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db deutsche bauzeitung 2019|01-02
Bühne
db deutsche bauzeitung 2019|01-02

Bühne zwischen den Bühnen

National Kaohsiung Centre for the Arts (Weiwuying) in Kaohsiung (RC)

Der weltgrößte Komplex für Darstellende Kunst in der zweitgrößten Stadt Taiwans umfasst vier Auf­führungsstätten auf höchstem bühnentechnischen und akustischen Niveau. Das hervorstechendste Merkmal des Bauwerks ist allerdings der überdachte Außenraum zwischen Oper, Theater, Konzertsaal und Kammermusiksaal, die »Banyan Plaza«.

8. Januar 2019 - Jay Merrick
Das vor Ort als »Weiwuying« bekannte Center ist 225 m lang, 160 m breit und umfasst eine Fläche von 3,3 ha – mehr als die Fläche des größten je gebauten Supertankers, die 500 000 t fassende »Seawise Giant«. Oper, Theater, Konzertsaal und Kammermusiksaal ruhen zusammen mit der sie verbindenden gigantischen Stahlkonstruktion des Dachs auf einem bis zu fünf Geschosse in die Tiefe reichenden, hochwassersicheren Sockel. In ihm sind Parkebenen, Technikräume und ein riesiger Bereich für die Bühnentechnik der Oper untergebracht.

Der überdachte Freiraum zwischen den vier Aufführungsstätten, die sogenannte Banyan Plaza, zeigt sich als System ineinander übergehender Gewölbe, die eine 17446 m² große »Grotte« formen. Gestaltung und Konstruktion dieses außergewöhnlichen Elements machten den Einsatz sowohl einer parametrischen Modellierung als auch die Übertragung von Fachwissen aus dem Schiffsbau erforderlich.

Die Gebäude für Darstellende Kunst, die die Architekten von Mecanoo aus Delft bisher entworfen haben – wie etwa »Llotja«, eine Kombination aus Theater und Konferenzzentrum im spanischen Lleida – hatten jeweils übliche Größen. Der mehrere Hektar große Fußabdruck des »Weiwuying« jedoch machte es den Architekten diesmal unmöglich, den Entwurf anhand physischer Modelle auszuarbeiten. Nur zwei Elemente wurden als Modelle in großem Maßstab gefertigt: eins der gebogenen Stahlpaneele, die auf den Boden der Banyan Plaza treffen in Originalgröße und der Zuhörerraum im Konzertsaal im Maßstab 1:100.

Nach außen lässt sich die Typologie des Gebäudes nicht eindeutig zuordnen: Es gibt nichts, was zweifelsfrei darauf hinweisen würde, dass es sich um einen Kulturbau handelt. So könnte die glatte, in der Draufsicht rechteckige Großform auch für die Konzernzentrale eines internationalen Unternehmens stehen.

Unter Bäumen

Etwa die Hälfte der Grundfläche des Kulturkomplexes wird von der Banyan Plaza beansprucht. Ihr Bodenniveau variiert über mehr als ein Geschoss, was es erlaubt, sie übergangslos an den benachbarten 65 ha großen Weiwuying Metropolitan Park anzuschließen. Von Beginn an war es ein wichtiger Aspekt des Entwurfs, die Umgebung bestmöglich mit einzubeziehen. Mit der Fertigstellung des Gebäudes wurden auch die Arbeiten am Park, in dem zuvor einige Militärbaracken und Lagerhäuser standen, abgeschlossen. Zuvor lag das Areal über viele Jahre brach, bis Bürgerinitiativen die Stadtverwaltung zu ­seiner Umgestaltung drängten. 2010 erklärte sich die Verwaltung schließlich bereit, dort einen naturnahen Park anzulegen – also erst drei Jahre nachdem Mecanoo den Wettbewerb für den Kulturkomplex gewonnen hatten.

Das Gebäude ist das deutlichste Symbol für die Entschlossenheit der Stadt, das Image von Kaohsiung zu verändern: von Taiwans wichtigstem Schwerindustrie-Standort mit hoher Luftverschmutzung hin zu einer Stadt, die zunehmend von Hightech geprägt ist, und darüber hinaus auch in den Bereichen Umwelt und Kultur etwas zu bieten hat. Seit den frühen 90er Jahren sind in der Stadt 22 km S-Bahn-Gleise und 755 km Fahrradwege entstanden. In der Metropolregion mit 2,7 Mio. Einwohnern und – diese erstaunliche Zahl nennt die Regierung – 2,2 Mio. motorisierten Zweirädern sollen die Treibhausgase bis 2020 »substanziell« reduziert werden.

Wovon die Gestaltung des Weiwuying inspiriert ist, erklärt Francine Houben, Gründungspartnerin und Creative Director von Mecanoo: »Als ich das erste Mal hierher kam, sah ich auf dem Areal bellende Hunde, leere Militärbaracken – und Banyan-Feigen. Unter diesen Bäumen fängt sich der Wind vom Meer. Unser Traum war es, dass die Banyan Plaza die Stimmung des Parks auf informelle Weise fortführt. Das Ungeordnete sollte sich mit dem Formalen verbinden. Denn sobald es dunkel wird, findet hier das Leben auf der Straße statt, mit vielen beiläufigen Darbietungen.«

Francine Houben beschreibt die Plaza als Kaohsiungs »futuristische Lounge«, eine sich durch das Gebäudes schlängelnde Promenade, die – wie die verzweigt wachsenden Banyan-Bäume – die Besucher vor dem tropischen Regen schützt und doch jede noch so kleine Brise Wind einfängt. Mit ausgeklügelten Licht- und Soundsystemen ausgestattet, kann die Plaza auch nach Einbruch der Dunkelheit auf vielfältige Weise genutzt werden.

Was die eigentlichen Funktionen des Weiwuying betrifft, so umfasst es eine Oper mit 2 260 Sitzen, einen Konzertsaal mit 2 000 Plätzen, ein Schauspielhaus für bis zu 1 245 Personen, ein Kammermusiksaal und ein offenes Amphitheater, das in die Südseite des Gebäudes eingelassen ist, wo sich das Dach bis auf das Geländeniveau des Parks absenkt.

Die vier Zuschauersäle – entworfen in Zusammenarbeit mit dem bedeutenden, in Paris ansässigen chinesischen Akustiker Albert Yaying Xu – erheben sich als »Bubbles« aus dem Sockelgeschoss, steigen entlang der Plaza weiter empor und wirken wie aufgereihte, asymmetrischer Schiffsrümpfe, sowohl vom Aussehen als auch von der Haptik her. Das bewegte aluminiumbekleidete Dach, das wegen des laut trommelnden Monsunregens dick gedämmt ist, resultiert aus der Höhe der drei größeren Auditorien. Sie sind, was Grund- und Aufrisse betreffen recht unspektakulär. In Hinsicht auf Größe und Technik allerdings haben Oper und Schauspielhaus Weltklasse. Der Konzertsaal als wohlbekannter »Weinberg« in post-Scharoun’scher Manier glänzt immerhin mit einer wunderschönen, eng gerippten Struktur an der Akustikdecke. Die Gestaltung des Kammermusiksaals ist so naheliegend wie gewitzt: Die Empore der oberen Ränge, deren Brüstung den Umriss eines Flügeldeckels nachzeichnet, fällt auf der rechten Seite steil ab, sodass ein Maximum an Zuhörern die Musiker, die stets auf der linken Seite der Bühne sitzen, auch sehen kann.

Aus dem Schiffsbau

Als Francine Houben vom Wettbewerbsgewinn ihres Büros erfuhr, dachte sie spontan: »Okay! Doch wie sollen wir das machen? Wir hatten keine Ahnung, wie wir die Banyan Plaza Wirklichkeit werden lassen sollten.« Das Büro setzte sich mit der Groninger Werft Centraalstaal in Verbindung. Deren Analyse des Entwurfskonzepts bestätigte, dass sich das angedachte Tragwerk auch realisieren ließ. Der technische Leiter von Mecanoo, Friso van der Steen, war sich zwar sicher, dass für die Umsetzung des Projekts eine Herangehensweise wie im Schiffsbau erforderlich sei, doch »es war ein hartes Stück Arbeit, andere am Bau Beteiligte davon zu überzeugen«.

Die Fachleute der Werft Ching Fu in Kaohsiung, die eng mit Groningen zusammenarbeiteten, lieferten das Wissen darüber, dass sich die übergangslos fließende Wand- und Deckenbekleidung der Plaza mit 8 mm dicken Stahlplatten, alle mit unterschiedlichen Formaten und Krümmungen, bauen ließ. Die Platten sind über Stahlstäbe mit der ebenfalls stählernen Tragstruktur verbunden, sodass sie sich während der in Taiwan so häufigen Erderschütterungen verformen können. Die Platten wurden eher »lässig« miteinander verschweißt, um die übliche Ungenauigkeit der Fugen an Schiffsrümpfen nachzuahmen.

Das gesamte Gebäude stellt zwar eine beeindruckende bauliche Leistung dar, der einzige besonders hervorzuhebende Teil seiner Architektur ist jedoch die Banyan Plaza. Die Plaza zeichnet sich durch einmalige visuelle und atmosphärische – ein wenig mysteriöse – Qualitäten aus; sie zeigt sich als demokratischer, mit der Umwelt verbundener Bereich, der keine Raumhierarchien und Bewegungsrichtungen vermittelt. Eine Bemerkung von Louis Kahn könnte kaum besser als mit der Banyan Plaza illustriert werden: »Ein großartiges Gebäude muss mit Unermesslichkeit beginnen, durch messbare Mittel gestaltet werden und darf letztlich nie gemäßigt sein.«

Dasselbe gilt für viele der inneren Erschließungs- und Foyerräume des Komplexes. Allerdings ist die Holzbekleidung in diesen ansonsten weiß gehaltenen Bereichen schwarz gestrichen, wodurch ein starker Kontrast entsteht, der den Eindruck des fließenden Raums abschwächt. Das Schwarz, das die Architekten ursprünglich vorgesehen hatten, sollte zwar noch einer anderen Farbgebung weichen, doch der Bauherr bestand auf dieser ersten Version. Doch dieser Umstand beeinträchtigt den Gesamteindruck der fantasievollen Architektur nicht übermäßig. Und so lässt sich abschließend feststellen, dass mit dem National Kaohsiung Center for the Arts eine Spielstätte mit Weltrang entstanden ist – sowohl funktional als auch architektonisch.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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