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Wohldosierte Öffnungen

Wohnhausumbau in Windisch (CH)

Ein solide errichtetes Wohnhaus der 30er Jahre mit zwei abgeschlossenen Wohnungen zu einem großzügigen Raumgefüge für eine vierköpfige Familie zu wandeln, ist keine spektakuläre Bauaufgabe, sollte man meinen. Umso beeindruckender zeigt sich der Umbau in Windisch von Wülser Bechtel Architekten, der die vorgefundenen Qualitäten trotz geänderter funktionaler Anforderungen nicht nur bewahrt, sondern unter Einsatz recht radikaler Mittel sogar noch steigert.

3. Dezember 2018 - Martin Höchst
Die Klosterzelgstraße in Windisch – eine Gemeinde mit knapp 7 000 Einwohnern im Kanton Aargau – zeigt sich als durchgrünte Sammelstraße eines Wohngebiets mit gepflegten Vorgärten und ebensolchen Ein- bis Zweifamilienhäusern aus den 20er bis 60er Jahren. An der Straße findet sich auch das 1964-68 entstandene geradlinige Gebäudeensemble der Höheren Technischen Lehranstalt von Bruno und Fritz Haller. Mittlerweile fungiert das prominente Bauzeugnis als Teil des Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz am Standort Windisch.

Beiläufig eigenständig

Der gläsernen Architektur mit großem Namen gegenüberliegend, fällt am Haus mit der Nummer 13 im Vorbeigehen nichts Ungewöhnliches auf. Der radikale Umbau des vormaligen Zweifamilienhauses zu einem äußerst großzügigen Raumgefüge für eine vierköpfige Familie ist von außen nur zu erahnen. Bei genauem Hinsehen gibt es an Dach und Putzfassaden Anzeichen dafür, dass sich gegenüber dem weitestgehend erhaltenen Originalzustand des 30er-Jahre-Hauses etwas verändert hat. Das dicker als zuvor gedämmte Dach wurde mit der immer noch produzierten Sorte der schon zur Zeit der Fertigstellung eingesetzten Biberschwänze neu gedeckt. Die Erhöhung des Dachaufbaus ein wenig zu verunklären, gelingt durch eine zusätzliche farbliche Gliederung der Trauf- und Ortgangbretter. Je eine relativ große kupferbekleidete Dachgaube auf beiden Seiten des Satteldachs besetzt einen Teil der zuvor weitgehend ungestörten Dachflächen. Leicht zum First hin gekippt und – mittlerweile nachgedunkelt – im Farbton des Ziegeldachs wirken die beiden Körper trotz ihrer Dimension geradezu unauffällig. Besonders die Gaube zur Straße, vermeintlich fensterlos, wirkt abstrakt und gibt dem aufmerk­samen Passanten ein Rätsel mit auf den Weg.

Ebenso eigenständig wie die Gestaltung der Dachaufbauten fällt auch der Umgang mit der nahezu komplett originalen Reibeputz-Fassade aus. Nach nur kleinen Ausbesserungsarbeiten am Putz wurde die Fassade zunächst im blassen Kupferton der neu lackierten Fensterläden gestrichen. Ein zweiter »oberflächlicher« Anstrich, bei dem die Vertiefungen des Putzes ausgespart blieben, erfolgte in einem dazu komplementären grüngrauen Farbton, der sich wiederum aus dem Farbton der erhaltenen Fenstereinfassungen aus Werkstein ableitet. Durch die so realisierte Zweifarbigkeit des Anstrichs soll nach der Vorstellung der Architekten die Tiefenwirkung des Putzes gesteigert werden, ein Effekt, der sich im Ergebnis wohltuend subtil zeigt. Eher unmerklich treten auch einige veränderte Fensteröffnungen in Erscheinung: Bei vergrößerten bzw. verkleinerten Fenstern kamen statt der ansonsten aus­getauschten weißen Holzfenster fassadenbündige Festverglasungen mit Aluminium-Abdeckleisten zum Einsatz. (Teil-)Schließungen von Fenstern erhielten eine Ausfachung aus Sichtmauerwerk in Fassadenfarbe. Insbesondere das Bild eines deutlich ablesbar zugemauerten Fensters verstört zwar zunächst ein wenig, doch dank der dabei erhaltenen sichtbaren Fenster­umrandungen bleibt die ursprüngliche Fassadengliederung nach wie vor weitgehend wirksam.

Werterhaltend

Ein entscheidender Grund für den Erwerb des Hauses, bei dem Architekt Nicolaj Bechtel den Hausherrn bereits beratend zur Seite stand, war die ungewöhnlich gut erhaltene Originalsubstanz des Gebäudes – äußerlich wie auch im Innern: Parkett und Bodenfliesen hoher Qualität, eine gut erhaltene Holztreppe und eine Heizung, die noch ein paar Jahre hält. Darüber hinaus bot das Innere viel Tageslicht und sehr viel Platz – allerdings verteilt auf zwei ­abgeschlossene Drei-Zimmer-Wohnungen und ein zur Hälfte ausgebautes DG. Es galt also auf der einen Seite, den vorhandenen hohen Wert des Hauses (monetär wie ästhetisch) zu erhalten und weiter zu nutzen und auf der anderen, dem Wunsch der Bauherren nach möglichst offenem Wohnen zu entsprechen. Daraus folgte das radikale Gestaltungskonzept der Architekten des maximalen Erhalts des Vorhanden und der Lesbarkeit aller Veränderungen.

Konsequenter konnte die gewünschte offene Verbindung der Räume zuein­ander im Ergebnis kaum ausfallen: Am zuvor abgeschlossenen Treppenhaus wurden sowohl die Wände (samt Wohnungstüren) als auch der Holzverschlag zur Dachbodentreppe entfernt, beinahe jede Wand des EGs erhielt vergrößerte oder zusätzliche raumhohe Öffnungen – abgesehen vom WC alle ohne Türen. Besonders prägend zeigt sich die Ent­fernung von gut zwei Dritteln der Decke zwischen EG und OG über dem heutigen Essplatz.

Im EG (anders als im weniger stark veränderten OG mit den Kinderzimmern) wandelte sich so der ursprüngliche Grundriss mit einem innenliegenden Flur in eine Raumabfolge, die einen über einen Rundkurs wieder an seinen Ausgangspunkt zurückführt. Je nach Bezug der Räume zueinander fallen dabei die Wandöffnungen mal schmaler oder aber gleich raumbreit aus. Die Vergrößerung oder Schließung von Fensteröffnungen betont in den unterschiedlichen ineinander übergehenden Raumbereichen jeweils Hauptrichtungen und Ausblicke. Die verkleinerten Fenster des OGs im doppelt hohen Raum stellen zudem einen gewisse Intimität sowohl für den Essplatz als auch die Galerie her.

»Sollbruchstellen«

Neue Öffnungen und Verbindungen erfordern Einschnitte in die Substanz und ziehen Folgen für Oberflächen und Statik nach sich. Wie also umgehen mit einer Lücke zwischen Parkett und Fliesenbelag, an deren Stelle zuvor noch eine Wand stand? Kaschieren oder Rekonstruieren kam für die Planer nicht in Frage, ganz im Gegenteil. Die Fehlstellen wurden so simpel wie möglich wieder funktionstüchtig gemacht. Zementspachtel füllt die Löcher am Boden, notwendige Unterfangungen zeigen sich als einfache Stahlkonstruktionen.

Diese Vorgehensweise reicht so weit, dass sämtliche Wand- und Deckenoberflächen – von noch vorhandenen Holzpaneelen über Raufasertapeten bis hin zu den Stirnseiten der mit exaktem Schnitt durchtrennten Wände – lediglich einen durchgängigen, weißen Anstrich erhielten. Der latent durch solche Ruppigkeit auftretende Rohbaucharakter findet seinen Gegenpart in den geradlinigen und scharfkantigen Holzeinbauten aus Birkensperrholzplatten. Zusammen mit den Eichenholzlaibungen der vergrößerten Fensteröffnungen sorgen sie durch ihre Materialität und Präzision für das nötige Maß an Aufgeräumtheit zwischen all den »Sollbruchstellen« und geweißten Texturen.

Holz prägt auch das DG, das Refugium der Eltern. Der große offene Bereich am Austritt der Treppe, der bis unter den First eine imposante Höhe entwickelt, gibt Aufschluss über die von außen betrachtet vermeintlich fensterlose Gaube: Tageslicht fällt hier über das verglaste schmale Gaubendach ein. Geradezu meditative Atmosphäre herrscht dadurch im Raum, dessen nahezu sämtlichen Wand- und Deckenflächen mit Birkensperrholz beplankt sind. Dieses Material setzt sich auch in den Regalen des begehbaren Kleiderschranks fort. Nur durch ihn hindurch, jeweils über schmale Durchlässe, sind Bad und Schlafzimmer zu erreichen. Der insze­nierte und konsequent türlose Weg durch den »Schrank« mündet im lichten Schlafraum der Eltern mit der zweiten Gaube, deren garagentorgroße, in einem Stück festverglaste Öffnung den Ausblick auf Windisch gewährt. Auch hier bleibt das, was vorgefunden wurde, stets im Blick: Statt die Sparren im Bereich der Öffnung zu entfernen, ließ man sie als eine Art Filter stehen, der zwischen offen und geschlossen, zwischen alt und neu vermittelt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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