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tec21 2006|49-50
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tec21 2006|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schrumpfende Stadt, wachsende Parks

Leipzig steht über 15 Jahre nach der Wende noch immer im Umbruch und kämpft mit Wachstum und Schrumpfung auf dem Stadtgebiet. Mit den baulichen Strukturen bröckeln auch die sozialen. Die Stadtverwaltung setzt besonders im Osten der Stadt auf ein neues Konzept, mit dem brachliegende private Flächen zeitlich befristet als öffentlicher Freiraum genutzt werden dürfen. Grund­eigentümer haben der Stadt bereits mehr als 150 Flächen «geliehen». Leipzig wird attraktiver.

4. Dezember 2006 - Katinka Corts-Münzner
Leipzig ist mit seinem Grünflächenanteil von etwa 50% und einem Waldanteil von 7% eine der grünsten Städte Deutschlands. Früher war Leipzig eine der kompak­-t­esten Grossstädte, erst seit den Eingemeindungen bis 1999 ist es eine der flächengrössten Städte. Seit 2000 nimmt der Grünanteil stetig zu, da viele unbebaute und brachliegende Flächen zu Grün- und Freiflächen umgenutzt werden. Ziel ist es, sowohl die Standort- als auch die Lebensqualität und die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt zu verbessern. Nach 1945 verlor Leipzig in der sowjetisch besetzten Zone an wirtschaftlicher Bedeutung. Die Wohngenossenschaften bauten neue Siedlungen am Stadtrand, die Altbauten der Gründerzeit im Zentrum verfielen.
Bei der Wende 1989 war die Infrastruktur Leipzigs vollständig sanierungsbedürftig. Die ökologische Situation war durch den Braunkohleabbau im Süden und die verschlissenen Industrieanlagen im Allgemeinen katastrophal. Bis Ende der 1980er-Jahre verliessen 200000 Bewohner die Stadt, nach 1990 waren es weitere 80000 in nur acht Jahren. Etwa 50000 Arbeitsplätze im ­verarbeitenden Gewerbe wurden mit den politischen und den wirtschaftlichen Veränderungen abgeschafft. 1300 ha der physischen Baustruktur in den Wohn- und Arbeitsbereichen blieben als Brachlandschaft zurück.
Wegen ihrer Funktion als Handels- und Messestadt in der Vorkriegszeit wurde Leipzig nach der Wende mit
7 Mrd. DM pro Jahr im privaten Sektor der zentrale Investitionsschwerpunkt in Ostdeutschland. Die Bundespolitik förderte den Neubau von Bürohäusern. Dabei waren 1990 mehr als 75% der 260000 Wohnungen – darunter fast alle des gründerzeitlichen Bestands – sanierungsbedürftig. Diese hätten in vielen Fällen für eine gemischte Nutzung umgebaut werden können. Die Neubauten hingegen führten zu einem problematischen Überangebot an Büroflächen. In Westdeutschland erprobte Planungsinstrumente wurden dabei unverändert auf das ostdeutsche Leipzig übertragen. Das wachstumsorientierte Modell eignete sich aber nur bedingt für eine Stadt in Transformation, in der Schrumpfen und Wachsen gleichzeitig verlaufen. So entstanden viele staatlich subventionierte Neubauvorhaben auf der grünen Wiese. Auch gewerbliche Nutzflächen wurden neu geschaffen, obwohl an den bisherigen innerstädtischen Industriestandorten mehr als genug Möglichkeiten und Fläche vorhanden waren. Das schwächte die Position der Innenstadt im Wettbewerb sehr. 1991, 1993 und 1999 entwickelte die Stadt als Reaktion auf diese Entwicklungen ein Einzelhandels- und Stadtteilzentrenkonzept sowie einen «Stadtentwicklungsplan Zentren». Das Stadtzentrum sollte fortan wieder gestärkt werden und einen Gegenpol zu den äusseren Zentren bilden. Neue Einzelhandelseinrichtungen waren prinzipiell möglich, durften aber funk­tionierende Stadtteile nicht gefährden.
Für den Stadtumbau waren angepasste Instrumentarien notwendig, um die Dualität von Wachstum und Schrumpfung in den verschiedenen Stadtteilen mittel- bis langfristig zu organisieren. Neben den Zielen mussten aber auch eine klare Wegbeschreibung geleistet und Instrumente geplant werden. Die Stadt investierte intensiv in drei Bereiche, so genannte neue «Stadtbausteine»: in das wirtschaftliche «Aktivband» im Norden, in die Umstrukturierung der urbanen Kerne mit den Gründerzeitbauten sowie in ein attraktives Gewässernetz in den ehemaligen Braunkohlegruben im Süden der Stadt (siehe tec21 3-4/2006).

Brennpunkt: der Leipziger Osten

Leipzig hat sehr grosse zusammenhängende Wohnquartiere aus der Gründerzeit. Zu DDR-Zeiten waren aber die moderneren Arbeiterquartiere ausserhalb des Zent­rums entstanden. Die unsanierten Gründerzeitblöcke, die zwar den Krieg überstanden hatten, aber keine zeitgemässen Installationen aufwiesen, standen bald leer – und Ende der 1980er-Jahre vor dem flächenhaften Abriss. Besonders die östlichen Stadtteile, die traditionell dicht bebaut und gemischt genutzt wurden, waren nach der Wende baulich und sozial in schlechtem Zustand. Der hohe Leerstand verhinderte eine positive Entwicklung der Quartiere. Im Bund-Länder-Programm «Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt» begleitete das Deutsche Institut für Urbanistik den Leipziger Osten als sächsisches Modellgebiet in der ersten Phase. Im Stadtentwicklungsplan Wohnbau und Stadterneuerung (STEP W S) wurden die Stadtteile Neustadt-Neuschönefeld, Volkmarsdorf, Reud­nitz und Anger-Crottendorf als Hauptaufgabenfelder bestimmt. Für den Leipziger Osten gab es keine einheitliche Gesamtlösung, dafür waren zu unterschiedliche Strukturen vorhanden. Einige Bauten waren zwar nach 1990 schnell saniert worden, standen aber häufig neben verfallenen Häusern, für die Alteigentümer noch Restitu­tionsansprüche geltend machen wollten oder deren Eigentumsverhältnisse noch nicht klar waren. Im Jahr 2002 konkretisierte das Stadtplanungsamt mit dem konzeptionellen Stadtteilplan (KSP) «Leipziger Osten» den STEP W S. Die Stadt schuf damit ein langfristiges Leitbild zur Verbesserung der öffentlichen Räume. Stadträumlich unverzichtbare Gebäudezeilen wurden definiert, aber auch Bereiche bestimmt, die durch ihre Struktur und Lage für Investoren nicht sehr attraktiv waren. Letztere wurden als Umstrukturierungsgebiete gekennzeichnet, in denen auf verschiedene Arten und unter Beachtung des baulichen und des sozialen Umfeldes mit Umnutzung und Abriss umgegangen ­werden sollte (Bild 5). Die Bauten sollten nicht mehr nur sich selbst überlassen werden. Leipzig wollte wie­-der attraktive und zentrumsnahe Stadtteile schaffen und die Abwanderung der Bürger an den Stadtrand ein­dämmen.

Zwischengrün

Diskussionen zur Stadtentwicklung fanden auch im «Forum Leipziger Osten» statt, wo sich Vertreter von Verwaltung, Wirtschaft und Institutionen mit den Bewohnern der Quartiere trafen. Im kooperativen Gutachterverfahren «Visionen für den Leipziger Osten» präsentierten die Berliner Landschaftsarchitekten BGMR ihren Entwurf für das «Rietzschkeband» (Bild 6). In diesem Projekt sollte der Stadtraum mit einem Grundgerüst aus öffentlichen Räumen neu gegliedert werden. Baukomplexe, die für die städtebauliche Wirkung wichtig sind, wurden benannt und gleichzeitig andere Stadtbereiche für grosse Freiflächen freigegeben. Damit wurden Interimsbegrünungen zum Thema. Die Stadt hatte bis dahin noch keine Möglichkeiten zur Aktivierung von Brachflächen geprüft und trat nun in Verhandlung mit den Grundstückseigentümern. Da viele aufgrund der schlechten Wohnungsmarktsituation auf bessere Bedingungen für Verkauf oder Sanierung ihrer Objekte warteten, lagen ihre Grundstücke brach. Das belastete das Wohnumfeld, was wiederum Investoren abschreckte – ein Teufelskreis. Um diesen aufzubrechen, beschloss Leipzig, das Instrument der Gestattungsvereinbarungen einzuführen (siehe Kasten). Damit konnte die temporäre öffentliche Nutzung von privaten Grundstücken geregelt werden. Mit der Aktivierung von Brachflächen sollte mehr Grün, weniger Dichte und mehr Vielfalt in den Wohnquartieren entstehen. Die öffentliche Nutzung ist dabei auf eine bestimmte Zeit begrenzt, der Eigentümer behält sein Baurecht.

Die so geschaffenen kleinen Freiräume ergänzen bestehende Parks, sind Spielbereiche, Gärten oder Parkplätze. Durch die Einbindung privater Grundstücke kann die Vernetzung von Freiräumen im Quartier verbessert werden. Sie öffnen Wege abseits der Hauptverkehrsstrassen oder schaffen eine ökologische Nische mit Durchgang zu einem grösseren Park.

Doch auch grössere Freiflächen können mit Hilfe von Gestattungsvereinbarungen entstehen. Die Treuhand­liegenschaftsgesellschaft (TLG) übergab der Stadt ein brachliegendes Fabrikgelände am Gerichtsweg. Auf rund 10000 m² entsiegelte die Stadt den Boden, der vollständig mit Werkshallen und Lagern überbaut war. Das Gelände wurde mit Bäumen und Wiese begrünt und mit einem Wegnetz erschlossen. Der Vandalismus ging zurück, und das Wohnumfeld profitierte von der grünen Oase im dicht bebauten Quartier.
Seit Oktober 2002 entsteht entlang der stark befahrenen Wurzener Strasse, basierend auf dem KSP «Leipziger Osten» und der Planung von BGMR Landschaftsarchitekten, eine zusammenhängende Grünfläche. Die Ruinen entlang der Strasse wurden entfernt. Auf den Privatgrundstücken konnten Wege und Pflanzbereiche ent­­stehen und mit Bäumen eine neue stadträumliche Kante definiert werden. Der recht dichte «Dunkle Wald» konnte in den letzten Jahren entsprechend der baulichen Entwicklung erweitert werden. Der anschliessende «Lichte Hain» schafft einen grünen Übergang zum Kleingartenpark Südost. Die temporären Grünflächen können nach einer Frist von 5 bis 10 Jahren wieder entfernt werden, wenn sich ein Investor für das Grundstück interessiert und der Eigentümer bauen möchte.

Permanente Stadtteilparks

Zwei grosse Parkanlagen wurden hingegen als dauerhafte Parkanlagen in den Wohngebieten geplant. Auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs wurde
im Juni 2004 der Lene-Voigt-Park eröffnet (Bilder 9, 10). Basierend auf einem internationalen Landschaftsarchitekturworkshop wurde 1998 ein Gutachterverfahren durchgeführt. Das Landschaftsarchitekturbüro Kiefer aus Berlin gewann mit einem Entwurf, bei dem auf der linearen Struktur des ehemaligen Bahnhofs ein Park mit vernetzten Wegen und klar abgetrennten Räumen entsteht. In Etappen kaufte die Stadt die Flächen seit 1999 an und konnte nach und nach den 800 m langen und 80–130 m breiten Stadtteilpark anlegen. In Hochbeeten, die von Steinkorbwänden gesäumt werden, wurden Birken gepflanzt. Die Landschaftsarchitekten legten verschiedene Bereiche für Spiel-, Sport- und Ruhezwecke an. Um den Pflegeaufwand seitens der Stadt zu reduzieren, wurden auch eini­ge Parzellen zur individuellen Nutzung angeboten. Im östlichen Teil des Parks schliesst sich die ehemalige Bahnschneise Anger-Crottendorf an, die in den nächs­ten Jahren auch zum Park werden wird. Ebenfalls vom Büro Kiefer werden hier bis 2010 Planungen für Rad- und Fusswege umgesetzt, die sich durch den vorhandenen, ökologisch wertvollen Baum- und Strauchbestand ziehen werden.
Der grosse Rabet-Park liegt an den zwei stark befahrenen Strassen, der Eisenbahn- und der Hermann-Liebmann-Strasse in Neuschönefeld (Bilder 11, 12). Auf der Grundlage eines Gutachterverfahrens schrieb die Stadt einen Wettbewerb zur Erweiterung und Neugestaltung des bestehenden Parks aus. Das Berliner Landschaftsarchitekturbüro Lützow 7 gewann diesen mit einem Entwurf für eine grosszügige Anlage mit Volksparkcharakter. Durch den ganzen Park, in dem besonders die Angebote für Jugendliche gestärkt wurden, zieht sich ein breites Wegband für Sportaktivitäten. Dazwischen liegen Wiesen, die äusseren Ränder der Anlage sind dicht begrünt. Der Park wird seit 2004 in mehreren Bauabschnitten umgestaltet, Ende 2006 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Die Stadt Leipzig arbeitet seit Beginn der 1990er-Jahre, als die ersten Sanierungsgebiete und -planungen in Angriff genommen wurden, an der kontinuierlichen städtebaulichen Erneuerung. In den nächsten Jahren sollen die Lebensfähigkeit und die Konkurrenzstärke der einzelnen Stadtteile weiter gestärkt werden. Es leben heute noch immer weniger Menschen in den östlichen Stadtquartieren, als es möglich wäre. In den nächsten Jahren sollen die stadträumlich aufgelockerten gründerzeitlichen Quartiere entsprechend dem Projekt «Grünes Rietschkeband» durch Grünräume vernetzt und besser an die Innenstadt angeschlossen werden. Diese Strategie zeigt erste Erfolge. Der Bevölkerungsrückgang in den Gründerzeitquartieren hat sich stabilisiert, heute leben sogar 10% mehr Personen in den Stadtteilen als 1998. Sowohl die kleinen als auch die grossen Parkanlagen werden gut angenommen, besonders die Jugendlichen profitieren von den vielen neuen Freizeit- und Sportanlagen in den Quartieren.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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