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db deutsche bauzeitung 2020|01-02
Greige
db deutsche bauzeitung 2020|01-02

»Neutraler« Farbton für den Kunstkoloss

Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne (CH)

Als wuchtiges Volumen steht das neue Kunstmuseum von Lausanne neben dem Bahnhof. Um Raum für einen Vorplatz zu schaffen, wurden die historischen Lokremisen weitgehend abgerissen. Die dezente Farbigkeit der Klinkerfassade soll eine gewisse Neutralität erzielen. Das gelingt auch, aber im Innern wirkt die konsistente Farbigkeit in Greige eher steril. Was aber auch mit der problematischen Abfolge der Räume zu tun hat.

21. Januar 2020 - Hubertus Adam
Es gibt immer wieder einmal in der Schweiz tätige ausländische Architekturbüros, die, um es salopp auszudrücken, fast schweizerischer bauen als die Schweizer selbst. Dazu könnte man etwa die Briten Caruso StJohn und Sergison Bates zählen. Und, jüngstes Beispiel, Barozzi Veiga. Gleich drei Projekte konnte das in Barcelona beheimatete Büro in den vergangenen Jahren in der Eidgenossenschaft fertigstellen: die Erweiterung des Bündner Kunstmuseums in Chur, das Tanzhaus in Zürich und den im Oktober 2019 eröffneten Neubau des Musée Cantonal des Beaux-Arts in Lausanne. Bei letzterem war die Planungsspanne am längsten: 2010 fand der Wettbewerb statt, in den Barozzi Veiga auf dem Nachwuchsticket einrückten und der ihnen am Ende den Sieg der fachlich von David Chipperfield präsidierten Jury bescherte – und damit ihr erstes Projekt in der Schweiz. Der Bau neben dem Bahnhof ­polarisiert. Manche halten ihn für monströs. Das ist etwas übertrieben. Aber Barozzi Veiga, als deren bislang wichtigstes Werk wohl die Philharmonie in Stettin gelten kann, machen es den Besuchern generell nicht leicht, ihre Architektur ins Herz zu schließen. Vielleicht muss man aber in Lausanne dankbar sein, dass der Neubau des kantonalen Kunstmuseums zustande gekommen ist, denn der Weg dorthin war für das Musée Cantonal des Beaux-Arts (MCBA) mühsam.

Daher zunächst ein Blick zurück. Die Ursprünge des Museums wurzeln in Kunstsammlungen und Stiftungen von Künstlern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Kollektion wuchs sukzessive, 1906 konnte die Institution Räumlichkeiten im Palais de Rumine beziehen, einem neu errichteten Gebäude im Stil der Florentiner Renaissance. Der Prachtbau an der Place de la Riponne beherbergte diverse Kulturinstitutionen des Kantons; verschiedene Museen, die Bibliothek und die Universität. Konsequenz: Für das MCBA stand nur ein Geschoss zur Verfügung. Schon 1924 forderte der Direktor ein eigenes Haus, doch es sollte bis 1991 dauern, ehe die politische Entscheidung hierfür fiel. Nach zwei gescheiterten Versuchen, der Sammlung endlich zu einer neuen Heimat – zunächst am Ufer des Genfer Sees und dann am Rande der Altstadt – zu verhelfen, fiel schließlich die Entscheidung für einen Standort nahe dem Bahnhof. Gewissermaßen handelte es sich um einen Kompromiss, denn der Bahnhof liegt nicht oben in der Altstadt und nicht unten am See, sondern auf halbem Weg dazwischen und auf halber Höhe am Hang. Außerdem befanden sich hier ausgedehnte Hallen für das Abstellen und für die Reparatur von Lokmotiven. Die Gebäude wurden nicht mehr benötigt und harrten ohnehin einer neuen Nutzung, sodass die Stadt das Gelände im Austausch mit einer anderen Parzelle von den Schweizer Bundesbahnen erhielt. Auch das nahm, wie man zurecht kalkulierte, möglichen Gegnern den Wind aus den Segeln. Und schließlich wurde der Neubau des MCBA nicht mehr als singuläres Projekt vorangetrieben, sondern zusammen mit Neubauten für das auf Fotografie spezialisierte Musée de l’Elysée und das mudac, das Museum für Design und angewandte Kunst.

Neuanfang statt Umbau

Der Wettbewerb 2010 betraf also nicht nur das Neubauprojekt für das MCBA, sondern umfasste auch einen städtebaulichen Masterplan für die Umwandlung des ehemaligen CFF-Geländes in ein Kulturareal.

Die einstigen Lokomotivhallen befanden sich zwar niveaugleich unmittelbar westlich des Bahnhofs von Lausanne. Dennoch ist das langgestreckte Terrain hinsichtlich seiner Proportion und Lage nicht ohne Probleme. Auf der Süd­seite grenzt es unmittelbar an die vielbefahrenen Bahngleise Richtung Genf, Richtung Westen ist der Durchgang versperrt, und auf der Nordseite wird es durch Stützarkaden und Wohnbauten am steilen Hang begrenzt.

Der älteste Teil der Lokomotivhallen war schon 1911, also zur Bauzeit des 1916 eröffneten Bahnhofsgebäudes, fertiggestellt worden; seine Erhaltung wurde in der Wettbewerbsauslobung empfohlen, war aber für die Teilnehmer nicht verpflichtend.

Barozzi Veiga, die Überraschungssieger des Wettbewerbs, zählten zu den Architekten, die für den weitgehenden Abriss des Bestands optierten. Sie komprimierten das Raumprogramm zu einem 145 m langen, 21 m breiten und 22 m hohen orthogonalen Volumen, das im Süden nahe an die Gleise rückt und damit im Norden Platz für einen weitläufigen Platz lässt. Diese städtebaulich großzügige Lösung, die bei Erhalt der das Gelände weitgehend ausfüllenden historischen Hallen nicht realisierbar gewesen wäre, gab letztlich den Ausschlag für das Votum zugunsten des katalanischen Büros.

Wider den Bilbao-Effekt

Das Museumsprojekt hat sich zwischen Wettbewerbsgewinn und der durch Einsprachen von Anliegern verzögerten Realisierung nur in Details verändert, beispielsweise hinsichtlich der auf Wunsch der Museumsleitung ver­größerten Raumhöhe im obersten Geschoss. Schon im Wettbewerb aber setzten die Architekten auf die Blockhaftigkeit des weitgehend geschlossenen Volumens, die Rhythmisierung durch die geschosshohen lamellenartigen Pfeiler auf der Nordseite und einen Ziegelsteinmantel in einer – so die Wertung der Jury – »relativ neutralen Farbe«. Zur Anwendung kamen schließlich weißgraue Klinker eines deutschen Herstellers. Die Homogenität des Volumens weicht in der Nahsicht zurückhaltender Belebung, da dann die brandbedingt leicht unterschiedlichen Färbungen der Klinker und die Nachbehandlung der Fugen durch Aufrauung mit einem Stäbchen erkennbar werden. Erklärtes Ziel der Architekten war eine zurückhaltende Farbigkeit, die sich sowohl mit der technisch-industriellen Tradition des durch die Bahn bestimmten Orts als auch mit den hellen Natursteinbauten Lausannes vertrüge. In Form von Riemchen umhüllen die Klinker auch die insgesamt 84 Wandpfeiler der Nordseite, die jeweils aus vier vorfabrizierten Elementen bestehen, auf der Baustelle zusammengesetzt und mit dem Stahlbeton-Rohbau des Museums verbunden wurden. Nähert man sich dem Gebäude vom Bahnhof aus, also von der Ostseite, so zeigt sich das Volumen aus der Schrägperspektive zunächst verschlossen. Schritt für Schritt wird dann erkennbar, dass sich hinter den kolossalen Wandpfeilern eine Reihe von Fenstern verbergen. Dies betrifft in hohem Maße das EG mit seinen eher öffentlichen, dem Vorplatz zugewandten Nutzungen wie Eingangsbereich, Bookshop und Café. Die Stirnseite des Gebäudes, an der ein vorgeblendetes Metallprofil an den Schnitt einer der hier vorher bestehenden Hallen erinnert, zeigt sich ­vollkommen verschlossen, und auch die Südseite ist weitestgehend ohne Öffnungen. Hier gab es keine Alternative, denn die Nähe zu den Gleisen erforderte angesichts der Tatsache, dass an dieser Stelle 1994 schon einmal ein Gefahrgutzug ­entgleiste, höchste Sicherheit für die Sammlungsstücke und damit den Verzicht auf Fenster.

Man habe kein Centre Pompidou gewollt, auch kein Guggenheim Bilbao, betonen Architekten und Direktion unisono, sondern Räume ganz im Dienste der Kunst. Und so erklärt sich auch, dass es kein Restaurant im obersten ­Geschoss mit Blick über den Genfer See gibt, wie es im Vorfeld immer wieder gefordert worden war. Denn das hätte die Möglichkeit erschwert, das oberste Geschoss natürlich zu belichten. Den Blick auf den See zu verweigern, das war ein Konzept, das auch Peter Zumthor seinem Kunstmuseum in Bregenz zugrunde legte. Doch eine komplementäre Radikalität bei der Konzeption der Museumsräume, mit der das Museumsgebäude in Vorarlberg bis heute überzeugt und beeindruckt, erzielen Barozzi Veiga nicht. Weiße Wände, helles Parkett, Schattenfugen, viereckig geführte Lichtbänder im 1. OG, eingehängte Deckenraster aus Metall im 2. OG, die Tageslicht gefiltert durchlassen, aber auch für Kunstlicht geeignet sind: Ohne Zweifel haben die Architekten aus Barcelona bei ihrem ersten realisierten Museumsprojekt mit viel Sorgfalt für das Detail Räume geschaffen, die gut funktionieren. Und doch hält sich beim Parcours durch die Säle die Begeisterung in Grenzen. Die Atmosphäre bleibt steril.

Man könnte auch sagen: etwas konventionell. Es fehlt an Schwerpunktsetzung, an Dynamik. Besonders problematisch aber ist die Beziehung zwischen Erschließungszonen, öffentlichen Bereichen und den eher stereotyp gereihten Sälen für Sammlung und Sonderausstellungen. Betritt man das Museum am Haupteingang, so steht man in der gewaltigen Eingangshalle. Eine breite Freitreppe führt hinauf auf ein Podium in einem Gewölberaum mit einem großen halbkreisförmigen Fenster. Es handelt sich bei diesem Annex um das einzige Relikt des Lokomotivschuppens. Doch den zuvor offenen Dachstuhl haben die Architekten mittels eines historisch nicht vorhandenen Gewölbes in einen monumentalen »Thermenraum« verwandelt, der die Eingangshalle sakralisierend auflädt. Das wirkt aber nicht spielerisch-ironisierend, auch der Kontrast zwischen Blick auf Schienensträngen ­sowie Alltagswirklichkeit und ästhetischem Separatraum des Museums, wie man ihn zur Zeit der Postmoderne geliebt hätte, wird hier nicht zum Thema. Manches wirkt letztlich unausgegoren, etwa wenn die Architekten die Stufen als »Bänke« bezeichnen, obwohl die Atmo­sphäre des Raums kaum dazu einlädt sich hier niederzulassen. Auf beiden Seiten der Freitreppe führen nunmehr enge Treppenkatarakte empor zu den Ausstellungsräumen beidseitig der Mittelhalle. Im 1. OG, das – anders als heute praktiziert – ursprünglich der Sammlung vorbehalten sein sollte, sind die beiden Saalfolgen als Enfiladen organisiert, im obersten Geschoss findet sich überdies eine flexible Halle von 700 m², die sich durch verschiebliche Wände temporär unterteilen lässt. Eine weitere gegenläufige Treppenkaskade, diesmal von Stufenpodesten begleitet, verbindet die Geschosse weiter im Westen des Gebäudes.

Die Platzfläche vor dem Museum wird von großen, wie aus dem Boden geschnittenen und angekippten Betonscheiben akzentuiert. Vielleicht sind sie von der versenkten Lok-Drehscheibe inspiriert, die wie einige im Asphalt verlaufende Gleisstränge noch von der ursprünglichen Nutzung des Orts zeugen. »Plateform 10« heißt das neue Museumsquartier – es ist der Bahnsteig der Kultur neben den neun Bahnsteigen des Bahnhofs. 2021 sollen die anderen beiden Museen eröffnen, für die nach Plänen von Aires Mateus ein gemeinsames Gebäude westlich des MCBA entsteht. Erst 2026 werden mit dem Umbau des Bahnhofs samt Trassierung einer neuen Metrolinie die Arbeiten in der Umgebung abgeschlossen sein. Schon jetzt erhofft man sich die Signalwirkung des Museumsbaus unmittelbar an der Einfahrt zum Bahnhof Lausanne. Auffällig mag die mächtige Ziegelwand mit der heraustretenden Spolie der historischen Hallenstirn sein. Auf das Alibi des aus der Gebäudemasse tretenden Stummels hätte sich jedoch auch verzichten lassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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