Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|10
Berlin
db deutsche bauzeitung 2019|10

Konstruktive Konzepte

Quartier am ehemaligen Blumengroßmarkt

Rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg, die von Daniel Libeskind 2012 fürs gegenüberliegende Jüdische Museum zur Akademie umgebaut wurde, sind mit drei Wohn-, Gewerbe- und Atelierhäusern die Resultate von Berlins erstem planerischen Konzeptverfahren zu begutachten. Sinnfällig ergänzt wird das Quartier durch das neue Verlagshaus der taz. Weitere Bausteine sind im Entstehen. Mit Fug und Recht lässt sich hier, in Nachbarschaft zu einigen herausragenden Bauten der IBA 1987, von »anderes Bauen« sprechen.

14. Oktober 2019 - Jürgen Tietz
Der feine Schleier des Nieselregens verleiht dem matten Schwarz der Fassade aus karbonisiertem Lärchenholz des Gebäudes Frizz23 eine besondere Intensität. Passt gut, denke ich und suche vor dem Wetter trotzdem lieber Unterschlupf im kleinen Café »Nullpunkt«, im EG dieses Multifunktionsgebäudes für kulturelles Gewerbe. Das Frizz23, entworfen von Deadline Architekten aus Berlin, ist einer von vier Bausteinen des Areals rund um die ehemaligen Blumengroßmarkthalle in Kreuzberg. Die stammt von Bruno Grimmek, dem heute zu Unrecht fast vergessenen Leiter der Entwurfsabteilung des Berliner Hochbauamts. Daniel Libeskind hat die Halle aus den 60er Jahren zur Akademie des Jüdischen Museums umgebaut, dessen Hauptgebäude gleich gegenüber an der Lindenstraße liegt. Die Akademie beherbergt die Bibliothek des Jüdischen Museums Berlin mit öffentlich zugänglichem Lesesaal, das Archiv sowie das für Veranstaltungen genutzte Klaus Mangold Auditorium und ­Seminar- und Workshop-Räume. Im Januar 2016 wurde die Akademie nach dem Gründungsdirektor des Museums in W. Michael Blumenthal Akademie umbenannt. Neben dem Frizz23 umfasst das Areal das neue Verlagsgebäude der taz von e2a aus Zürich, das IBeB – kurz für »Integratives Bauprojekt am ­ehemaligen Blumengroßmarkt« – der ARGE ifau und Heide & von Beckerath (beide Berlin) sowie das Metropolenhaus von bfstudio-architekten (ebenfalls Berlin).

Im Nullpunkt, das präzise eingemessen auf dem Standort von Berlins erster Sternwarte liegt, bestelle ich mir einen Kaffee. Dazu gibt es statt laktosefreier Milch lieber vegane Hafermilch. Die Bestellung gerne auf Englisch. Dit is Berlin 2019. Seit meinem ersten Besuch im Frizz23 (db 02/2019) hat sich zwar einiges auf dem Areal getan. Ganz fertig ist es aber immer noch nicht. Die ­Ladengeschäfte in den Erdgeschossen beleben sich erst nach und nach. Auf den Freiflächen zwischen den Häusern wird weiter gewerkelt. Der angrenzende Besselpark ist noch mit Baugittern abgesperrt. Gleich dahinter erhebt sich der feine Turm von John Hejduk, der an Westberliner IBA-Zeiten erinnert. Dauert halt alles seine Zeit, denke ich mir. Gleichwohl sorgt das Quartier bereits international für Aufsehen und gilt als eines der interessanteren Architekturorte der Stadt. Das liegt ebenso an den qualitätvollen Gebäuden wie am inhaltlichen Konzept. Möglich wurde die kleinteilige gemischte Nutzung durch die Grundsatzentscheidung, nicht auf den Höchstpreis für das Gelände zu schielen, sondern seine Vergabe über einen Konzeptwettbewerb zu regeln. Dabei ist der festgeschriebene Inhalt für die Neubauten wichtiger als der gebotene Preis. Eine sinnvolle Möglichkeit, um städtische Entwicklungen mitzusteuern.

Wer vom Jüdischen Museum kommt, dem öffnet sich die trapezförmig angeordnete Trias aus IBeB, der Akademie des Jüdischen Museums und dem Metropolenhaus. Dazwischen erstreckt sich der weite, gepflasterte Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz, dem man einige Bäume und auch sonst mehr Grün wünschen würde. Dafür hat man nun freien Blick auf die Keramikfassade des langgestreckten Riegels des IBeB (db 8/2018), mit seinen Wohnungen und Ateliers sowie dem luftigen Metropolenhaus gegenüber. Dort werden die Eigentumswohnungen durch das querfinanzierte »aktive Erdgeschoss« , zu dem u. a. die Projekträume der nicht kommerziellen Kulturplattform »feldfünf« gehören. Das Metropolenhaus bündelt Wohnen und Arbeiten und verknüpft beides mit Kultur, Gastronomie und kleinen Läden. Mit seinem Nutzungskonzept schafft es Raum für ein Zusammentreffen der Kulturen und sichert mittels des Konzepts der Querfinanzierung zugleich die ökonomische Basis der Projekträume.

Ein kleinteiliges, intensiv von lokalen Akteuren und Nachbarschaftsinitiativen in Zusammenarbeit mit Bezirk und Senat erarbeitetes Nutzungskonzept liegt auch dem Frizz23 zugrunde. Dort beschreiten das FORUM Berufsbildung e. V., FrizzZwanzig sowie das kleine Hotel Miniloft Kreuzberg einen neuen Weg und schaffen Berlins erste gemeinsame Gewerbebaugruppe. Die Trias der Bauherrschaft lässt sich in groben Zügen an der Gliederung des Gebäudes ablesen. Das bereits im Bezirk etablierte Forum Berufsbildung benötigte dringend zusätzliche Seminarräume. Die hat es nun in dem an den taz-Neubau anschließenden, fünfgeschossigen Bauteil des Frizz23 gefunden. Das EG ist je nach Veranstaltungsformat in unterschiedliche Einheiten gliederbar. Darüber schließen sich funktional gestaltete Gruppenräume an. Bekrönt wird das Ganze von einer Dachterrasse. Am anderen Ende des Bauköpers sind in einem kleinen, siebengeschossigen Turm unterschiedlich große Minilofts untergebracht, die von den entwerfenden Architekten Deadline zugleich betrieben werden. Schick möbliert und ordentlich ausgestattet, lässt sich von dort aus die Berliner Mitte bestens erkunden. Im EG befindet sich auch das kleine Café, von dem aus ich auf das Areal schaue. Zwischen diesen beiden Bauteilen findet die Berliner Kreativwirtschaft Werkstätten und Büros. Das reicht von eingeschossigen Miniateliers und größeren Open Offices bis zu dreigeschossigen Wohn- und Arbeitsräumen. Mittenmang die neuen Räume für die Arch+, für deren Ausgestaltung Arno Löbbecke und Anh-Linh Ngo, Mitherausgeber der Zeitschrift, selbst verantwortlich zeichnen.

Das fügte sich zu dem Ansatz von Matthew Griffin und Britta Jürgens von Deadline, den unterschiedlichen Nutzungen einen möglichst flexibel bespielbaren Rahmen zu eröffnen. Die Betonkonstruktion des Hauses mit einer Fassade aus nachtblauem Aluminium und schwarzem Holz setzt durch die ungewohnte Farb- und Materialkombination nach Außen ungewöhnliche eigene Akzente. Mit dem sanften Holz-Zick-Zack zwischen EG und erstem OG wird zudem die Erinnerung an die kriegszerstörte ­»Markthalle 2« aufgegriffen, die hier einst Schinkels Sternwarte nachfolgte. Ein Berliner Architekturpalimpsest.

Zu dem Quartier zählt auch der neue Sitz der Tageszeitung taz mit der reizvollen rückwärtigen Skulptur der Fluchttreppen, die die U-förmige Grundfigur des Gebäudes schließt. Schade allerdings, dass die taz die Stahldreiecke der Fassade zur Friedrichstraße als Pinnwand für ihre Transparente missbraucht. Doch das ließe sich ja ebenso leicht revidieren, wie die Wochenendschließung der taz-Kantine im EG. Oder braucht das kreative Berlin ab und an mal eine Pause von sich selbst? Zusammen mit dem ungleich größeren Springer-Campus, der ganz in der Nähe gerade nach Entwurf von Rem Koolhaas/OMA entsteht, deutet das taz-Haus jedenfalls ein zartes Revival des alten Kreuzberger Zeitungsviertels an. In der Umgebung lassen sich die städtebaulichen Paradigmenwechsel Berlins wie unter dem Brennglas ablesen. Während der spätbarocke Stadtgrundriss und das zarte kleine Kammergericht als Entree zum Jüdischen Museum an die Entstehung dieser Berliner Stadterweiterung erinnern, sind die übrigen Layer vertrauter: Die Mietskasernen der Gründerzeit, der großmaßstäbliche Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne, der den Mehringplatz umschließt, die kleinteiligen Stadtreparaturen der IBA der 80er Jahre und schließlich Libeskinds silberner Museumsblitz. Was im ersten Moment wie eine Baugeschichtsvorlesung anmutet, wirkt in den sozialen Mikroklimata der Gegenwart fort. Ehemalige Blumengroßmarkthalle und Mehringplatz sind zwar nur wenige Schritte voneinander entfernt. Sozial liegen dazwischen jedoch Welten. Eine der Herausforderungen wird es sein, diese gegensätzlichen urbanen Milieus einander behutsam anzunähern.

Der Nieselregen hat sich verzogen, der Café ist ausgetrunken und die Berliner Sommersonne leuchtet freundlich über dem neuen Quartier. Bleibt die Frage nach dessen Vorbildwirkung. In Maßstab und Mischung erinnert es an die Wunschvorstellungen einer Jane Jacobs aus den 60er Jahren. Darin liegt seine Qualität. Allerdings ist auch klar, dass die gewaltigen Berliner Wohnungsbauprobleme mit solchen überschaubaren Interventionen ebenso wenig gelöst werden, wie mit dem Einsatz einzelner »konventioneller« Baugruppen und schon gar nicht mit dem fragwürdigen Rückkauf von Mietshäusern, durch den die Berliner Politik momentan lokale Klientelbedürfnisse auf Kosten der Allgemeinheit befriedigt. Doch auch wenn das Kreativquartier nur bedingt als urbane Blaupause dienen kann, stellt es gleichwohl eine wichtige Beimischung für einen klugen und vielschichtigen städtebaulichen Mix dar, der sich allerdings künftig endlich wieder an den großen Maßstab trauen müsste. Das sucht man in Berlin derzeit vergebens. Wichtig wäre eine Mischung, die wirtschaftlich tragfähig ist, das Stadtganze im Blick behält und sich zugleich verantwortungsvoll für die Integration aller lokalen Akteursinteressen einsetzt, ohne sich im Klienteldschungel zu verlaufen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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