer nicht um diese Vorgeschichte weiß, wird kaum erraten, dass es sich bei den Fenstern um Spolien handelt. Sie fügen sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit in den neuen Kirchenraum ein, als seien sie speziell für ihn geschaffen worden. Hut ab vor dieser gestalterischen Integrationsleistung!

Was hingegen den harmonischen Gesamteindruck stört, ist die Bestuhlung, die mit chromglänzenden Beinen und blauen Polstern dem Seminarraum eines Kongresshotels entstammen könnte. Der Architekt seufzt. Die Stühle waren erst kurz vor Planungsbeginn angeschafft worden, sodass die Gemeinde jetzt nicht in neue Kirchenbänke investieren wollte. Bleibt die Hoffnung, dass sie dies in ein paar Jahren nachholt.

Im Gemeindehaus auf der anderen Seite des Hofs wirken die Räume weniger sakral. Das Stäbchenparkett im großen Gemeindesaal, der sich bei Bedarf auch teilen lässt, verbreitet eine beinahe wohnliche Atmosphäre. Die eingestellte schwarze Miniküche wird für den Cafébetrieb genutzt. Stauraum für Geschirr und Ähnliches ist in Form von Einbaumöbeln in die Westwand integriert, sodass hier besonders tiefe Fensternischen entstehen, die das Bild solider Massivität der Fassaden verstärken.

Über den Hof gelangt der Besucher wieder hinaus auf den Walter-Rathenau-Platz. Lässt man nach dem Rundgang das Gesehene noch einmal Revue passieren, bleibt v. a. ein Eindruck großer Stimmigkeit im Gedächtnis haften. Nichts wirkt aufgesetzt oder manieriert, alles fügt sich mit großer Selbstverständlichkeit zueinander. Meisterhaft hält das Zentrum die Balance zwischen geschlossenem Erscheinungsbild und räumlicher Durchlässigkeit, zwischen strengem Grundriss und frei komponiertem Aufriss, zwischen Anpassen an die Wohnhäuser der Umgebung und Herausstechen als Gemeinschaftsbau. In seiner Ausgewogenheit lässt es einen ausgesprochen harmonischen Ort entstehen. Was will man mehr von einer Kirche?

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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