Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|01-02
Bühne
db deutsche bauzeitung 2019|01-02

Wohlklang auf Zeit

»Tonhalle Maag« Interimsspielstätte der Tonhalle in Zürich (CH)

Da die Tonhalle Zürich renoviert wird, benötigt das Tonhalle-Orchester für drei Jahre eine Ausweichspielstätte. In einer ehemaligen Industriehalle im angesagten Kreis 5 ist ein hölzerner Konzertsaal entstanden – ein Provisorium, das in verschiedener Hinsicht zur Erfolgsgeschichte geworden ist.

8. Januar 2019
»Downtown Switzerland«, so lautete der Slogan, mit dem sich Zürich in den Nullerjahren vermarktete. Die Stadt verstand sich als Boomtown, und weil in Luzern kurz zuvor das Kultur- und Kongresszentrum KKL von Jean Nouvel eröffnet hatte, wünschte sich eine Allianz aus Touristikern, Politikern und Wirtschaftskreisen auch an der Limmat etwas Vergleichbares. So entließ man das historische Kongresszentrum am Seeufer – Meisterwerk des Architekturbüros Haefeli Moser Steiger von 1939 – eilig aus dem Denkmalschutz. Rafael Moneo gewann den Wettbewerb für den Neubau, in den vom Bestand lediglich die seit Längerem renovierungsbedürftige Tonhalle, der noch vom Vorgängerbau übernommene Belle-Époque-Konzertsaal der Architekten Fellner & Helmer, integriert werden sollte. Doch die Zürcher Stimmbevölkerung erteilte dem äußerst ambitionierten Projekt 2008 eine Absage. In der Folgezeit ergaben weitere Studien, dass sich der zukünftige Bedarf an Kongressinfrastruktur durchaus mit einem Umbau des bestehenden Komplexes abdecken ließe. 2016 wurde darüber erneut abgestimmt. Das Volk votierte für ein Paket von 240 Mio. CHF, das die Sanierung der Tonhalle, den Umbau des Kongresszentrums und die Entschuldung der Tonhalle-Gesellschaft umfasst. 1,6 Mio. davon flossen auch in die Errichtung eines temporären Konzertsaals für das Tonhalle-Orchester, der Ende September 2017 eröffnet werden konnte und bis zum Herbst 2020, wenn der Klangkörper in sein dann renoviertes angestammtes Domizil zurückkehrt, als Ausweichspielstätte dient.

Industriecharme statt Seeblick

Spätestens seit der fast 20-jährigen Tätigkeit des Chefdirigenten David Zinman (1995-2014) hat das Tonhalle-Orchester seinen Ruf als Weltklasseensemble gefestigt. Und so war es klar, dass der Umbau der Tonhalle nicht bedeuten konnte, das Orchester nur in Form von Gastspielreisen auswärts auftreten zu lassen. Da ein anderer Konzertsaal in Zürich nicht zur Verfügung stand, musste ein Provisorium errichtet werden. Verschiedene mögliche Standorte wurden evaluiert, schließlich entschied man sich für das Areal der früheren Zahnradfabrik Maag, das sich seit seiner Umnutzung im Besitz von »Swiss Prime Site« befindet. Die börsennotierte Immobiliengesellschaft hat auf dem Gelände im angesagten Kreis 5 u. a. den Prime Tower durch Gigon/Guyer errichten lassen und die noch bestehenden Altbauten mittelfristig an die Maag Music & Arts AG vermietet. Diese wiederum betreibt die Maag ­Music Hall und vermietete die anschließenden Fabrikbauten als Eventlo­cations und an Kreativdienstleister. Als die Tonhalle-Gesellschaft im Sommer 2015 entschied, das Provisorium in die Altbauten neben der Music Hall einzu­passen, hatte deren akustische und energetische Sanierung gerade begonnen. Betraut damit – unter enormem Zeitdruck, mit sehr komplexen Schnittstellen – seitens der Grundeigentümerin Swiss Prime Site (SPS) war das Züricher Büro spillmann echsle, das durch den in der Nachbarschaft gelegenen, aus gestapelten Containern errichteten »Freitag Flagship Store« (2006) bekannt geworden war. Als Verein agierend musste der Bauherr keinen Wettbewerb durchführen, und so ging der Auftrag für die »Box in der Box« direkt an spillmann echsle. Für den temporären Konzertsaal und die mit ihm verbundenen Umbauten standen insgesamt 10 Mio. CHF zur Verfügung, welche die Tonhalle-Gesellschaft, von den 1,6 Mio. seitens der öffentlichen Hand abgesehen, durch Spenden und Eigenmittel decken konnte. Da die Umbauten auf dem Areal begonnen hatten und der Konzertsaal zum Spielzeitbeginn 2017 bezugsbereit sein musste, setzten die Arbeiten schon vor der alles entscheidenden Volksabstimmung von 2016 ein, so z. B. mit der aufgrund der Geometrie des Konzertsaals nötigen Erhöhung des Dachs. Der Bauherr trat also in Vorleistung – auch auf die Gefahr hin, dass ­eine negative Abstimmung einen Umzug gegenstandslos machen würde. Doch am Ende ging alles gut. Die Herausforderung bestand darin, einen akustisch erstklassigen Konzertsaal zu errichten, Tonhalle Maag und Maag Music Hall vollständig akustisch voneinander zu entkoppeln und dennoch das Gesamtbudget nicht zu überschreiten.

Kein Schnickschnack

Zusammen mit den Akustikern Müller-BBM aus Planegg bei München entwarfen die Architekten einen rechteckigen Konzertsaal mit – bei Längsbespielung – maximal 1 224 Sitzplätzen und damit etwa 200 weniger als in der Tonhalle selbst. Die Abmessungen des Saals betragen 22,5 x 43,2 m, die Höhe 11,2 m. Der Großteil der Plätze ist im Parkett angeordnet; etwa ein Drittel fasst die Galerie, die auch eine Tribüne im Rücken des Orchesters aufweist. Sämtliche Stühle lassen sich demontieren, damit der Saal an spielfreien Tagen auch für andere Veranstaltungen genutzt werden kann. Ebenso kann die im Normalfall 18,4 m breite und 10,8 m tiefe Bühne vergrößert und durch Hubpodien verändert werden.

Die Tragstruktur des Saals setzt sich aus Stahlprofilen zusammen, wobei der Abstand der Stützen vom Raster der bestehenden Industriehalle bestimmt wird. Die Wände selbst bestehen aus Dreischichtplatten aus nordischer Fichte, die jeweils leicht gekippt installiert wurden, um Flatterechos zu vermeiden und den Klang diffus zu streuen. Zur akustischen Optimierung tragen auch die wie ein Fries umlaufenden Lamellen und die 70 abgehängten Deckenreflektoren bei, von denen die über der Bühne befindlichen durch thermische Verformung konvex ausgebildet sind. Die hölzerne Box des Konzertsaals wird durch das Eichenparkett komplettiert; dieses ist mit 2,5 Mio. Löchern per­foriert, durch welche die Zuluft einströmt. Der Raum bewegt sich hinsichtlich seiner Ausdehnung an der unteren Grenze des Möglichen, und so wurde – was bei klassischen Konzertsälen heute durchaus üblich ist – eine elek­tronische Nachhallverlängerungsanlage installiert. Der Klang, so hat es sich erwiesen, ist sehr transparent und verzeiht weniger als die Akustik der Tonhalle; man hört die Einzelstimmen stärker, aber eben auch Fehler und ­Geräusche aus dem Publikum.

Alles in allem herrscht große Zufriedenheit: beim Orchester, seiner Leitung, bei Gastmusikern und beim Publikum.

Die Akustik stimmt, der Saal wirkt sachlich, hell und freundlich. Das Budget ließ keinen Schnickschnack zu, aber das Holz, das auch immer noch dezent duftet, trägt mit seinem fast skandinavischen Look zu einer angenehmen Atmosphäre bei. In seiner Schlichtheit stellt der Saal gleichsam die Antithese zum Pomp des Fin de Siècle in der alten Tonhalle dar. Noch entscheidender aber ist die Lage in der Stadt: nicht am gediegenen Seeufer, sondern mitten im einstigen Industriequartier, das als boomende Ausgeh­meile gilt, aber mit Schiffbau, Löwenbräuareal und Galerien auch als kultureller Hotspot. Durch den unmittelbar benachbarten Bahnhof Hardbrücke ist die Tonhalle Maag perfekt an den ­öffentlichen Nahverkehr angeschlossen, besser noch als das Haupthaus am Seeufer.

Die Ausweichspielstätte wirkt nicht nur aufgrund ihrer Schlichtheit informeller als das Stammhaus. Dazu tragen auch die Bedingungen des Provisoriums bei – etwa die Tatsache, dass Musiker und Besucher dieselben Zugänge zum Konzertsaal nutzen. Auch die Foyerbereiche mit ihrem industriellen Charme funktionieren gut und letztlich steigert all das die Intensität des Konzertbesuchs. Der Club »Härterei« ist mittlerweile aus dem benachbarten Saal ausgezogen und dient nun als Foyer; hier wie in den angrenzenden Räumen haben spillmann echsle mit minimalen räumlichen Eingriffen Raumabfolgen präzisiert, die Farben erneuert und mit Leuchten, die zwischen »Industriegroove« und Festlichkeit oszillieren, einige Akzente gesetzt. Für Probenräume und Verwaltung wurde in den Geschossen darüber Platz geschaffen.

Besonders froh sind die Verantwortlichen im Übrigen darüber, dass sich mit dem neuen Standort das Publikum merklich verjüngt hat. Und schon werden Stimmen laut, aus dem Provisorium ein »Providurium« zu machen, den ­hölzernen Saal als dauerhafte zweite Spielstätte zu erhalten. Die Hoffnung darauf ist aber wohl vergeblich. Auch wenn die Tonhalle Maag, sobald das Orchester ans Seeufer zurückgekehrt sein wird, noch einige Jahre nachgenutzt werden kann, sieht der Bebauungsplan für die Stelle der Interimsspielstätte einen Straßendurchbruch vor. Die Musik spielt dann leider woanders.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: