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Haus in der Natur – Natur im Haus

»Grüne Erde Welt« in Pettenbach (A)

Beim Flagshipstore mit Produktionsstandort des Ökolabels Grüne Erde steht nicht allein das aus natürlichen Baustoffen errichtete Gebäude im Vordergrund. Im oberösterreichischen Pettenbach wurde viel Wert auch auf die Einbeziehung eines natürlichen Umfelds gelegt. Es entstanden Wohlfühlräume mit geringem ökologischen Fußabdruck.

12. November 2019 - Roland Pawlitschko
Grüne Erde wurde in Österreich Mitte der 80er Jahre mit dem Ziel gegründet, nachhaltig zu wirtschaften, ohne Mensch und Natur auszubeuten. Gab es zu Beginn nur ein Matratzenmodell, verfügt das Unternehmen heute über ein großes Sortiment aus Massivholzmöbeln, Modeartikeln, Naturkosmetik sowie Produkten der Bereiche Wohnen und Schlafen. Anfänglich erfolgte der Warenverkauf nur mittels Katalog, später kamen Läden in österreichischen und deutschen Städten sowie das Internet hinzu. Trotz 50 Mio. Euro Jahresumsatz bestehen noch immer unverändert hohe Ambitionen. So werden nur natürliche, nachwachsende Rohmaterialien eingesetzt, die ohne petrochemisch erzeugte Kunststoffe und genmanipulierte Stoffe auskommen; Produkte toter Tiere, wie z. B. Leder, sind tabu; Möbel bestehen aus Vollholz und enthalten keine Metallbauteile; und Rohstoffe wie Naturlatex werden im Ursprungsland des Kautschuks verarbeitet, um die Wertschöpfung vor Ort zu belassen. Hinzu kommen handwerklich geprägte Arbeitstechniken und eine schlichte, puristisch zeitlose Gestaltung. Doch wie ist es gelungen, diese Ansprüche in einen Flagshipstore zu übersetzen?

Einbindung in die Landschaft

Pettenbach im oberösterreichischen Voralpenland erwies sich als Standort für die »Grüne Erde Welt« aus mehreren Gründen als geeignet. Von hier ist es nicht weit zum Firmenhauptsitz in Scharnstein, und es gab ein Grundstück, das genug Platz bot, um das gesamte Produktangebot zu präsentieren, aber auch um Produkte wie z. B. Matratzen, Möbel und Textilien herzustellen.

Wesentlich war zudem die Lage inmitten von Wäldern, Wiesen und Bergen in einer dünn besiedelten Gegend unweit der Autobahn Wien-Salzburg. Um ihre Geschichte mithilfe eines neuen Hauses in der Natur möglichst stimmig ­erzählen zu können, suchten die Bauherren einen Planer, der sich mit der Natur genauso gut auskennt wie mit Häusern. Fündig wurden sie bei Klaus K. Loenhart – jenem Architekten und Landschaftsarchitekten, der 2015 mit seiner Planung für den österreichischen Pavillon auf der Expo Mailand Aufsehen erregte. Dort legten er und sein Studio Terrain einen gut 500 m² großen Wald mit Wassernebelanlage an, der für ein angenehmes Mikroklima, frische Luft und eine spürbare Temperaturabsenkung sorgte.

Der Weg ist das Ziel

Auf dem Weg zur Grüne Erde Welt ist das fast 200 m lange, eingeschossige Gebäude erst einmal kaum auszumachen, weil es vor einem bewaldeten Hügel von zahlreichen Bäumen, Büschen und Sträuchern verdeckt wird. Vom Kundenparkplatz aus müssen die Besucher 200 m zu Fuß zurücklegen. Dabei durchqueren sie eine üppig u. a. mit 450 Bäumen neu bepflanzte Grünfläche, die zuvor landwirtschaftlich genutzt war und heute aussieht wie eine ­Mischung aus Naturlandschaft, Bauerngarten und Gartenschau.

Vorbei an Gewächshäusern, Gemüse- und Blumenfeldern führt ein Schotterweg in organischen Schwüngen in Richtung Eingang, bis schließlich zur äußeren Stille eine mit Wohlgefühlen gepaarte innere Ruhe hinzutritt und das unspektakulär in den Baukörper eingeschnittene Entree zu sehen ist. Nach und nach wird deutlich, dass viele der Bäume lediglich ein Spiegelbild in der Glasfassade sind. Die schachbrettartig flirrenden Grautöne im Glas entstehen durch die Spiegelung des Himmels in den unterschiedlich stark geneigten, geschuppt angeordneten Scheiben – ein Effekt, der an ein Landart-Projekt denken lässt.

Schöne weite Welt

Der Eingangsbereich ist unscheinbar und kommt völlig ohne Werbebotschaften aus. Blicke von außen ins Gebäudeinnere sind allerdings nicht möglich, weil die Glasfassade kein Raumabschluss ist, sondern eine Holz-Ständerwandkonstruktion bekleidet. Wirkten die Grautöne aus der Ferne noch spielerisch leicht, erscheinen sie aus der Nähe abweisend. Dass die drei anderen Gebäudeseiten mit identisch großen Schuppen aus stimmungsvoll verwittertem, unbehandelten Weißtannen-Brettschichtholz bekleidet sind, erschließt sich erst, wenn man das Haus umrundet oder auf die Bistro-Terrasse hinaustritt.

Angesichts des als spiegelnde Barriere erscheinenden Gebäudes umso über­raschender ist die offene Durchlässigkeit im Innern. Da ist erst einmal der Geruch: frisch, unaufdringlich, mit einer leichten Note sanfter ­Naturkosmetik. Vor den Besuchern liegt ein lichtdurchfluteter Raum, geprägt von einem Tragwerk aus weiß lasierten Holzstützen und Leimholz-Dach­trägern aus Fichte. Basierend auf einem Rastermaß von 2,4 x 2,4 m sind die statisch als Rost wirkenden Deckenfelder und die Stützen ungleichmäßig verteilt, was ­eine flexible Nutzung zulässt und eine angenehme Mischung aus Klarheit und Unordnung ergibt. Der ebenso simple wie ästhetische, geschliffene Betonboden erscheint dank des verwendeten Weißzements ebenfalls hell. Hinzu kommen hell lasierte Holzmöbel, Warenträger und Produkte sowie insgesamt 13 von bodentiefen Glasfassaden umschlossene und üppig bepflanzte Innenhofinseln. Dass der sinnliche Ruhe ausstrahlende Raum offensichtlich weitläufig ist, aber dennoch nicht als Ganzes erfasst werden kann, lässt die Besucher unwillkürlich sofort auf Entdeckungsreise gehen.

Wald im Haus

Die jeweils mit österreichtypischen »Waldgesellschaften« bepflanzten Inseln übernehmen viele wichtige Aufgaben: Als sattgrüne Felder im durchgängig milchig-erdfarbenen Innenraum schaffen sie angenehme Kontraste. Sie gliedern auf subtile Weise den Weg durchs Haus und grenzen die offenen Bereiche voneinander ab. Sie bringen Tageslicht in die gestalterisch identischen Verkaufs- und Produktionsflächen und sorgen dafür, dass die Besucher nicht den Bezug zur Außenwelt verlieren. Zweifellos stehen die Waldinseln aber auch symbolhaft für die ökologische Ausrichtung und den Baum als Markenlogo des Unternehmens. Außerdem leisten sie (wie auch schon die Freiflächen vor dem Eingang) einen wichtigen Beitrag zur CO2-Kompensation und zur Verbesserung des Mikroklimas. Durch öffenbare Schiebefenster strömt ­frische würzige Waldluft ins Innere, die die Luftqualität verbessert. Die darüber hinaus nötige Belüftung stammt aus einer Lüftungsanlage, die Frischluft von einem Luftbrunnen am Waldrand direkt in die Bodenauslässe an den Fenstern bringt.

Die von Biologen genau definierten, teilweise mit Wassernebel besprühten Waldgesellschaften unterstützen zudem die natürliche sommerliche Kühlung. Den Rest des Kühlbedarfs übernehmen Heiz-Kühlschleifen im Boden, deren temperiertes Wasser aus einer Tiefenbohrung stammt. Der für die damit verknüpfte Wärmepumpe und für den Gebäudebetrieb erforderliche Strom kommt in ausreichender Menge von einer flächendeckend auf dem Dach ­installierten Photovoltaikanlage mit einer Nennleistung von rund 310 kWp.

Roter Faden Nachhaltigkeit

Die Ökologie- und Nachhaltigkeitsaspekte ziehen sich – meist für Besucher kaum merklich – als roter Faden durch das ganze Haus. Beispielsweise als Konstruktions- und Fassadenholz aus lokalen Wäldern, als langlebige Holz-Alu-Pfosten-Riegel-Konstruktion, als mit Schafwolle gedämmte Außenwände, aber auch in Form der Verwendung von Naturkautschuk statt erdölbasierter Kunststoffe oder der lösungsmittelfreien Lasuren der Holzoberflächen. Hinzu kommt noch ein Aspekt, der den Besuchern völlig verborgen bleibt: Auf dem Grundstück befand sich ehemals ein rund 50 Jahre altes Fabrikationsgebäude, das bis auf eine Lagerhalle komplett abgebrochen wurde. Die Halle blieb samt gespeicherter grauer Energie erhalten und wurde – ebenso wie eine potenzielle Erweiterungsfläche daneben – mit neuer Fassade in den Neubau integriert. Erhalten blieb auch der Footprint des Vorgängerbaus, sodass das heutige Gebäudeensemble nicht mehr Fläche versiegelt als zuvor. Außerdem wurden die Betonteile der abgebrochenen Bauten vor Ort geschreddert und als Unterboden für die geschotterten Wege wiederverwendet.

Vielleicht ist die Architektur der Grüne Erde Welt nicht ganz so hundertprozentig konsequent wie etwa die metallfreien Vollholzmöbel – das Holztragwerk ohne sichtbare Verbindungsmittel kam jedenfalls nicht gänzlich ohne Metallverbindungsteile aus. Letztlich ist sie aber ­tatsächlich genau das, was sie sein soll: ein Statement für die ganzheitliche Verbindung zwischen Haus und Natur. Und so zeigt das Gebäude wesentlich mehr Möglichkeiten auf als die meisten anderen Neubauten unserer Zeit.

Zugleich weckt es den Entdeckergeist und bietet gesunde Verkaufsflächen und Arbeitsplätze. Wie wohl sich die Gäste dort fühlen, könnten die Umsatzzahlen zeigen, die allerdings ebenso wenig öffentlich sind wie die Baukosten. Ein aussagekräftiger Indikator ist jedoch die Tatsache, dass die Küche des Bistros in naher Zukunft so umgebaut werden soll, dass sich dort mehr Speisen zube­reiten lassen. Die Gästezahlen scheinen also auf jeden Fall zu stimmen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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