Bauwerk

Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln
Peter Zumthor - Köln (D) - 2006
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Reduktion und Sinnlichkeit

Peter Zumthors minimalistisch strenger Neubau des Kunstmuseums Kolumba in Köln

Am vergangenen Wochenende wurde das Kunstmuseum Kolumba des Erzbistums Köln eröffnet. Der Schweizer Architekt Peter Zumthor setzt damit seine Auseinandersetzung mit dem Thema Museum fort – und fügt der historischen Stratigrafie der Stadt Köln eine Schicht hinzu.

22. September 2007 - Hubertus Adam
Museumsboom allerorten. Ende März veröffentlichte die «New York Times» eine Übersicht von 46 Museumsprojekten, die bis zum Jahr 2010 in den USA verwirklicht werden sollen. In Abu Dhabi versucht man, die touristische Zukunft des Emirats mit spektakulären Kulturbauten zu sichern; und mit dem Louvre-Ableger in Lens sowie der Centre-Pompidou-Dépendance in Metz gewinnen die prominentesten Ausstellungsinstitutionen Frankreichs demnächst neue Spielstätten. Auch dort setzt man auf prominente Architekten, nämlich von Sanaa und Shigeru Ban. Das Kunstmuseum, das der Churer Peter Zumthor im Auftrag der Erzdiözese Köln errichtet hat und das am vergangenen Wochenende eingeweiht wurde, trägt schlicht den Namen Kolumba. Auch Zumthor ist ein klingender Name im internationalen Architekturbetrieb, über Besucherzahlen wird das Museum nicht klagen müssen. Doch weder der Architekt noch die Auftraggeber wünschten sich ein Museum des Spektakels – Zurückhaltung ist das Prinzip: Man betritt das Vestibül durch eine verglaste Öffnung in der Front, ohne von aussen in das Foyer blicken zu können. Anstelle des Cafés findet sich ein Lesesaal; und die verwendeten Materialien und Oberflächen sind auf den Farbklang Grau-Ocker reduziert.

Alt und Neu

Das Diözesanmuseum, 1853 gegründet und nach dem Zweiten Weltkrieg 1972 am Roncalliplatz südlich des Doms wiedereröffnet, entschied sich in den neunziger Jahren zu einem Neubau. Dafür fand man mit dem Areal von St. Kolumba einen geeigneten Standort. Die 1945 zerstörte Kirche hatte aus einem immer wieder vergrösserten baulichen Konglomerat bestanden. Ein romanischer Ursprungsbau, der auf römischen Relikten wurzelte, war sukzessive zu einer fünfschiffigen gotischen Kirche mit einem ungewöhnlichen trapezoiden Grundriss geworden; am Ende des Zweiten Weltkriegs standen von dem Gotteshaus nur noch einige Umfassungsmauern.

Als ein populäres Hoffnungssymbol des zerstörten Köln galt eine Marienstatue am Choreingang, welche die Katastrophe unversehrt überstanden hatte. Nach einem Entwurf von Gottfried Böhm wurde 1950 in dem Ruinenfeld die Kapelle «Madonna in den Trümmern» errichtet, ein kleiner einschiffiger Bau mit einem lichtdurchfluteten Oktogon. Der mit leuchtenden Glasfenstern von Ludwig Gies ausgestaltete Sakralraum, der 1956 durch eine Sakramentskapelle ergänzt wurde, gilt in seinem zurückhaltenden und doch hoffnungsfrohen Gestus als Inkunabel der Wiederaufbauarchitektur in Deutschland.

Die Architekten, die 1997 am Wettbewerb für das neue Museum teilnahmen, hatten eine anspruchsvolle Aufgabe zu bewältigen: Sie mussten auf dem vergleichsweise begrenzten Terrain einerseits Ausstellungsräume errichten; andererseits galt es, die Kapelle einzubeziehen – sowie die archäologischen Ausgrabungen, die man auf der Ostseite um das Oktogon herum in den siebziger Jahren unternommen hatte. Zumthor vermochte die Jury mit einer Idee zu überzeugen, die auf dem Konzept des Weiterbauens beruhte und die bestehenden Strukturen, also das noch vorhandene Mauerwerk der Kirche, in den Neubau einbezog. Der Grundriss des Neubaus folgt exakt dem Volumen der früheren Kolumbakirche samt ihrem nördlichen Annex. Damit ergibt sich eine winkelförmige Struktur, die sich in einen nach Norden orientierten Flügel entlang der Kolumbastrasse sowie einen breiteren Bauteil entlang der Brückenstrasse gliedert. Im Winkel zwischen beiden Bauteilen liegt ein stiller Hof, der vom Foyer aus betreten werden kann.

Der helle Stein, der im wechselnden Licht unterschiedlich schimmert, setzt sich deutlich vom historischen Mauerwerk ab; Alt und Neu sind – im wahrsten Sinne des Wortes – überlagert. Nach Vorgaben des Architekten entwickelte ein dänischer Hersteller spezielle Backsteine von 54 Zentimetern Länge und lediglich 4 Zentimetern Höhe. Diese wurden verwendet, um die Öffnungen der Ruinen zu füllen und darüber die Mauern in die Höhe zu ziehen. Entlang der Südfront des Gebäudes sind Teile der Seitenschiffmauern von St. Kolumba im Neubau aufgehoben, an der Westseite ist die Stirn der Kapelle «Madonna in den Trümmern» in das Mauerwerk integriert.

Zumthors ingeniöser Umgang mit der historischen Substanz erweist sich auch an der archäologischen Ausgrabungszone hinter dem Oktogon. Die Grundmauern der Vorgängerbauten sind von einem grandiosen Hüllraum umgeben, der gewissermassen die Substruktion des darüber befindlichen Ausstellungsgeschosses darstellt. Die Wände werden hier aus einer gitterartigen Backsteinstruktur gebildet, welche wie ein Schleier fungiert und an arabische Architektur denken lässt – Zumthor spricht von «Filtermauerwerk» –, und selbstverständlich fühlt man sich an den hölzernen Pavillon an der Expo 2000 in Hannover erinnert. Das Mauerwerk lässt durch die Öffnungen Licht und Luft in die grandiose Halle dringen, die von der Kapelle aus gesehen als Aussenraum, von der Stadt aus indes als Binnenraum zu verstehen ist. Hier herrscht ein Dämmerzustand, gleichsam ein schwebendes Dazwischen: zwischen Innen und Aussen, Hell und Dunkel, Vergangenheit und Zukunft. Man betritt den Raum, den grössten des Museums, vom Foyer aus, durchquert ihn auf einem zackig geführten hölzernen Steg und verlässt ihn in der äussersten Südostecke.

Dialog mit Rudolf Schwarz

Stahlbetonstützen, teils unsichtbar in die Wände eingelassen, teils aus der archäologischen Zone emporragend, tragen die Stahlbetonplatte, auf der sich das Hauptausstellungsgeschoss erhebt. Die Konzeption des Gebäudes offenbart sich am deutlichsten beim Blick von Südosten; es ist auch die Seite, auf welche die aus Richtung Dom oder Bahnhof kommenden Besucher als Erstes treffen. Auf die inkorporierten historischen Mauern folgt die Zone des Filtermauerwerks und darüber der Bereich der Ausstellungsräume. Das blockhafte Volumen des Gebäudes, das beinahe fortifikatorisch anmutet, ist entsprechend der Raumstruktur zuoberst kubisch gegliedert; niedrige Partien wechseln mit hohen, welche beinahe wie Türme wirken. Diese Ausbildung des Volumens erinnert an eine 1958 angefertigte Entwurfsperspektive von Rudolf Schwarz für die Kirche Regina Martyrium in Berlin. Zumthor hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit Schwarz auseinandergesetzt, etwa bei der Deckenstruktur der Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg (1989). Dass Schwarz auch für Kolumba eine gewisse Rolle spielt, ist naheliegend und letztlich eine Reverenz vor dem grossen Baumeister, der in Köln eine Reihe von Bauten realisiert hat. In unmittelbarer Nachbarschaft des Kolumba-Museums befindet sich das heutige Museum für Angewandte Kunst, das Schwarz 1955 für das Wallraf-Richartz-Museum realisiert hat. Auch hier galt es, eine Kriegsruine, nämlich diejenige des einstigen Minoritenklosters, in den Neubau einzubeziehen.

Die eigentlichen Ausstellungsräume in Kolumba befinden sich auf zwei Ebenen. Ein steiler Treppenschacht, der an Zumthors Treppenlösung für das Kunsthaus Bregenz erinnert, führt vom Foyer aus empor in das erste Obergeschoss, das lediglich den Westflügel einnimmt. Hier befinden sich die Kunstlichträume. Die Hauptsäle liegen im Geschoss darüber und gliedern sich als blockartige Volumina um eine fliessende Kernzone. Die drei Saalblöcke bestehen aus jeweils zwei aneinander anschliessenden Räumen: Der erste ist in normaler Höhe ausgebildet, der zweite überhoch wie das Innere eines Turms. Oberlichter an jeweils einer Seite, von Turm zu Turm anders ausgerichtet, lassen gefiltertes Licht aus der Höhe einfallen. Als einzige natürliche Lichtquellen kommen hierzu Fenster, die von der Kernzone aus Ausblicke auf die Umgebung erlauben.

Bezug zum Schweizer Museumsbau

Das Spiel mit der Modulation des Lichts und die Organisation der Räume sind ohne die Schweizer Museumsbauten der vergangenen 15 Jahre nicht zu erklären. Waren neue Museen im Deutschland der siebziger und achtziger Jahre zur publizitätsträchtigsten Bauaufgabe avanciert, so verhielt es sich in der Schweiz anders. Die Museen, die zu Beginn der neunziger Jahre entstanden – das Kirchner-Museum von Gigon/Guyer in Davos (1992) und die Stiftung La Congiunta von Peter Märkli in Giornico (1992) –, reagierten formal kaum auf die postmodernen Ausstellungsinstitute im nördlichen Nachbarland. Vielmehr knüpften sie an die zurückhaltende Nachkriegsmoderne eines Hans Leuzinger an, wie sie 1952 im Kunsthaus Glarus zum Ausdruck gekommen war. Leuzinger hatte zwei im rechten Winkel zueinander stehende, mit Satteldächern gedeckte Backsteinkuben errichtet, die stereometrische Säle bergen – zwei davon mit Oberlicht versehen, der dritte mit seitlicher Belichtung.

In Antithese zur bildkräftigen Architektur der Postmoderne, welche die Exponate zu übertrumpfen drohte, beruhten die neuen Schweizer Bauten auf dem Postulat klarer Stereometrie und neutraler Räume. Dabei wurde ein Vortrag, den Rémy Zaugg 1986 zum 50. Jahrestag des Basler Kunstmuseums gehalten hatte, zum wichtigen Anknüpfungspunkt für einen Rappel à l'Ordre. «Das Kunstmuseum, das ich mir erträume, oder: Der Ort des Werkes und des Menschen» betitelte der Künstler seine Überlegungen, wie sich ideale Rahmenbedingungen zur Betrachtung von Kunstwerken schaffen liessen. In einer Zeit, da Museen im Ausland sich gegenseitig durch formale Opulenz zu überbieten suchten, postulierte Zaugg die Rückkehr zu einem zurückhaltenden, dienenden Ambiente, das den Ausstellungsstücken den Vortritt lasse. Der körperlichen und geistigen Auseinandersetzung des Menschen mit dem Werk entspreche «der Saal mit flachem Boden und flacher Decke, dessen vier vertikale, ebene und weisse Mauern miteinander rechte Winkel bilden». Wenn Zaugg forderte, das Museum solle weder «an ein Mausoleum noch an einen Tempel, eine Raffinerie oder ein Disneyland erinnern», verwarf er das postmoderne Schatzkästlein ebenso wie die Ausstellungsfabrik und überdies auch den hehren Galerietypus des 19. Jahrhunderts. Entsprechend schroff ist seine Kritik an der Präsentation von Kunstwerken in zu Enfiladen vereinten Räumen. In der chronologischen Raumflucht sei das Werk «Gefangener der historischen Perspektive, zu deren Konstruktion es benutzt worden ist». Die Streuung der Säle in einem umgebenden Raumkontinuum wird zur Alternative; aus Gründen der Übersichtlichkeit könnte eine jeweils kleine Anzahl von Sälen zu einer Einheit akkumuliert werden.

Dass diese programmatische Intervention nicht ungehört verhallte, beweist das Kirchner-Museum in Davos, in dem eine Reihe der Ideen Zauggs umgesetzt wurde: die deutliche Trennung von Ausstellungssälen und Verkehrsflächen; die Erschliessung der Säle mit Durchgängen, die sich weder in der Mitte der Wand noch in der Ecke befinden; und schliesslich die Öffnung der Erschliessungsbereiche zur Umgebung. Das Museum befinde sich in der Alltäglichkeit der Menschen, dort, wo Bäckerei und Metzgerei ihren Platz haben. Rémy Zauggs Forderungen indes erweisen sich keineswegs als voraussetzungslos, sondern knüpfen an Überlegungen an, die bereits von kulturreformerischen Kreisen um 1900 vorgebracht worden waren. In Opposition zum repräsentativen Museumstypus des 19. Jahrhunderts hatte Alfred Lichtwark, Leiter der Hamburger Kunsthalle, für einfache und zweckdienliche Räume plädiert, für Museen also, bei denen die «Fassade nichts», das «Innere alles» sei. Postulate wie diese fanden durchaus ihren Niederschlag – ob in Hermann Billings Kunsthalle in Baden-Baden oder in Karl Mosers Zürcher Kunsthaus.

Abkehr vom White Cube

Es sollte mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis derartige Postulate im Gefolge des Siegeszugs der Minimal Art erneut an Aktualität gewannen. Museen seien zu einem «übertriebenen, verzerrten und leeren Ausdruck ihrer Architekten» geworden, konstatierte Donald Judd. Und während Peter Eisenman anlässlich der Fertigstellung des Wexner Center for the Visual Arts in Columbus, Ohio, erklärte, Architektur müsse der Kunst nicht dienen, sondern diese herausfordern, forderten Künstler wie Dan Graham, Richard Serra oder Georg Baselitz seit den siebziger Jahren zurückhaltende und neutrale Ausstellungssäle. Baselitz definierte 1977 das Museum als «Bewahrort von Kunstwerken, in dem die Betrachtung derselben in einfacher, vollständiger, ungehinderter und unprätentiöser Weise möglich sein muss». Seine Konkretisierungen sind mit denen von Zaugg durchaus vergleichbar: «Das beste Licht kommt von oben, der beste Raum für diesen Zweck hat geschlossene hohe Wände, wenig Türen, keine Seitenfenster, Oberlicht, keine Sockel, keine Paneele, keine reflektierenden Fussböden und schliesslich auch keine Farben.»

Peter Zumthor hat mit dem Kunsthaus Bregenz einen der radikalsten Beiträge zur zeitgenössischen Museumsarchitektur geschaffen: Wände wie Böden bestehen aus Beton, mattierte Glasdecken bilden den oberen Abschluss dieser Raumgefässe und lassen natürliches Licht einfallen. Die Farbigkeit des grauen Sichtbetons, aber auch das wechselnde Licht beweisen, dass der Architekt vom Prinzip des «white cube» abgerückt war; entstanden ist in Bregenz ein puristisches Museum, das sich gleichwohl vom Dogma des ästhetischen Neutralraums entfernt hat.

Vergleichbar ist Zumthor nun in Köln vorgegangen, in einem Bau, der sich kleinteiliger organisiert und vielgestaltiger zeigt. Der neutrale rechteckige Raum, wie ihn Zaugg gefordert hatte, bildet auch hier den Ausgangspunkt, doch schafft der Architekt durch den permanenten Wechsel der Proportionen sowie der Beleuchtung und Belichtung räumliche Spannung und Vielfalt. Heller Terrazzo sowie lichtgrauer Lehmputz und der Mörtel der Decken lassen einen vereinheitlichenden Farbklang entstehen, der durch das wechselnde Licht lebendig wird. Ständig verändern die Räume ihren Ausdruck, wirken einmal fahl, einmal feierlich. Anders aber als in Bregenz erlaubt Zumthor in Köln durch Fenster Blicke auf die Stadt. So gerät das benachbarte Dischhaus in den Blick, ein an Mendelssohn orientiertes Gebäude von Bruno Paul aus dem Jahr 1929. Nach Westen sieht man zum Opernhaus von Wilhelm Riphahn, das vor wenigen Jahren noch vom Abriss bedroht war. Und schliesslich blickt man auch auf die Domtürme. Aber vor allem fasziniert all jene Banalität und Alltäglichkeit des Gebauten, aus welcher auch Köln besteht und die das Leben eher spiegelt als die Preziosen der Architektur.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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