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tec21 2006|36
Hochwasserschutz
tec21 2006|36
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Seeregulierung

Bei der Regulierung der Seen sind verschiedenste Interessen zu berücksichtigen, die zum Teil widersprüchlich sind.
Oft geht es um den Konflikt zwischen den Seeanliegern und den Unterliegern. egulierreglemente legen deshalb genau fest, wie die Wehre zu bedienen sind. Derzeit laufen verschiedene Projekte, die eine höhere Ausflusskapazität aus den Seen und damit eine bessere Regulierung des Seespiegels zum Ziel haben und somit auch einen besseren Schutz vor Hochwasser bieten sollen.

4. September 2006 - Lukas Denzler
In der Schweiz lassen sich mit Ausnahme des Boden- und des Walensees alle grösseren Seen regulieren. Mit der Seeregulierung wird versucht, den Seespiegel innerhalb einer bestimmten Bandbreite zu halten – nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief. Bei hohem Seestand kommt es zu Überflutungen an den Seeufern, bei tiefem muss die Schifffahrt eingestellt werden, und steile Uferböschungen rutschen ab. Die Regulierung des Seespiegels erfolgt über ein Wehr. Dieses gibt den Ausfluss frei, wenn der See zu hoch liegt, und es drosselt, wenn der Seeabfluss zu gross wird. Nicht immer gelingt dies optimal. In Extremsituationen, wenn etwa die Zuflüsse sehr viel Wasser in den See leiten, kommt es zu Überschwemmungen, obwohl das Wehr vollständig geöffnet ist. Schuld daran ist in der Regel nicht das Wehr, sondern die zu geringe Abflusskapazität. Auf der anderen Seite gelangt bei sehr tiefem Wasserstand auch nur wenig Wasser in den Ausfluss. Dank dem Wehr ist es aber möglich, Wasser im See für trockene Perioden zu speichern und so einen relativ ausgeglichenen Abfluss zu gewährleisten.[1]

Seen als Rückhaltebecken

Bezüglich Hochwasserschutz haben Seen wichtige Funktionen: Sie halten Geschiebe zurück und wirken als Rückhaltebecken, wobei letzteres ausgleichend auf die Wasserführung unterhalb des Sees wirkt. Dies ist auch der Grund, weshalb Fliessgewässer im Rahmen der grossen Flusskorrektionen in Seen umgeleitet wurden. In der Schweiz sind dies: die Kander in den Thunersee (1711–1714), die Linth in den Walensee (1807–1816), die Aare in den Bielersee (1868–1891) und die Melchaa in den Sarnensee (1880). Doch Flussumleitungen lösen nicht nur Probleme, sie können auch unerwünschte Nebeneffekte haben. So wurde mit der Umleitung der Kander das Einzugsgebiet des Thunersees auf einen Schlag verdoppelt, und der Zufluss erhöhte sich um mehr als 60 Prozent. Damit verschärften sich die Probleme in Thun; Anpassungen beim Aareausfluss waren unumgänglich.[1]

Dieses Nadelöhr beschäftigt Thun und den Kanton Bern bis heute. So ist der Thunersee in den letzten acht Jahren gleich zwei Mal massiv über die Ufer getreten (im Mai 1999 und im August 2005). Laut Bernhard Schudel, der im Kanton Bern beim Wasserwirtschaftsamt für die Seeregulierung zuständig ist, bereitete der Thunersee vor diesen beiden Ereignissen während 30 Jahren relativ wenig Probleme. Gemäss Statistik der Höchstwasserstände am Thunersee wurde zwischen 1975 und dem Ereignis von 1999 die Marke der Hochwassergrenze lediglich drei Mal erreicht, aber kaum überschritten. «Bei den Fliessgewässern hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass diese mehr Raum benötigten», sagt Schudel. «Aber eigentlich müsste auch den Seen mehr Raum zugestanden werden.» Mittels Seeregulierung kann der Seespiegel zwar meistens innerhalb einer bestimmten Bandbreite gehalten werden. Bei Extremereignissen ist der Speicher des Thunersees jedoch rasch gefüllt. Der Schwankungsbereich des Seespiegels ist nämlich auf 1.3 m beschränkt. Der mittlere Sommerwasserspiegel liegt jedoch lediglich 50 bis 60cm unter der Hochwassergrenze. Ist der Speicher voll, dann steigt der Seespiegel trotz vollständig geöffneter Schleusen so lange an, bis der Abfluss gleich gross ist wie die Summe aller Zuflüsse.[2]

Seeanlieger versus Unterlieger

Bei der Seeregulierung liege der Hauptkonflikt heute genau gleich wie früher bei den unterschiedlichen Interessen der Seeanlieger und der Unterlieger, erklärt Schudel. Während die Seeanlieger bei hohem Seestand möglichst viel Wasser ablassen wollen, fürchten sich die Menschen am Unterlauf vor zusätzlicher Hochwassergefahr. In ihren Augen ist ein See, der über die Ufer tritt, zwar unangenehm, aber weit weniger gefährlich als reissende Wassermassen, die Leib und Leben bedrohen. Seeregulierreglemente sollen diesen Konflikten vorbeugen. Sie halten genau fest, wie die Wehre zu bedienen sind. Sind verschiedene Kantone betroffen, so ist das Regulierreglement durch den Bundesrat zu genehmigen. Früher stand der Hochwasserschutz unangefochten im Zentrum. Auch heute noch ist der Schutz vor Überschwemmungen zentral. Doch weitere Anliegen wie etwa der Natur- und Landschaftsschutz, der Tourismus, die Fischerei, das Grundwasser und die Stromproduktion sind hinzugekommen. Nicht selten handelt es sich dabei um widersprüchliche Interessen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Würde beispielsweise der Seespiegel über eine längere Zeit auch nur 10 bis 20cm tiefer gehalten, so würde sich das auf die Lebensräume im Uferbereich auswirken. Dies zeigt, wie komplex Hochwasserschutz ist, und auch, dass es sich dabei um eine hochpolitische Angelegenheit handelt.

Anders als der Thuner- und der Brienzersee verfügen die Jurarandseen (Bieler-, Neuenburger- und Murtensee) über ein beträchtliches Speichervolumen von 460 Mio. m3. Der Pegelstand von diesen zusammenhängenden Seen wird im Regulierwehr Port beim Ausfluss der Aare bei Biel reguliert. Je nachdem, wie die Wehrschützen gestellt werden, fliesst mehr oder weniger Wasser die Aare hinunter. Die Abflussmenge wird durch den Regulierdienst des Wasserwirtschaftsamtes des Kantons Bern festgelegt. Die Umsetzung erfolgt in normalen Zeiten durch die Betreiberin des Flusskraftwerks, das sich gleich neben dem Regulierwehr befindet. Bei Hochwasser wird das Kraftwerk ausser Betrieb genommen, und das Senken und Heben der Wehrschützen erfolgt direkt durch Mitarbeitende des Wasserwirtschaftsamtes in Bern.

Mit der ersten Juragewässerkorrektion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Aare, die früher bei Aarberg parallel zum Bielersee Richtung Solothurn floss, über den Hagneckkanal in den Bielersee umgeleitet. In Biel wurden provisorische Wehranlagen errichtet. Diese genügten jedoch bald nicht mehr. In den Jahren 1936 bis 1939 wurde in Port bei Biel im Nidau-Büren-Kanal ein neues Regulierwehr errichtet. Zusätzlich zur Regulierung der Seestände dient es auch als Brücke für den Verkehr. Die Schleuse ist für bis zu 50 m lange Schiffe passierbar, und das beim Regulierwehr vorhandene Gefälle wird seit 1995 zur Stromproduktion genutzt.

Höchstens 850 m³/s in Murgenthal

Die Juragewässerkorrektion war politisch eine langwierige Angelegenheit. Die unterhalb des Bielersees an der Aare gelegenen Kantone Solothurn und Aargau befürchteten, dass die Jurarandseen-Kantone Bern, Neuenburg, Freiburg und Waadt das Wasser einfach möglichst schnell aus ihrem Gebiet ableiten wollten. Um dies zu verhindern, vereinbarten die Kantone, den Ausfluss aus dem Bielersee in die Aare in guten wie in schlechten Zeiten nicht über einen bestimmten Wert ansteigen zu lassen. Entscheidend ist dabei der Abfluss der Aare bei der Messstelle in Murgenthal an der Grenze Bern-Aargau. An dieser Stelle darf die Abflussmenge höchstens 850 m³/s betragen. Wenn die Emme, die bei Solothurn – also noch vor Murgenthal – in die Aare mündet, Hochwasser führt, dann muss der Abfluss in die Aare beim Regulierwehr Port vorübergehend gedrosselt werden – auch wenn die Pegelstände am Bielersee am Steigen sind. Strömt gleichzeitig viel Wasser durch die Aare in den Bielersee, so dreht sich die Fliessrichtung des Zihlkanals um. Das Wasser läuft dann nicht wie üblich vom Neuenburger- in den Bielersee, sondern in umgekehrter Richtung zurück in den Neuenburger- und den Murtensee. Dieser Vorgang benötigt jedoch Zeit. Im August 2005, als in kurzer Zeit sehr viel Wasser in den Bielersee strömte, reichte die Kapazität des Zihlkanals nicht aus, um eine rasche Entspannung der Hochwassersituation am Bielersee herbeizuführen.[2]

Normalerweise erfolgt die Regulierung der Jurarandseen anhand eines so genannten Linienreglementes. Für jeden Tag im Jahr ist für jeden möglichen Seestand ein bestimmter Sollabfluss definiert. Dies ergibt in einem Diagramm zahlreiche, parallel verlaufende Linien. Die oberen entsprechen dem Verlauf des Seespiegels in nassen Jahren, die unteren in trockenen Jahren. Das Linienreglement gewährleistet eine Regulierung in gedämpfter Form und vermeidet abrupte Sprünge bei Seestand und Abfluss. Bei drohendem Hochwasser werden jedoch weitere Parameter berücksichtigt. Wichtige Informationen liefern dann die Abteilung Hydrologie des Bundesamtes für Umwelt mit den Abflussdaten und -prognosen der Gewässer sowie die Wetterdienste mit den Niederschlagsprognosen. Hinzu kommen spezielle Pegelmessungen an den Seen. «Die Entscheidungen zur Regulierung beruhen einerseits auf Berechnungen, andererseits spielt auch die Erfahrung eine wichtige Rolle», sagt Bernhard Schudel. Bedeutsam ist unter anderem auch, ob die Böden wassergesättigt sind. Im Frühjahr spielt beim Thunersee der Verlauf der Nullgradgrenze (Schneeschmelze) eine entscheidende Rolle, während beim Regulierwehr Port am Bielersee stets ein besonderes Augenmerk auf die Emme zu richten ist. Glücklicherweise dauern die Hochwasserspitzen der Emme in der Regel nicht lange an.

Vorausschauende Seeregulierung

Der Hochwasserentlastungsstollen in Thun schafft eine neue Situation. Durch die deutlich erhöhte Abflusskapazität erweitert sich der Handlungspielraum bei Hochwasserereignissen, und das aktuelle Regulierreglement muss an die neuen Gegebenheiten angepasst werden (vgl. Beitrag «Hochwasserentlastung für den Thunersee», Seite 8). Doch zuerst ist eine intensive Diskussion mit den Interessengruppen zu führen. Lässt sich der See nämlich innerhalb kurzer Zeit absenken, so wächst der Druck, dies auch zu tun, wenn grössere Niederschläge mit Überschwemmungsgefahr vorausgesagt werden. Das Stichwort dazu heisst vorausschauende Seeregulierung. Beim Hochwasser im Mai 1999 hätte laut Schudel eine frühzeitige Absenkung des Seespiegels praktisch nichts genützt. Bedingt durch die Schneeschmelze waren die Wassermassen so riesig, dass der See einfach etwas später über die Ufer getreten wäre. Beim Hochwasser vom August 2005 handelte es sich hingegen um ein kurzes, aber sehr intensives Ereignis. Nach neuesten Erkenntnissen hätte in diesem Fall freie Speicherkapazität im Thunersee eine gewisse Wirkung gehabt. Überschwemmungen hätten nicht verhindert werden können, die Schäden wären aber geringer ausgefallen. Als Sofortmassnahme hat der Regierungsrat des Kantons Bern im März dieses Jahres deshalb beschlossen, dass der Seespiegel des Thunersees im Sommer 10cm tiefer gehalten wird. Die Massnahme ist jedoch befristet, weil Änderungen des Regulierreglementes eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern.
Literatur
[1] Vischer, Daniel: Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz. Berichte des BWG, Bern, 2003.
[2] Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Wasserwirtschaftsamt:
– Regulierwehr Port – Das Kernstück der Juragewässerkorrektion, Bern, 2006.
– Regulierung der Jurarandseen bei Hochwasser, Bern, 2006.
– Möglichkeiten und Grenzen der Seeregulierung am Thuner See, Bern 2002.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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