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db deutsche bauzeitung 2020|01-02
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db deutsche bauzeitung 2020|01-02

Wohltuender Widerpart

Erweiterungsgebäude des Landratsamts in Bad Kissingen

Stadtbaustein nennen die Architekten ihren Erweiterungsbau des Landratsamts in Bad Kissingen, der sich tatsächlich passgenau, als wäre es das letzte Stück eines Baukastens, in den Bestand fügt. Auch farblich gelang diese Einpassung. Beeindruckend, wie genau jedes Detail behandelt wurde. Das streng Geordnete dient dabei als wohltuender Widerpart des Spontanen, Gewachsenen, Vielfältigen ringsumher.

21. Januar 2020 - Christian Holl
Es herrscht trübes Wetter am Tag der Projektbesichtigung im November. Der Weg vom Bahnhof führt durch die Innenstadt des gerade mal knapp 25.000 Einwohner zählenden, aber selbstbewussten unterfränkischen Kurorts Bad Kissingen. Hier hat sich früher einmal die internationale Haute Vaulet zur Kur eingefunden, aber auch um Geschäfte zu machen, Politik zu betreiben oder sich dem ein oder anderen Techtelmechtel zu widmen.

Wenngleich es nicht mehr diese Bedeutung hat, steht Bad Kissingen heute gut da. Die Delle, die die Gesundheits-Strukturreform von 1996 hervorgerufen hatte, liegt in der Vergangenheit, zuletzt zählte man über 1,6 Mio. Übernachtungen im Jahr.

Selbst im November zeigt sich die Stadt alles andere als grau. Die Putzfassaden sind in verschiedenen Gelb-, Rot-, Braun- oder Grüntönen gehalten, Buntsandstein in rötlicher, grünlicher und gelblicher Tönung ist zu finden, Ziegel-, Metall- und Betonfassaden ebenso. Mögen auch die hellen und warmen Farben überwiegen – der etwas weiter gefasste Kontext gibt keine eindeutige Empfehlung dafür ab, wie hier ein neuer Baukörper zu gestalten ist.

Das galt auch für den Erweiterungs-Neubau des Landratsamts, selbst dann, wenn man nur dessen Nachbarbebauung am Altstadtrand ins Visier nimmt. Er war notwendig, um dem gestiegenen Platzbedarf Rechnung zu tragen. Zwei niedrigere Gebäude aus der Nachkriegszeit wurden dafür abgerissen. 2019 eröffnet, ergänzt er zwei Bestandsbauten des Amts. Einer davon, gerade frisch saniert und energetisch ertüchtigt, ist aus den 60ern und besteht aus einem freistehenden Sitzungssaal mit einer dunkel eloxiertem Metallhülle sowie einem Verwaltungsbau, dessen weiße Fassade zeittypisch das Skelettraster der Tragstruktur ablesbar macht – inklusive Staffelgeschoss und Flugdach. Der andere, aus den 80ern, zeigt den eher hilflosen Versuch, historische Formen zu adaptieren: mit Krüppelwalmdächern und weißgerahmten, ockerfarbenen Fassadenelementen über einem grauen Natursteinsockel, wenig elegant proportioniert. Weitere Nachbarn des Erweiterungsbaus sind u. a. ein Fachwerkhaus mit ockerfarbenen Ausfachungen, Gebäude mit sand- und orangefarbenen Putzfassaden, eine davon bemalt. Letztlich diente den Architekten der mächtige Sandsteinbau des Rathauses in Sichtweite, 1709 als Adelssitz errichtet, als entscheidende Referenz für die Fassade des Neubaus.

Gut ausbalanciert

Schon im Wettbewerb, den Steimle Architekten 2016 nach einem Bewerbungsverfahren gewinnen konnten (ein zweiter Preis wurde nicht vergeben), hatte man das Fassadenmaterial definiert, an dem bis zur Realisierung festgehalten wurde: großflächige Betonfertigteile, die mit Zuschlägen aus Mainsand und Kalkstein eine dem Sandstein ähnliche, hellbeige Farbe bekommen. Die Betonfertigteil-Fassade soll die angestrebte monolithische Wirkung des prägnant und kompakt proportionierten Bauvolumens unterstreichen. Es wirkt, als wären ein drei- und ein viergeschossiger Baukörper ineinandergeschoben. Dadurch nimmt das Gebäude die unterschiedlichen Höhen der Umgebung auf: Zum Rathaus und den niedrigeren Nachbarn hin ist es dreigeschossig, zu den höheren Bestandsgebäuden des Amts wiederum viergeschossig.

Wie aus einzelnen Quadern genau in den Kontext eingepasst, ergeben sich dabei leichte Rücksprünge, führen zum Haupteingang an der Nordseite und lassen auf der Westseite eine Lücke zur Nachbarbebauung, sodass der Charakter der Altstadt aus kleinen Plätzen und Gassen fortgeschrieben wird. Der Stadtbaustein, wie die Architekten das Haus nennen, wird dem Kontext eingefügt, ohne jedoch auf eine eigenständige Präsenz im Stadtraum zu verzichten.

Die Balance aus Eingliederung und Selbstbewusstsein der Zeitgenossenschaft ist auch an der Fassadendifferenzierung abzulesen: Sockel und Faschen, beide leicht eingerückt, sind aus scharriertem Beton, wirken dadurch etwas heller und gehen ins Gräuliche. Die champagnerfarbenen Fensterrahmen aus eloxiertem Aluminium sind farblich fein darauf abgestimmt. Selbst die Sonnenschutzblenden zeigen sich in der Farbe der Betonfertigteile, sodass auch bei Verschattung der Fenster der homogene Charakter nicht beeinträchtigt wird. Einen kräftigen Kontrast dazu bildet das Dunkelbraun des Verbindungsstegs zwischen Neubau und Bestand im 2. OG sowie des eingeschobenen Volumens für den Sitzungssaal im EG an der Nordwestecke. Nie steht in Zweifel, dass dies ein moderner Bau ist, aber genauso wenig sollte er nach Absicht der Architekten seine Nachbarn übertrumpfen oder erdrücken – was auch bestens funktioniert.

Lohnender Aufwand

Viel Wert wurde auf die sehr akkurate Planung und Verarbeitung der Beton-Fertigteile gelegt. So auch bei ihrer Farbgebung, die man in mehreren Varianten bis hin zum Maßstab 1:1 untersuchte – zu wichtig war sie den Planern, als dass man sie dem Zufall hätte überlassen wollen. Das gilt auch für weitere ­Details: Die geschlossenen Fugen zwischen den Betonfertigteilen sind ockerfarben besandet, die Betonoberflächen selbst wurden gesäuert, um eine leicht strukturierte Oberfläche, die das Licht in einer dem Sandstein vergleichbaren Weise bricht, zu erzeugen. Die einzelnen Fertigteile zeigen sich ein klein wenig unterschiedlich, was der Gesamtwirkung aber eher guttut als schadet. Der Aufwand hat sich gelohnt – farblich vermittelt das Haus gelungen innerhalb seiner heterogenen Nachbarschaft, es ergänzt die eigenwilligen Nachbarbauten, anstatt sie herauszufordern.

Damit Regenwasser nicht bald schon Spuren hinterlässt und den makellosen Eindruck trübt, wurden die Fertigteile tiefenhydrophobiert. Das müsse man, so die Architekten, sicher irgendwann wiederholen, eine Betonfassade muss eben gepflegt werden, wie Putzfassaden auch.

Von außen fallen zudem wenige, bündig in der Fassade stehende, geschosshohe Fensterelemente auf – diese Prallscheiben aus Sonnenschutzglas zeigen an, wo die Flure liegen. Weiß man dies, könnte man also von außen bei sehr sorgfältiger Analyse schon erkennen, wie das Innere organisiert ist: Wie Windmühlenflügel sind die einzelnen Bürotrakte um einen zentralen Kern angeordnet, der wie die Geschossdecken aus Sichtbeton ist. Die Bauteile lassen sich somit thermisch aktivieren: Wasser vom nahegelegenen Liebfrauensee, der in einem unter dem Haus durchführenden Kanal mündet, kann zur Raumtemperierung genutzt werden. Der Kanal im Untergrund ist vor dem Haus an einer Stelle geöffnet, sodass er nicht vollkommen verborgen bleibt. Auf dem Dach des viergeschossigen Gebäudeteils ist eine Photovoltaikanlage installiert. Da man von den obersten Fluren auf das Dach des dreigeschos­sigen Bereichs sieht, verzichtete man dort darauf.

Nichts Nebensächliches

Wie an der Gebäudehülle hat man auch im Innern sehr penibel darauf geachtet, dass sich das Gebäude als präzise ineinander gefügtes Volumen zeigt. Kein Detail war zu nebensächlich, um es nicht zu beachten. Fugen und Spann­löcher der Sichtbetonflächen sind akkurat gesetzt und aufeinander abgestimmt. Der gläserne Aufzug gewährt im Treppenhaus den Blick über die Geschosse hinweg: Überall sind die einzelnen Bauteile streng flächenbündig gesetzt. Beschläge und Türbänder sind so angebracht, dass sie nicht stören. Nischen, etwa vor den Teeküchen und den Sanitärräumen, wurden in einem weiß lasierten Eichenfurnier eingefasst, sodass sie wie saubere Inlays wirken.

Der Fußboden ist in den Büros mit einem »Enomer«-Bodenbelag, in den ­Fluren mit 60 x 120 cm messenden, hellgrauen Großformatfliesen belegt, im Sitzungssaal kamen sie sogar in einem großzügig wirkenden und anspruchsvoll zu verarbeitenden Format von 120 x 240 cm zum Einsatz. Die Trockenbauwände in hellem, fast weißem Cremeton gehalten, wurden mit einer schmalen Fuge von der Sichtbetondecke abgesetzt und auch die Türen erhielten eine umlaufende Schattenfuge. Die Büros werden akustisch durch von der Decke abgehängte Baffeln gezähmt und die ­Fenster können erfreulicherweise von den Mitarbeitern nach eigenem Bedarf geöffnet werden.

Ist im Kontext des unregelmäßigen und vielfältigen Außen die Präzision und ruhige Farbgebung wohltuend und beruhigend, so bekommen sie im Innern fast schon etwas Erzieherisches. Der große Ehrgeiz, Fugen, Bauteile, Farb­nuancen aufeinander abzustimmen, das Fehlen von Fehlern oder Unfertigem macht es schwer, sich vorzustellen, wie sich das Haus durch die Nutzung und die (warum auch nicht) bisweilen eigenwilligen Vorlieben der Menschen, die hier arbeiten, verändern wird – und ob es das eigentlich darf. Dass die Fläche sehr effektiv genutzt wurde und das Innere so kaum Großzügigkeit ausstrahlen kann, ist nicht den Architekten anzulasten.

Vielleicht hätte im Innern ein bisschen Farbe dann doch gutgetan. Ein wenig Farbe holen aber dann doch die Ausblicke ins Haus: Die Stadt ist bunt, selbst im November.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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