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db deutsche bauzeitung 2020|01-02
Greige
db deutsche bauzeitung 2020|01-02

Lokalkolorit

Bürgerdienste der Stadt Ulm

Gestockter Sichtbeton prägt die Fassade des Neubaus der »Bürgerdienste der Stadt Ulm«, der dem Straßenraum an städtebaulich heikler Stelle ein markantes Gesicht gibt. Seine Materialfarbigkeit bringt der Beton auch ins Innere des Service-Rathauses.

21. Januar 2020 - Klaus Meyer
Zurzeit prägt schmutziges Baustellengrau die Gegend rund um den Ulmer Hauptbahnhof. Unmittelbar vor dem Hauptportal gähnt eine stahlbetonbewehrte Schlucht, in der mit Hochdruck an einer großflächigen Tiefgarage gearbeitet wird.

Gleich dahinter, wo auf 10.000 m² das Wohn- und Geschäftsquartier »Sedelhöfe« entsteht, verstellen hoch aufragende Rohbauskelette den Weg. Auch die Olgastraße, die vom Bahnhofsplatz abgeht, um dann westwärts dem Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer zu folgen, war bis vor Kurzem eine Baustelle. Man hat die vier Autospuren um Straßenbahngleise ergänzt, die Fahrbahndecke erneuert und die Gehwege verbreitert. Demnächst werden Bäume den »City Ring« säumen, denn die Verkehrsschneise soll sich nach und nach in einen Boulevard, wie es ihn bis in die Vorkriegsjahre hier gab, zurückverwandeln.

An die zerstörte städtebauliche Grandezza von einst erinnert am ehesten noch das imposante Landgericht, das 1898 im Stil der Renaissance an der Olgastraße 106 errichtet wurde. Ferner unterstreicht der jüngst restaurierte, ­expressiv-organische Bau des Theaters Ulm von 1969 die Bedeutung der Straße als Nahtstelle zwischen Alt- und Neustadt. Ansonsten beherrschten lange Zeit mediokre Büro- und Verwaltungsbauten das Straßenbild, das sich allerdings schon seit einigen Jahren wandelt. So sind im Rahmen des Entwicklungsprojekts »Zukunftskonzept Innenstadt 2020« einige Gebäude entstanden, die tatsächlich wieder so etwas wie boulevardesken Flair in den miefigen Verkehrsraum bringen. Dazu zählt das Geschäftshaus »Wengentor« von Stemshorn Kopp Architekten, das Bürogebäude der Staatsanwaltschaft von Schulz und Schulz, die Sporthalle für das Kepler- und Humboldt-Gymnasium von h4a sowie der Sitz der Handwerkskammer von Hotz+Architekten. Das jüngste Projekt dieser Art ist das vom Stuttgarter Büro Bez + Kock Architekten entworfene Gebäude der »Bürgerdienste der Stadt Ulm«.

Heimatliche Gefühle

Das im Januar fertiggestellte Service-Rathaus, das eine Vielzahl städtischer Dienststellen unter einem Dach vereint, hebt sich deutlich von der Umgebung ab. Mit seiner strengen Rasterfassade setzt es einen wohltuenden Kontrapunkt sowohl zum Baustellen-Chaos in Richtung Bahnhof als auch zur Bauklötzchen-Collage des unmittelbar benachbarten Handwerkskammer-Gebäudes. Zur angenehmen Wirkung tragen neben der strukturellen Klarheit aber auch Farbigkeit und Textur der Sichtbetonfassade bei. Dabei fällt es durchaus schwer, die Farbe der Gebäudehülle zu bestimmen. Ein vornehmes Grau scheint durch, aber auch ein freundlich-warmes Beige. Greige trifft es daher wohl am besten. Nun ist Greige ein Farbton, der seit Jahren in der Welt der Mode und des Interiordesigns immer mal wieder als Letzter Schrei aus­gerufen wird. Gefällt einem die Fassade deshalb? Zeigt sich das Geschmacks­urteil hier von kulturindustriellen Prägungen beeinflusst und vorgeformt? Mag sein – oder auch nicht. Denn im Grunde genommen bezeichnet das Etikett »Greige« ja nichts anderes als ein ganzes Spektrum von Farben, die in der Natur allgegenwärtig sind und auch in der Architektur von alters her Verwendung finden. Kalk, Sand, Kies, Gips, Granit, Zement, Beton und Terrazzo prägen mit ihren Greige-Tönen das Gesicht zahlloser Gebäude und ganzer Städte. Als Farben der Erde, die uns an Äcker, Felsgebirge oder Sandwüsten erinnern, sind sie uns ähnlich vertraut wie Grasgrün oder Himmelblau. Wahrscheinlich sind es urheimatliche Gefühle, die ihr Anblick in uns hervorruft. Der Aspekt der modischen Distinktion? Es mag ihn geben, aber für Martin Bez und Thorsten Kock spielte er bei der Fassadengestaltung des Bürgerdienste-Hauses allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Eher kam es den Architekten bei der Farbwahl darauf an, dem Gebäude so etwas wie ein Lokalkolorit zu verleihen. Um die Sichtschale der kerngedämmten Ortbetonkonstruktion wie gewünscht einzufärben, wurde der Betonmasse »Ulmer Weiß« beigemischt, ein in der Münsterstadt häufig verwendetes weiß-gelbliches Jurakalkgestein aus der Region. Richtig zur Geltung kommt dessen Farbigkeit freilich erst durch die handwerkliche Behandlung der Betonhülle. Die Flächen wurden gestockt, die Kanten scharriert. Nebenbei entstand auf diese Weise das natursteinähnliche Bild der Fassade.

Schräger Schnitt

Was die Form des Baukörpers angeht, so erscheint sie auf den ersten Blick ganz simpel: Über einem lang gestreckten zweigeschossigen Sockel erhebt sich an der Ostseite ein fünfgeschossiger Turm. Orthogonalität ist vermeintlich das Gesetz, das sowohl die Gliederung der Teile als auch die Form des Ganzen beherrscht – bis man die Abweichung bemerkt: Auf der Westseite ist der Turm leicht abgeschrägt, sodass er sich zur Olgastraße hin schlanker präsentiert als zur rückwärtigen Keltergasse hin, wo sich der Mitarbeiter- und Lieferanteneingang sowie die Zufahrt zum PKW-Aufzug für die Dienstfahrzeuge befinden.

Die Bürger, die einen Termin beim Meldeamt, bei der Ausländerbehörde, bei der Führerscheinstelle oder einer der anderen Dienststellen wahrnehmen möchten, betreten das Haus nicht auf einer der beiden Flanken, sondern auf der östlichen Stirnseite. Der Eingang ist dort in einen Gebäudeeinschnitt integriert, der im selben Winkel wie die westliche Turmseite abgeschrägt ist. Davor erstreckt sich ein kleiner Platz bis zur gegenüberliegenden Handelskammer. Auf diese Weise entsteht eine angemessen repräsentative Eingangssituation, die auch einen praktischen Vorteil bietet: Besucher können den Zugang sowohl von der Innenstadt als auch von der Olgastraße aus bequem erreichen.

Freundliche Präsenz

Maßgebend bei der Raumplanung war v. a. die Besuchsfrequenz. Die beiden Sockelgeschosse beherbergen demzufolge die großflächigen Servicebereiche mit viel Publikumsverkehr. Unmittelbar hinter dem Eingang befindet sich der Infotresen für den Erstkontakt mit den Besuchern. Von dort aus führt der Weg in den zentralen Wartebereich, der als doppelgeschossige Halle ausgebildet ist. Unterm Dach markiert eine großflächige Deckenleuchte den Platz, den idealerweise ein gläsernes Oberlicht hätte einnehmen sollen, doch die optimale Lösung, die den Atriumcharakter des Raums gestärkt hätte, ließ sich leider aus Kostengründen nicht realisieren. Dass die Wartehalle dennoch ­einen starken Eindruck macht, liegt an der Materialität des raumbildenden Rahmens. Wie bei der Außenfassade ist es auch hier gestockter, greigefarbener Sichtbeton, der den Ton angibt und der nördlichen Hallenwand, der umlaufenden Brüstung auf der Galerie sowie der Bewehrung der ins OG führenden Treppe eine Anmutung massiver und zugleich freundlicher Präsenz verleiht.

In Erscheinung tritt das charakterstiftende Material auch im fünf­geschossigen Turm, der weitere Servicestellen, Büros und Besprechungsräume beherbergt. Aus gestocktem Sichtbeton sind sowohl die Wände des tragenden Gebäudekerns als auch die Brüstungen der daran anschließenden Lufträume, die jeweils zwei Geschosse verbinden und die ansonsten nüchtern-funktional ausgestatteten Flurbereiche deutlich aufwerten.

Dass die Mélange aus weißen Wandflächen, grauen Streckmetalldecken und greigefarbenem Beton etwas eintönig wirken könnte, war den Architekten ­bewusst. Sie haben die Gefahr durch einen kräftigen Farbtupfer gebannt: Die Sitzkissen auf den von den Planern entworfenen Wartebänken und die schalldämpfenden Wandbespannungen der Serviceboxen in den Sockelgeschossen sind aus leuchtend rotem Filz und bilden einen belebenden Kontrast zum ­vorherrschenden Kolorit. Im Bereich der Wartehalle setzen zwei Wandfragmente aus rotem Backstein einen weiteren Akzent. Die Scheiben sind durch farblich hervorgehobene Streifen auf dem Terrazzoboden verbunden. Diese Streifen zeichnen den Grundriss eines Pulverturms aus dem 14. Jahrhundert nach, dessen Überreste im Zuge der Fundamentlegung des Gebäudes freigelegt wurden. »Der Fund brachte die Bauarbeiten erst einmal zum Stillstand und hätte das Projekt fast vereitelt«, sagt Martin Bez. Gut, dass es ­weitergegangen ist. Der Sitz der »Bürgerdienste der Stadt Ulm« gibt dem Straßenraum an einer städtebaulich empfindlichen Stelle ein neues, sympathisches Gesicht. Und mit seinem hellen und freundlichen Interieur bietet er den Besuchern eine sicherlich willkommene Erholung vom ewigen Bau- und Straßenlärm vor der Tür.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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