Publikation

Anatomie einer Metropole
Bauen mit Eisenbeton in Wien 1890–1914
Anatomie einer Metropole
Herausgeber:in: Otto Kapfinger
ISBN: 978-3-0356-2947-7
Sprache: Deutsch
Publikationsdatum: 2025
Umfang: 416 S., 378 s/w Abb., 154 farb. Abb.
Format: Hardcover, 24,7 × 30.5 cm

Neuer Blick

Otto Wagner, Adolf Loos, Jugendstil und Art déco prägen den Blick auf Wien um 1900. Das schwergewichtige Buch „Anatomie einer Metropole – Bauen mit Eisenbeton in Wien 1890 – 1914“ von Otto Kapfinger richtet den Blick auf die Konstruktion dahinter.

1. Juli 2025 - Isabella Marboe
Wien um 1900 war eine pulsierende Großstadt auf dem Weg zur Metropole, hundertfünfzig Kinos zählte man 1914, Cabarets, Varietés, vornehme Konsumtempel, Geschäftshäuser, Banken, Hotels, aber auch Fabriken, Speicher und Remisen entstanden. Zweihundert Druckereien mit 4.000 Beschäftigten versorgten die Stadt in mehrmals täglich erscheinenden Zeitungen mit Neuigkeiten, allein der „Vorwärts“-Verlag an der rechten Wienzeile produzierte in seinen Glanzzeiten bis zu 2.000 Exemplare unterschiedlichster Medien pro Tag.

All diese neuen Typologien mussten verschiedene Anforderungen erfüllen, industrielle Nutzungen führten zu hohen Lasten, Veranstaltungssäle mit hohen Räumen im Souterrain erforderten weite Spannweiten, darüber schlichtete man souverän Büros und Wohnungen aufeinander. Der Dimensionssprung der Stadt brachte auch breitere Straßen und schmälerere Grundstücke mit sich, höherer Nutzungsdruck führte zu immer gewagteren Konstruktionen. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist das „Haus zum Silbernen Brunnen“ der Architekten Karl und Wilhelm Schön in der Plankengasse 4. Errichtet wurde es von der Baufirma G.. Wayss & Co. Verschiedene Funktionen gekonnt zu stapeln, war ein konstruktiver Kraftakt und die große Ära einer neuen Technologie: ohne Eisenbeton keine Großstadt.

Ein Zufall führte Otto Kapfinger an einem Gründerzeithaus in der Schadekgasse 18 vorbei, dessen unteren drei Geschosse umbaubedingt komplett ausgehöhlt waren. Hier zeigte sich das statische Gerippe eines Hauses in unverfälschter Reinform. Großzügige, loftartige Räume mit Rippendecken aus Sichtbeton, drei gewendelte Stiegenhäuser und eine Tragstruktur aus Eisenbeton über neun Geschosse. Kapfinger fühlte sich nach Chicago versetzt. Dieses Gebäude hatte früher das Warenhaus Lessner beherbergt, als Flaggschiff einer neuen Einkaufskultur spielte es in einer Liga mit Herzmansky, Gerngroß, Schop’s Söhne und Stafa. Eine monumentale Haupttreppe führte in Lessners Konsumtempel, der vor allem ein breites Sortiment an Textilien führte und auch die Zeitschrift „Der Modesalon“ herausbrachte. Lager, Schneiderateliers und Wohnungen zählten zu den weiteren Nutzungen des Hauses, das Architekt Alois Augenfeld plante. Auch Baumeister Samuel Bronner, die ausführende Baufirma Gustav Orglmeister und der Statiker Rudolf Saliger sind angeführt.

„Anatomie einer Metropole – Bauen mit Eisenbeton in Wien 1890 – 1914“ ist mehr als ein Buch und mehr als ein Katalog: es ist ein Forschungsprojekt, das auf über 400 Seiten ein neues Bild von Wien um 1900 zeichnet. Unter der Leitung von Otto Kapfinger arbeiteten Gabriele Anderl, Markus Kristan, Ursula Prokop, Felix Siegrist, Adolph Stiller, Stefan Templ, Maria Welzig und Anna Wickenhauser im Forschungsteam. Das Buch folgt dabei einer stringenten, gewissenhaften Logik. Texte wie derjenige zu Systemen der Stadtentwicklung (Otto Kapfinger), Eisenbeton International (Adolf Stiller) oder der zum Bauboom der Kinos (Ursula Prokop) geben eine inhaltliche Einordnung, in thematisch gegliederten Kapiteln wie die „Glanzzeit der Presse“ (Druckereien, Verlagshäuser), „Weltstadt Wien“ (Großgeschäftshäuser, Banken, Hotels), „Gesellschaftliche Reformen“ (Vereinshäuser, Volksbildung, Hygiene) werden insgesamt 95 unterschiedliche Bauten anhand ihrer Typologie dokumentiert. Die Ausführlichkeit, in der das geschieht, ist absolut außergewöhnlich: Zu jedem Bau finden sich Pläne und Fotos, neben Bauherr und Architekt sind ausführende Firmen und Statiker angeführt. Auch die Texte halten eine Systematik ein: Bautypus, Konstruktion, Hausgeschichte, Architekt, Literatur. Großformatige Fotos von Wolfgang Thaler und Bruno Klomfar zeigen exemplarisch, wie einige Häuser heute aussehen. Pläne von Wien zeigen, wo sich unterschiedlichste Bauten befinden. Wer dieses Buch gelesen hat, wird mit anderen Augen durch die Stadt gehen.

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