Akteur

Friedrich Kurrent
* 1931 Salzburg 2022 Wien

„Der Platz vor dem Ring ist verhaut“

Friedrich Kurrent im Gespräch. Über seine Gewinn- und Verlustrechnung, Freund- und Feindschaften – sowie seinen noch offenen großen Wunsch: eine Synagoge am Wiener Ring.

15. Oktober 2011 - Franziska Leeb
Friedrich Kurrent, den Prolog zu Ihrem ersten autobiografischen Buch beschließen Sie mit dem Satz: „Der Bach rauscht vorbei, das Leben rauscht vorbei“, den zur kürzlich erschienenen Fortsetzung über „Die Nullerjahre“ mit den Worten: „Das Wasser stürzt herab.“ Wie wichtig ist Ihnen das Wasser?

Mir war es immer wichtig, dass eine Siedlung an einem Bach ist.

Warum?

Weil man Schnee hineinschaufeln kann!

Schmerzt es Sie, nie einen größeren Wohnbau realisiert zu haben?

Ja, das ist bedauerlich. Schade ist es um ein Haus in einer Baulücke am Spittelberg. Der Einreichplan war genehmigt, es wäre ein zeitgemäßes Spittelberg-Haus geworden. Rudolf Wurzer hat es umgebracht. Sein Vorgänger als Planungsstadtrat, Fritz Hofmann, musste nach dem Reichsbrücken-Einsturz 1976 zurücktreten. Auf dem Bauplatz sind dann Bäume aufgeschossen. Wenn ich gewusst hätte, was kommt, hätte ich sie damals ausgerissen. Die gleiche Gemeinde Wien, die mir mit der einen Hand den Auftrag gegeben hat, hat ihn mir mit der anderen genommen.

Es gab auch noch andere Wohnbaukonzepte.

Für ein Gutachten an der Brünner Straße, 1970, habe ich ein einen Kilometer langes Haus vorgeschlagen. Abgestuft, um wenig Schatten zu erzeugen, und hinten waren lange Rampen, weil jede Wohnung den Autoabstellplatz direkt bei der Wohnung gehabt hätte. Heute mit den Elektroautos überhaupt kein Problem, damals zu utopisch. Also kann ich nicht sagen, es war ein Verlust.

Auch die Wohnraumschule, die Sie 1953 mit der Arbeitsgruppe 4 entwickelt haben, wäre nach heutigen Maßstäben aktuell.

Ja, genau so etwas sucht man heute: eine ganglose Schule, wo es nicht nur Klassen und Freiluftklassen gibt, sondern auch Wohnraum, wo alles stattfinden kann. Eine Schule mit Tierhaltung und Pflanzen, Nischen zum Basteln und so weiter.

„Ich glaube, er sieht die verrückte Alte noch immer gern“, beschrieb Michael Guttenbrunner Ihr Verhältnis zu Wien.

Ich habe Wien nie ausgelassen, wollte nie weggehen. Aber plötzlich hat man mich für das Bewerbungsverfahren für die Nachfolge von Johannes Ludwig an der TU München geladen. Nach drei Jahren bekam ich auch den Sakralbau-Lehrstuhl, den zuvor Josef Wiedemann innehatte.

Sie scheuen sich nicht, Kritik an Kollegen zu üben. Kommt das mit dem Alter?

Nein, das habe ich immer gemacht. Peichl ist mein Lieblingsfeind. Ich bin aus der von ihm organisierten Ausstellung „Die Sieben vom Schillerplatz“ ausgestiegen (Anm.: weil Ottokar Uhl und Anton Schweighofer nicht mit einbezogen wurden). Dann waren es nur noch sechs. Auf dem Sechser-Foto hat Peichl jedem eine rote Rose angesteckt – wie bei der Mafia. 20 Jahre später wurden in einem Fernsehfilm auch „Die vom Schillerplatz“ gezeigt, und man sah eine Einstellung mit diesem Foto, aus dem Spalt, Gsteu und Lackner ausgeblendet und Peichl, Holzbauer und Hollein zusammengerückt waren. Peichl war immer Karikaturist, und seine Architektur hat einen Stich ins Karikaturistische. Roland Rainer, der ihn bei der Stadthalle dazugenommen hat, hatte immer großen Respekt vor den Medien, aber Peichl hat das noch geschickter verstanden.

Das heißt, die Medien haben über Erfolg und Misserfolg mitentschieden.

Das hat damals begonnen. Wenn sie in München nach Rainer gefragt haben, sagte ich: „Er ist eine Kapazität, die mir aus der Entfernung lieber ist.“

Hat das auf Gegenseitigkeit beruht?

Ja, mit Schwankungen. Wir waren gut miteinander. 1990 hat mich Rainer angerufen und gefragt, ob ich für den „Kurier“ Architekturkritiken schreiben will. Ja, aber nicht ständig, habe ich gesagt. Wirklich meldet sich der Kulturressortchef Endler am nächsten Tag. „Machen Sie's?“, fragte er, und ich sagte, ja, hie und da. „Es muss nächste Woche sein, da wird das Haas-Haus eröffnet.“ Das „Haas-Haus“ hatte Rainer nicht erwähnt. Ich habe geantwortet, das kann ich nicht, weil ich noch nicht drin war. „Na, dann muss sich der Professor Rainer wen anderen suchen“, war die Antwort.

Sie haben etliche Gedenktafeln gestaltet.

Ja, für Adolf Loos und Josef Hoffmann zum 100. Geburtstag, dann für Plischke und für Josef Frank und die letzte für Anna Lülja Praun. So viele waren es nicht.

Zum 200. Geburtstag von Theophil Hansen 2013 wüssten Sie auch ein posthumes Geschenk – die Verlängerung der Hansenstraße.

Sie muss dann „Theophil-Hansen-Straße“ heißen, er hat hier gewohnt. Die Straße ist kurz, aber nicht zufällig so breit angeordnet, sie richtet sich nach der Flucht der Seitenrisalite der Museen. Aber der Platz vor dem Justizpalast bis zum Ring ist verhaut. Camillo Sitte kritisierte schon die „unrhythmische Stelle“ und schlug einen mächtigen Rundbau als Gelenk zwischen Parlament und Palais Epstein vor. Ich denke, dort müsste eine Synagoge hin. In den ersten Bezirk, nicht in die Leopoldstadt. Erstens war Leopold I. ein Antisemit, zweitens schrieb Ferdinand Kürnberger schon im 19. Jahrhundert: „Die Juden und die Praterhirschen wurden abgedrängt in Richtung Donau.“ An der Breitseite des Zwickels, gegenüber vom Justizpalast, nächst dem Parlament, wäre die ideale Stelle für ein „Haus der Geschichte“. Das muss natürlich ein Wettbewerb werden.

Seit wann arbeiten Sie an der Synagoge?

Schon im Jahr 2000 habe ich einen Typus für den Wettbewerb in München entwickelt, den man überall verwenden kann – größer, kleiner oder woanders. Dann hatte ich in der Neujahrsnacht 2006 den Geistesblitz, man könnte den Typus in Wien verwenden. Ich möchte, dass sie Wirklichkeit wird. Heuer im Februar habe ich Bürgermeister Häupl um einen Termin gebeten. Immerhin hat er mir zum Geburtstag gratuliert

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: