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db deutsche bauzeitung 2019|10
Berlin
db deutsche bauzeitung 2019|10

Mitte als Konstrukt

Die James-Simon-Galerie und ihr Umfeld

Wo haben wir uns eigentlich verabredet, als es die James-Simon-Galerie noch nicht gab? So naheliegend ist als Treffpunkt in Berlins Mitte jetzt die große Freitreppe der Galerie, dass man sich kaum noch einen anderen Ort vorstellen kann. Die James-Simon-Galerie ist wahrhaftig wie ein gelungenes Geschenk, auf das lange gewartet wurde und an dem die Stadt und ihre Besucher nun täglich ihre Freude haben.

14. Oktober 2019 - Jürgen Tietz
In liebevoller Belagerung haben sich einige Besucher auf der Treppe der neuen James-Simon-Galerie von David Chipperfield Architects niedergelassen. Entspannt schwatzen sie und schauen unter dem blauen Sommerhimmel auf die Museumsinsel. Im Zusammenspiel mit der feinen Betonarchitektur, die hell leuchtend in die Umgebung lächelt, wirken sie wie pointilistisch ver­streute Farbklekse. Gleich daneben beginnt schon auf der Treppe die lange Wartschlange, die sich durch das gesamte OG des Galerieneubaus zieht. Geduldig warten dort die Besucher auf ihren Einlass in den derzeit noch zu besuchenden Teil des Pergamonmuseums. Nur wenige Wochen nach ihrer Eröffnung ist die James-Simon-Galerie vom Publikum so angenommen, als hätte es sie schon immer an diesem Ort gegeben. Es ist eine Freude, in diesen feinen Tempel zurückzukehren, den ich schon einmal kurz schwärmend für die db beschreiben durfte (s. db 3/2019).

Im Kern entpuppt sich die Galerie als ein dienendes Multifunktionsgebäude für die umgebenden Schatzhäuser der Museumsinsel. Hier kann gegessen und gewartet werden, können Bücher gekauft, Vorträge gehört und Sonderausstellungen gesehen werden. Und Tickets für die Museumsinsel gibt es ebenfalls. Der Name des Galerieneubaus, das kann nicht oft genug dankbar erklärt werden, ist eine Referenz an den Sammler und Mäzen James Simon (1851-1932), dem die Staatlichen Museen u. a. die Büste Nofretetes verdanken.

In der belebten Galerie bestätigt sich einmal mehr, dass sich jedes Haus unter der Benutzung noch einmal ganz anders präsentiert. Dann verliert sich eine mögliche Monumentalität durch die vielen hohen Stützen ganz schnell im bunten Gewusel der Besucher. Und es zeigt sich, dass der Lärm ihres dröhnenden Geschnatters kaum absorbiert wird. Bestens besucht ist auch die Aussichtsterrasse des kleinen Cafés. Von dort blickt man nicht nur auf den Kupfergraben, sondern auch auf das Haus Bastian. Ebenfalls von Chipperfield entworfen, dient es den Staatlichen Museen nach dem Umbau durch Raumlabor künftig als Zentrum für kulturelle Bildung. Eine Ebene unter dem Café kann in den Regalen des großzügigen Buchladens gestöbert werden, während darunter im rund 650 m² großen Sonderausstellungsraum bis März kommenden Jahres Arbeiten der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu sehen sind. Einzig das Auditorium mit seinen Sichtbetonwänden und den elegant geschwungenen hölzernen Deckensegeln bleibt mir heute verschlossen. Wer durch das noble, sichtbetonklare Haus streift, zu dem sich die ausdrucksstark gemaserten Paneele aus Nussbaumholz stimmig fügen, über breite Treppen und den Bodenbelag aus Crailsheimer Kalkstein wandert, der fühlt sich trotz der unterschiedlichen Raumebenen nie verloren. Dafür sorgen die zahlreichen Blickbezüge in den Außenraum, die viel Naturlicht ins Haus lassen. So wird es für die Besucher möglich, sich stets räumlich zu verorten. Das gilt selbst für den am tiefsten gelegenen Punkt des Galerieneubaus. Dort liegt der Übergang zum Neuen Museum und weiter zur »archäologischen Promenade«, die die einzelnen Häuser der Museumsinsel einmal unterirdisch verknüpfen soll. Von oben flutet üppiges Tageslicht in den Raum und stets schauen ein paar neugierige Blicke von Besuchern hinab, durch die großen Scheiben am Innenhof zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum. Neben einigen Erläuterungen zur Museumsinsel wird der Verbindungsbau durch einen der hölzernen Gründungspfeiler von Schinkels altem Packhof dominiert, der hier einst am Ufer des Kupfergrabens stand. Für den Galerieneubau mussten rund 1 200 neue Betonpfähle bis zu 50 m tief in den schwierigen Baugrund der Spreeinsel getrieben werden.

So gelungen das neue Vielzweckgebäude im Innern ist, so bezaubernd sind seine Außenräume. Chipperfield führt dort die historischen Kolonnaden der Museumsinsel fort und übersetzt sie in filigrane, eckige Sichtbetonstützen. Sein Marburger Architekturtempel lässt grüßen. Doch geschenkt, denn mit den Betonstützen verleiht er der Galerie eine wunderbare Luftigkeit. Zusammen mit der gelungenen Gliederung der Baumasse lässt er das kräftige aus dem Spreewasser emporwachsende Haus zarter wirken. Die Pergolen artige Architektur umschließt einen neuen Hof, der sich zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum erstreckt. Es ist ein öffentlicher und offener Ort, der eine wunderbare Ruhe verströmt. Er lädt dazu ein, sich auf der steinernen Bank unter dem Pfeilergang niederzulassen, um von dort dem Spiel von Wolken und Sonne auf den Fassaden zu folgen. Hier lässt es sich gut innehalten und ungestört darüber nachdenken, an welchem Ort man sich befindet und die Jahrhundertaufgabe zu würdigen, als die sich Sanierung und Umbau der Museumsinsel entpuppen. So selbstverständlich Chipperfields neues Erschließungsbauwerk heute erscheint, durch das nach wenigen Wochen bereits über 100 000 Besucher hindurchgewandert sind, so weit war der Weg dorthin. Er begann mit dem Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums 1993/94 (sic!). Erinnert sich noch jemand an den rationalistisch strengen Beitrag des Siegers Giorgio Grassi? Oder an das energische Votum der Staatlichen Museen für den exaltierten Beitrag Frank O. Gehrys und die spätere Entscheidung für den damals ja noch keineswegs so weltbekannten David Chipperfield? Begleitet wurde die Suche nach dem richtigen Entwurf von einer gelegentlich atemlos anmutenden Diskussion über den denkmalgerechten Umgang mit Friedrich August Stülers einzigartigem Neuen Museum, die in Chipperfields wegweisender Sanierung des Hauses und dem Masterplan (1999) mit dem Konzept der erwähnten Archäologischen Promenade mündete. Mittlerweile sind für die Museumsinsel einschließlich des Humboldtforums im neuen Berliner Schloss bereits mehrere Milliarden Euro (vom Bund) verbaut worden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Gerade erst läuft der Architektenwettbewerb für den zweiten Bauabschnitt des Pergamonmuseums an.

Vielleicht führt das ja dazu, noch einmal über die Sinnhaftigkeit nachzudenken, Oswald Matthias Ungers siegreichen Entwurf aus dem Jahr 2000 weiterzuführen, der bereits damals quadratisch aus der Zeit gefallen schien. Die Grundsanierung von Schinkels Altem Museum steht noch aus. Wann sie beginnt ist ungewiss. Bis dahin wird die hässliche Glasfront zwischen den Säulen der großartigen Treppenhalle des Alten Museums die Blicke weiter verspiegeln und damit beweisen, welche Permanenz einem Provisorium zuwachsen kann. In der Planungs- und Baugeschichte der Museumsinsel nach 1990 drücken sich die wechselnden architektonischen-, museologischen und denkmalpflegerischen Paradigmen einer Generation aus. Zugleich präsentiert sich in der Museumsinsel ein Stück deutsches Selbstverständnis. Die Mitte der deutschen Hauptstadt wird durch einen Hort der Kultur gebildet. Welche europäische Hauptstadt kann das bieten? Hier, auf der Schlossinsel befand sich einst das herrschaftliche Zentrum der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln. Mit seinem Alten Museum startete Karl-Friedrich Schinkel 1830 die lange Transformation der Berlin-Mitte vom königlichen Regierungszentrum zum bürgerlichen Kulturzentrum. Mittlerweile ist die Museumsinsel zu einem Archipel der Kultur gewachsen und wuchert weiter. Daran knüpfen sich etliche Fragen, die auch die anderen Standorte der Staatlichen Museen berühren. Fragen nach der Qualität der umstrittenen Kunstscheune M20 von Herzog und de Meuron am Kulturforum und der ungeliebten Museumsmelange aus Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum, die sich dahinter anschließt. Aber auch nach dem inzwischen komplett abgehängten Museumsstandort in Dahlem. Wie wird langfristig das ehemalige Kasernengelände gegenüber über dem Bodemuseum genutzt? Es gilt als eine potenzielle Erweiterungsfläche der Museen und wird derzeit mit einem 360° Pergamon-Panorama bespielt. Zieht die Gemäldegalerie irgendwann doch dorthin, in die Nachbarschaft des Bodemuseums, in die sie aus kunsthistorischer Sammlungslogik auch gehört? Und welche Konsequenzen hätte das für das Kulturforum? Fragen über Fragen. Wäre es da nicht an der Zeit, einen Masterplan 2.0 für die Staatlichen Museen aufzulegen?

Unter solchen Gedanken wandert mein Blick vorbei an Chipperfields feinen Pfeilern zur Kuppel des neuen alten Schlosses, die noch eingerüstet ist. Sandsteinlicht lockt die übrige Fassade dieses neuen Humboldtforums bereits. Doch es wird noch ein Jahr dauern, ehe dieses seltsam aus jeder Zeit gefallene Post-Postmoderne Haus mit spätrationalistischen Einsprengseln seine Pforten öffnet. Dann endlich dürfen die Besucher hinauf, hinauf zum Restaurant stürmen, dessen Baukörper wie ein Menetekel über Balustrade und Dachschräge des Schlosses lugt. Was für eine architektonische Peinlichkeit.

Chipperfields James-Simon-Galerie überzeugt nicht nur durch ihre edle Harmonie und stille Größe, angesichts derer sich bei den Besuchern allfällige museale Schwellenangst schnell verflüchtigt. Das Haus veranschaulicht zugleich, was in Berlins Mitte an gebauter Qualität und an großartigen städtischen Räumen möglich gewesen wäre. Stattdessen hat man sich für ein rückwärtsgewandtes Geschichtskonstrukt entschieden und zugleich mit den Relikten der DDR-Architektur auch der gebauten Moderne die rote Karte gezeigt. Der großartigen Geste, die Mitte der Republik als Bildungs- und Kulturlandschaft zu definieren, steht die enttäuschende Mutlosigkeit gegenüber, der zeitgenössischen Architektur so wenig Raum zu gewähren. Welches Geschenk der Mut zur Gegenwart bedeutet, das haben David Chipperfield Architects mit ihren Bauten hier bewiesen. Mehr Gegenwart auf diesem Niveau hätte Berlins Mitte gutgetan. Die Museums- und Berlinbesucher jedenfalls hätte sie gewiss mit der gleichen liebevollen Neugier erobert, wie sie sich die James-Simon-Galerie ganz selbstverständlich zu eigen machen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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