Bauwerk

ORF Zentrum Küniglberg
Roland Rainer - Wien (A) - 1978
ORF Zentrum Küniglberg, Foto: Margherita Spiluttini
ORF Zentrum Küniglberg, Foto: Margherita Spiluttini

Für immer wie gestern

Kein Zweifel: Das ORF-Zentrumauf dem Küniglberg ist ein wichtiges Bauwerk. Doch seine Nutzer möchten sich lieber heute als morgen von ihm trennen. Ist es damit zwangsläufig ein Fall für das Denkmalamt?

18. April 2009 - Christian Kühn
Ob Barock, Jugendstil oder Nachkriegsmoderne: Wenn es hart auf hart geht, läuft die Debatte um den Denkmalschutz stets nach ähnlichen Mechanismen. Anlass ist ein Objekt, dessen Ablaufdatum aus rein wirtschaftlicher oder funktioneller Perspektive überschritten ist. Es ist kein Zufall, dass die Wurzeln des Denkmalschutzgedankens im nachrevolutionären Frankreich des späten 18. Jahrhunderts liegen. Wer den König geköpft und die Religion abgeschafft hat, muss Gründe dafür finden, die funktionslosen Paläste und Kirchen zu erhalten. Und so entstand zeitgleich mit den Verwüstungen, die die Revolution anrichtete, auch die Idee eines nationalen kulturellen Erbes, das es zu erhalten gilt, eine Idee, die sich nahtlos in die restaurativen politischen Bewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts einfügen ließ.

Während Bauwerke wie Versailles und Schönbrunn heute ohne jede Debatte als Teil dieses Erbes gelten und durch den Tourismus einen neuen – wenn auch oft über eine „Umwegrentabilität“ dargestellten – ökonomischen Wert erhalten haben, müssen für jüngere Objekte die Kriterien einer Erhaltung neu ausgehandelt werden. Die Besitzer der absehbar nutzlos werdenden Immobilie pochen auf ihr Recht auf zeitgemäße Lebens- oder Arbeitsbedingungen, die sich nur in einem Neubau erreichen ließen. Die Freunde des Alten bringen die Einzigartigkeit des Objekts, seine besondere Geschichte und das Ansehen seines Schöpfers ins Spiel. Während die eine Seite Studien vorlegt, die die enormen Kosten einer originalgetreuen Erhaltung belegen sollen, führt die andere gelungene Beispiele von Sanierungen ins Treffen, deren mühelose Übertragbarkeit auf den aktuellen Fall mit großer Inbrunst behauptet wird.

Im Moment läuft eine Debatte nach diesem Muster um das ORF-Zentrum am Küniglberg, im Westen Wiens unweit des Schlosses Schönbrunn gelegen und in den Jahren 1968 bis 1974 nach Plänen von Roland Rainer errichtet. Mit Schönbrunn hat das Gebäude jedenfalls die Dimension gemeinsam. Auf einer bebauten Fläche, die jener des Schlosses annähernd gleichkommt, umfasst das ORF-Zentrum 150.000 Quadratmeter Nutzfläche. Die Anlage ist dringend sanierungsbedürftig: Das Tragwerk erfüllt in keiner Weise die heutigen Normen, der Energieverbrauch ist mangels ausreichender Dämmung enorm, und auch organisatorisch entspricht das Gebäude nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen.

Im Zuge einer 1999 begonnenen Bestandsaufnahme aller im öffentlichen Eigentum stehenden Bauten Österreichs wurde die Gesamtanlage im Februar 2007 ohne besonderes öffentliches Aufsehen unter Schutz gestellt. Eine Überprüfung, Anfang dieses Jahres auf Antrag der Gemeinde Wien durchgeführt, hat diese Entscheidung bestätigt. Der Einspruch des ORF, der lieber eine neue, kleinere und effizientere Zentrale auf dem Areal des ehemaligen Schachthofs in St. Marx errichten möchte, wird wenig nützen: Die neue Präsidentin des Denkmalamts, Barbara Neubauer, lässt kaum Zweifel daran, dass die Unterschutzstellung aufrecht bleiben wird. Der ORF, dem im Fall einer Übersiedlung nach St. Marx eine denkmalgeschützte und für andere Zwecke kaum verwertbare Ruine auf dem Küniglberg zu erhalten bliebe, hat damit eine Sorge mehr.

Bei einer Diskussion, die das Architekturzentrum Wien aus diesem Anlass veranstaltete, hatten die Befürworter eines Verbleibs des ORF am Küniglberg, verbunden mit einer möglichst originalgetreuen Erhaltung, entsprechend Rückenwind. Das ORF-Zentrum sei Denkmal einer einzigartigen Aufbruchsstimmung der 1960er-Jahre und überhaupt gleichwertig mit dem Stephansdom und Schloss Schönbrunn. Keiner der Teilnehmer – unter anderem Gerd Bacher, Peter Huemer und Gustav Peichl – ließ sich durch die Frage irritieren, ob ein Gebäude dieses Typs, als Industriebau konzipiert und kostengünstig umgesetzt, nicht nach 35 Jahren auch in Würde sterben und Neuem Platz machen dürfe.

Es ist nämlich zu befürchten, dass sich die Unter-Schutz-Stellung des ORF-Zentrums als Pyrrhussieg für das Denkmalamt erweisen wird. Die Denkmalpflege hat – nachzulesen in Alois Riegls grundlegendem Aufsatz über den „Modernen Denkmalkultus“ aus dem Jahr 1903 – historischen Wert und Alterswert zu berücksichtigen. Der historische Wert besteht nach Riegl darin, dass ein Objekt „die individuelle Stufe der Entwicklung irgendeines Schaffensgebietes der Menschheit“ manifestiert. Er verführt dazu, bei der Erhaltung genau diesen historischen Moment in den Vordergrund zu rücken und einen „Originalzustand“ anzustreben. Der Alterswert lässt das Denkmal dagegen mit allen Gebrauchsspuren als Erzähler seiner eigenen Geschichte gelten. Für Riegl symbolisiert das gealterte Objekt nicht zuletzt die Rückeroberung des vom Menschen Geschaffenen durch die Natur und damit die Vergänglichkeit alles Menschenwerks.

Wer diese Werte ernst nimmt, muss in Kauf nehmen, dass ein als Denkmal saniertes ORF-Zentrum am Küniglberg aufwendiger zu betreiben, weniger praktisch und als Bauwerk der Jahre um 1970 weniger energieeffizient sein wird als heute üblich. Und er wird in Kauf nehmen müssen, dass es nicht nur die Aufbruchsstimmung der 1960er-Jahre repräsentieren wird, sondern auch die Spuren einer 40-jährigen Alterung und ihrer Reparatur, bis hin zu den statischen „Krücken“, die aufgrund geänderter Erdbebenvorschriften nötig werden. All das lässt sich im kleineren Maßstab und bei speziellen Nutzungen argumentieren und realisieren, aber kaum bei 150.000 Quadratmetern und einem unter massivem finanziellem Druck stehenden Nutzer. Der Kompromiss ist absehbar: Eine neu-alte Lösung, die den Geist des Bestands der Erfüllung aktueller Standards opfert. Bei Roland Rainers Böhler-Haus am Schillerplatz, das vor einigen Jahren saniert wurde, kann man das Ergebnis besichtigen. Auf Distanz erinnert die Fassade noch an Rainers Original, im Detail sind alle Feinheiten verloren gegangen, die in dieser Form nur eine Zeit zustande bringen konnte, für die der Energieverbrauch eines Hauses kein Thema war.

Dass Roland Rainer zu den bedeutendsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts gehört, steht außer Frage. Der Denkmalschutz für das ORF-Zentrum ist damit aber nicht zu begründen. Er selbst hat es nicht zu seinen wichtigsten Werken gezählt. Die vorgespannte Fertigteilkonstruktion ist mit dem jüngst sanierten Universitätsbau in Klagenfurt dokumentiert und im internationalen Vergleich mit zeitgenössischen Beispielen, etwa von Harry Seidler und Pier Luigi Nervi, wenig bemerkenswert. Was bleibt, ist ein Schlachtschiff am Berg, das an den historisch wichtigen Aufbruch der Ära Bacher erinnert. Diesen angemessen zu würdigen ist aber Aufgabe der Historiker und nicht des Denkmalamts. Dessen Ziel könnte nur Substanzerhalt sein in einem Fall, wo vom radikalen Umbau über die – der Konzeption der 1970er-Jahre durchaus konforme – Wiederverwendung von Fertigteilen bis zum Abriss alles möglich sein sollte.

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