Publikation

All began just by chance. Julius Shulman.
All began just by chance. Julius Shulman. © Thomas Spier
Autor:in: Thomas Spier
Publikationsdatum: 2005
Format: DVD,

Der Blick auf das Gebaute

Architekturphotographie - eine Ausstellung in Barcelona

Die Architektur hat ihren jüngsten Höhenflug nicht zuletzt der Photographie zu verdanken. Bei Fachmagazinen gefragt ist zurzeit jener frontale, unterkühlte und von allem Zufälligen befreite Blick auf das Gebaute, wie ihn architekturbegeisterte Fotokünstler zelebrieren. Diese kommen nun in einer Ausstellung in Barcelona zu Wort.

7. Oktober 2000 - Roman Hollenstein
Ein Lieblingsthema der noch jungen Photographie war die gebaute Welt: Dies nicht zuletzt aus dem pragmatischen Grund, weil sie statisch ist und vom Licht des Tages lebt. Als Propagandamedium wurde die Photographie aber erst von den Architekten der klassischen Moderne genutzt. Obwohl Frank Lloyd Wright bereits seine Präriehäuser professionnel aufnehmen liess, veröffentlichte er 1910 in der Wasmuth-Mappe noch purifizierte Präsentationszeichnungen. Walter Gropius stilisierte dann das Dessauer Bauhaus zum Kunstwerk, indem er die mit feinen Balkonen gegliederte Fassade des Studententraktes wie eine konstruktive Skulptur ablichten liess. Voll auf die Verführungskraft des Bildes setzte Le Corbusier: Hinter schwarzen Limousinen erschienen seine Wohnmaschinen - die Villa Stein in Garches genauso wie der Pavillon Suisse - noch leuchtender und kantiger, was letztlich den Mythos von der weissen Moderne mitbegründete.

Erstarrte Schönheit
Schon Photographen wie Julius Shulman, der in Ikonen wie dem in den Nachthimmel über Los Angeles ragenden Case Study House von Pierre Koenig den Californian Way of Life verherrlichte, wusste den Bauten von Eames bis Schindler eine magische Aura zu verleihen. Die Architekturphotographie aber setzte erst in den vergangenen Jahren zu jenem Höhenflug an, der ganz wesentlich zur Popularisierung der Baukunst beitrug. Architekturzeitschriften lieben heute Bilder, die die Neubauten - von allen Zufälligkeiten des Lebens befreit - in absoluter Schönheit zeigen. Zu dieser unterkühlten Sicht liessen sich die professionellen Architekturphotographen nicht zuletzt durch Künstler wie Andreas Gursky oder Thomas Ruff anregen. Diese kommen aus einer Tradition, die im Umkreis von Minimal und Conceptual Art wurzelt und etwa bei Jan Dibbets zu einer Auslotung der architektonischen Perspektive, bei Bernd und Hilla Becher aber zur fast anonymen, serienmässig angelegten Dokumentation banaler Häuser oder historischer Fabrik- und Förderanlagen führte.

Zu den Architekten, die schon früh das Potenzial einer künstlerischen Interpretation ihrer Bauten erkannten, zählen Herzog & de Meuron. Sie präsentierten 1991 auf der 5. Architekturbiennale in Venedig im Schweizer Pavillon vier Fotokünstler, die sich ihrem Schaffen ganz unterschiedlich annäherten - vom sachlichen Objektbezug Margherita Spiluttinis über Hannah Villigers körperbezogen-intimen Blick auf die Gebäudeoberfläche und Balthasar Burkhards Interesse am Knochengerüst der Bauten bis hin zu Ruffs in einer völlig unterkühlten Graupalette gehaltenem Porträt der Ricola-Lagerhalle in Laufen. Seither hat die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Gebauten weiter an Bedeutung gewonnen, wie Ausstellungen mit Arbeiten von meist deutschen Fotokünstlern in Brüssel, London, Bregenz oder Leipzig zeigten.

Ein Überblick
Waren diese Veranstaltungen inhaltlich zum Teil sehr weit gefasst, versucht nun eine Schau im Centre de Cultura Contemporània von Barcelona das Thema einzugrenzen. Die Ausstellungsmacherin Gloria Moure entschied sich nämlich für sieben Künstler, die - anders als etwa Gabriele Basilico oder Thomas Struth - nicht anonyme Bauten oder Stadtlandschaften interpretieren, sondern die künstlerische Auseinandersetzung mit architektonischen Meisterwerken suchen. Auch hier stehen die deutschen Stars im Mittelpunkt: So hält Günther Förg Zwiesprache mit Häusern von Alejandro de la Sota, dem 1996 verstorbenen Meister der spanischen Moderne. Die riesigen, leicht unscharfen und von schweren Rahmen gefassten Schwarzweissbilder stehen, an die Wand angelehnt, auf Holzkeilen. Dadurch werden sie zu Objekten, bei denen das architektonische Sujet letztlich unwichtig wird. Gursky hingegen übersteigert den Bildgegenstand: Zusammen mit dem bekannten Nachtbild von Norman Fosters Hong Kong & Shanghai Bank und der hyperrealistisch verfremdeten Hotellobby von John Portman zeigt er ein erschlagendes Panorama von Gunnar Asplunds Stockholmer Nationalbibliothek. Hier gewinnt die Architektur als patternartiges Ornament ein Eigenleben, und gleichwohl bleibt der berühmte Innenraum stets erkennbar.

Ruff präsentiert ausschliesslich zwischen 1992 und 1994 aufgenommene Bauten von Herzog & de Meuron, darunter vier Ikonen, die ebenso wie die abgelichteten Bauten selbst Architekturgeschichte schrieben und so die professionelle Photographie der letzten Jahre besonders prägten: die Ricola-Lagerhalle, die Sammlung Goetz in München, das Stellwerk auf dem Wolf in Basel und - als Höhepunkt - die rotviolette, zwischen Hopper und «Blade Runner» oszillierende Nachterscheinung der Ricola Mulhouse. Daneben haben Candida Höfers stille, im Fall von Zumthors Kunsthaus Bregenz geradezu sakral überhöhte Mittelformate einen schweren Stand. Doch zeichnen sich diese Fotos gerade dadurch aus, dass sie auf Oberflächenkult verzichten und dem Wesen der Architektur als Funktion von Raum und Licht nachspüren.

All diese Bilder wirken wie gefroren, wenn man zurückdenkt an den Auftakt der Schau: den Mexiko-Stadt gewidmeten Film «Ciudad» von Balthasar Burkhard und Carlos Hagerman. Unter den hypnotisierenden Klängen von Silvestre Revueltas «La noche de los Mayas» erwacht hier ein Stadtkörper zum Leben. Diese körperhafte Interpretation des Gebauten verdichtet sich dann in Burkhards von der Architekturbiennale in Venedig her bekannter Installation der Ricola-Lagerhalle. Ein weiterer Bau von Herzog & de Meuron, diesmal das Stellwerk, schimmert einem aus den an Gerhard Richters frühe Gemälde erinnernden Fotos von Hiroshi Sugimoto entgegen. Eher als bei Förgs Bildobjekten kann man hier die Unschärfe als Kritik an der Perfektion heutiger Architekturphotographie lesen. Auch Bauten von Gaudí, Gropius, Le Corbusier und Wright werden bei Sugimoto zu gespensterhaften Schattenwesen. Diese bilden gleichsam den Gegenpol zum Schlussbild der Schau: Jeff Walls gigantischem Leuchtkasten, aus dem Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon im goldenen Abendlicht abgründig irreal und unglaublich wirklichkeitsnah zugleich erstrahlt.

Die Schau deckt mit vielen Highlights ein breites Spektrum der künstlerischen Architekturphotographie ab, und dennoch gibt es Lücken. So hätten Fischli und Weiss nicht fehlen dürfen. In der unlängst in Mailand gezeigten Ausstellung «Milano senza confini» überstrahlte ihr gelassener und ungekünstelter Blick vom Dom auf die Torre Velasca die anderen Beiträge bei weitem. Als Antwort auf Jeff Wall hätte man sich die Serie über den Barcelona-Pavillon gewünscht, die nun in ihrer Retrospektive im Basler Museum für Gegenwartskunst zu sehen ist. Eine Bereicherung wäre zweifellos auch die Grenzgängerin Hélène Binet gewesen, die mit ihren Aufnahmen Zumthors Bauten nobilitiert, die sperrigen Gebäude von Caruso St John in ein leicht melancholisches, neorealistisches Licht rückt und so ganz ohne künstlerische Prätention Sachlichkeit und Poesie zu vereinen weiss.


[Bis 10. Dezember im Centre de Cultura Contemporània. Katalog: La arquitectura sin sombra. Hrsg. Gloria Moure. Ediciones Polígrapha, Barcelona 2000. 159 S., 4800 Pta. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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