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db deutsche bauzeitung 2019|11
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Traditionell voran

17 Apartments in Paris (F)

Das geförderte Wohnungsbauprojekt zeigt, dass sich die traditionelle Anmutung von Steinfassaden in unsere Zeit übertragen lässt und dabei statisch wie energetisch einiges zu leisten vermag. Holzdecken und Hanfbeton trimmen den eher konventionellen Massivbau auf Natur.

12. November 2019 - Amélie Luquain
Mit dem Massivstein haben die Architekten Thibault Barrault und Cyril Pressacco ein Baumaterial aufgerufen, dessen Qualitäten und Anwendungsmöglichkeiten weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Und sie waren verwegen genug, dem städtischen Sozialwohnungsbauträger RIVP (Régie Immobilière de la Ville de Paris) den Bau von Wohnungen aus Steinblöcken vorzuschlagen. Als 2011 die Entscheidung zugunsten ihres Entwurfs ausfiel, hatte der Bauträger durchaus Bedenken hinsichtlich der Kapazitäten der (Massivstein-)Lieferkette und der daraus resultierenden Kosten. Doch das Material passt sich so selbstverständlich in die fast schon klischeehaft-typische Pariser Straßenflucht ein – die Place de la République liegt zehn Gehminuten entfernt, bis zum traurig-berühmten Club Bataclan sind es fünf –, dass sich die ungewöhnlich erscheinende Wahl für das Haus mit 17 Wohneinheiten und einem Ladengeschäft auszahlt.

Der Neubau steht zwischen einem typischen ostpariser Vorstadtbau und ­einem ebenso typischen Haussmann’schen Stadtsanierungsbau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Straßenflucht folgend verkörpert der Steinbau den Übergang zwischen diesen beiden Typen – sofern er nicht gar Ausdruck eines dritten Wegs ist.

Auf der Rückseite zeigt sich ein differenzierter, terrassierter Baukörper, der aus dem Pariser Stadtgefüge und den städtebaulichen Vorschriften Vorteile zu ziehen versteht und durch seine L-Form mitten im Blockinnern ­einen Freiraum eröffnet.

Die Grundrissstruktur folgt dabei zwei Prinzipien: Zur Straße hin orientieren sich pro Stockwerk je eine Einzimmerwohnung und eine große durchgesteckte Wohnung mit zusätzlich einem nach Südwesten ausgerichteten Balkon. Im rückwärtigen gestuften Baukörper öffnet sich pro Ebene eine einzige Wohnung auf eine breite Terrasse. Mit jedem Rücksprung fällt ein Zimmer weg.

Materialfügung

Gleich auf den ersten Blick sind dem Gebäude seine 380 t Stein anzusehen, der aus den Steinbrüchen von Brétignac (Südwestfrankreich) stammt und dann in Angers behauen wurde. Zur Zeit der Ausschreibung ließen sich in der Massivstein-Lieferkette keine Kompetenzen im Großraum Paris finden.

Die massiven Steinblöcke sind 130 cm breit und in den oberen Geschossen 30 cm dick, im 1. OG aus statischen Gründen 35 cm. Der Verlegeplan verbietet es, die Reihen in einem Mauerverband gegeneinander zu versetzen, vielmehr fördert er den Eindruck als seien einzelne Blöcke zu tragenden Pfeilern aufgeschichtet worden. Auf diese Weise unterstreichen die Architekten die gedankliche wie auch tatsächliche Zugehörigkeit des Steins zum Tragwerk.

Durch die angeschrägte Eintiefung des Steins direkt um die Fensterlaibungen herum treten sowohl Pilaster einer vertikalen Ordnung als auch 190 cm breite Stürze und die Fensterbänke hervor. Die Fensteröffnung wird dadurch zum ornamentalen Element.

Auch wenn der Stein der sichtbarste Baustoff ist, so ist er doch nicht der ein­zige in diesem eigentlich hybriden Bauwerk. Die Steinfassade lastet auf Stahlbetonarkaden im EG, die, als Spitze des Eisbergs, das 15 m weit in die Tiefe reichende Material der Fundamente bis zum ersten Stockwerk hinaufführen. Der Beton findet sich auch als Gehebene im Hof, als Auskragung am Balkon oder als Kante an der Terrasse in Form von Ortbetonträgern, die die großen Spannweiten der Stürze überbrücken. Der Einsatz des Betons wird nicht versteckt, sondern klar thematisiert und zeigt an seiner geschliffenen Oberfläche die mineralische Natur seiner Zuschlagstoffe.

Ließ sich für die selbsttragende Fassade auch der druckfeste Naturstein verwenden, so werden die Geschossdecken doch von einer Metallkonstruktion getragen. Durchgängig und auf allen Ebenen gleichbleibend definieren drei Stahlrahmen pro Geschoss im straßenseitigen Bauteil eine mittig verlaufende Spange von Nass- und Nebenräumen und eine weitere entlang der Brandwand im rückwärtigen Flügel.

Zur Verringerung der Gesamtmasse des Gebäudes und um den Lasteintrag in die Fassaden zu mindern, wurden die Böden aus kreuzweise geleimten Sperrholzplatten (KLH) gebildet. Auf der Unterseite wurden diese roh und sichtbar belassen, obenauf erhielten sie ein Parkett aus massiver Eiche. Dazwischen gleichen die mehrere cm dicken Schichten von Heizestrich, Trittschalldämmung und Schüttung die akustischen Defizite des Holzbodens aus, was in dieser Ausführung in Frankreich nicht unbedingt zum Standard gehört.

Mit dem Ingenieurbüro für Statik und Thermik LM ingénieur haben die Architekten die Fassadenbekleidung abgestimmt und sich dabei die Eigenschaften des Steins zunutze gemacht, die zur Erfüllung der Anforderungen an den Lärmschutz, auch straßenseitig, ausreichend sind und im übrigen auch bezüglich Wärmedämmung besser abschneiden als Beton.
Die Steinwände sind mit Hanfbeton gedämmt (einer Mischung aus Schäben, einer aus Hanf gewonnenen Faser, Luftkalk und Wasser), der seiner diffusionsoffenen und hygroskopischen Eigenschaften wegen zur Anwendung kam. Er kann, ähnlich wie Lehm, Feuchtigkeit aufnehmen, die sich in Mikrotröpfchen verwandelt und dabei Kalorien abgibt, sodass sich die Wand erwärmt. Im Winter dampft die Feuchtigkeit aus und die eigentliche Dämmwirkung des Materials tritt hervor. Der Hanfbeton wurde von innen an die Steinfassaden gespritzt, dann geglättet und verputzt – und lässt mit seiner mineralischen Anmutung im Gegensatz zu den Holzoberflächen die Steinfassade im Innenraum zumindest assoziativ anklingen.

Tradition und Vorreiterrolle

Diese bauliche »Montage« ist Beweis für das Interesse der Architekten an »einem Baustoff, der seiner konstruktiven Funktion angemessen« und als solcher, ohne Bekleidung, erkennbar ist, wobei auch Nachhaltigkeit und Umkehrbarkeit gewährleistet bleiben. Für Thibault Barrault und Cyril Pressacco kommt es darauf an, dass »sich der richtige Baustoff an der richtigen Stelle ­befindet«.

Ursprünglich hatten sich die Architekten in Bezug auf ihre persönlichen Helden für Stein als Fassadenmaterial entschieden, als da sind Gilles Perraudin, der u. a. 2011 im korsischen Dorf Patrimonio ein Weinmuseum ganz aus Steinblöcken (und ein wenig Holz) errichtet hat, der auch literarisch in Erscheinung getretene Fernand Pouillon, Hardouin-Mansart, der Renaissance-Architekt Delorme und die Baumeister der Kathedralen.

Barrault und Pressacco beschwören damit die Architekturgeschichte, auch wenn sie sich im Gegensatz zu einem Perraudin, den sie in seinem konstruktiven Ansatz für zu exklusiv halten, den Notwendigkeiten der heutigen Zeit stellen und pragmatisch eine Vielzahl verschiedener Baustoffe verwenden, um im vorgegebenen Kostenrahmen bleiben zu können.

Das Pariser Wohnbaugebäude ist mit seiner Massivsteinstruktur zu einer markanten Schöpfung geworden und erst das dritte Bauwerk des 2009 gegründeten Büros. Über den Stein hinaus handelt es sich um ein hybrides Bauwerk, das durchaus auf die Pariser Bautradition verweist. Läge die Innovation also in der Bezugnahme auf das lokal Typische? Dafür stehen jedenfalls die oben genannten Architekten, die immer als Avantgardisten maßgebend waren, wie Barrault und Pressacco nicht ohne Bewunderung betonen. Nachdem sie die Ausschreibung FAIRE des Pariser Städtebau- und Architektur-Zentrums Pavillon de l’Arsenal gewonnen haben, forschen die beiden Architekten zu Massivstein und seiner Lieferkette.

[Aus dem Französischen von Angela Tschorsnig]

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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