Akteur

Caramel architektInnen zt-gmbh
Wien (A)

Zu jung, um gut zu sein?

Wem mit 25 zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen. Wider den Mythos, dass große Ideen erst im Alter entstehen - am Beispiel der Gruppe „Caramel“.

6. Mai 2005 - Christian Kühn
Architektur gilt traditionell als Beruf, in dem man die magische Altersgrenze von 40 Jahren überschritten haben muss, um ernst zu nehmende Werke schaffen zu können. Zugegeben: Architektur, die sich nicht auf die schöne Verpackung beschränkt, ist ein komplexes Unternehmen, das viel Erfahrung braucht. Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass die meisten guten Architekten ihre zentralen Ideen sehr viel früher entwickelt haben. Wem mit 25 Jahren zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen.

Einige Jahre Mitarbeit in guten Büros, wie sie auch die Architektenkammer als Voraussetzung für die Ziviltechnikerprüfung vorschreibt, sind sicher sinnvoll und notwendig. Aber dann brauchen Architekten Aufträge, um sich entwickeln zu können, so früh und so eigenständig wie möglich. Dass größere Projekte oft erst jenseits der 40 akquiriert werden, liegt daran, dass erst dann Mitglieder der eigenen Altersklasse in Positionen zu finden sind, in denen sie Entscheidungen als Bauherren treffen oder als Jurymitglieder beeinflussen können.

Die Architektengruppe Caramel, zu der sich Günther Katherl, Martin Haller und Ulrich Aspetsberger 2001 zusammengefunden haben, darf das Attribut „jung“; jedenfalls zu Recht für sich beanspruchen. Ihre Mitglieder sind (in der Reihenfolge der Namensnennung) Jahrgang 1965, 1966 und 1967. Haller und Katherl haben bereits 1998 ein gemeinsames Büro in Wien gegründet, das vor allem durch Wettbewerbserfolge aufgefallen ist. Im Wettbewerb für die neue Hauptbibliothek am Wiener Gürtel erreichten sie 1998 den zweiten Platz mit einem Projekt, das die vertrackte städtebauliche Situation für eine wirklich innovative Lösung genutzt hätte. Man darf vermuten, dass die Jury in diesem Fall geahnt hat, dass ein solches Projekt nur von jüngeren Architekten kommen konnte, und kein Risiko eingehen wollte.

Im selben Jahr konnten Caramel den Wettbewerb für ein Bürohaus der renommierten, auf Glaskonstruktionen spezialisierten Firma Seele in Augsburg für sich entscheiden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es dem Auslober weniger um eine Realisierung als um die Publicity in Architektenkreisen durch einen aufwendig beworbenen Wettbewerb gegangen war.

Insgesamt weist das Werkverzeichnis von Caramel 29 Wettbewerbserfolge auf, darunter sechs zweite und acht erste Preise. Ihre bekannteste realisierte Arbeit ist ein Einfamilienhaus in Linz, das sie zusammen mit Friedrich Stiper als Innenarchitekten realisierten, ein hart am Wind des Zeitgeistes segelndes Projekt mit einer spektakulär über den Hang auskragenden Stahlkonstruktion.

Im Vergleich dazu ist ihre größte bisher aus einem Wettbewerb hervorgegangene Arbeit, eine Erweiterung der Zentralwerkstätte für die MA 48 in Hernals, eher zurückhaltend. Die funktionelle Grundidee des Entwurfs war die Aufteilung des Raumprogramms auf zwei Baukörper, zwischen denen - geschützt von einem Membrandach - die Abfahrt in eine Tiefgarage liegt. Beim kleineren Bauteil handelt es sich um die Erweiterung einer bestehenden Halle, der größere steht frei auf dem extrem beengten Baugrund zwischen gründerzeitlichen Industriehallen aus Ziegelmauerwerk und folgt mit seinen beiden abgerundeten Ecken den Wendekreisen des Verkehrsflusses. Auf Straßenniveau finden sich in diesem Gebäude zwei Meisterbüros, 18 Montageplätze in der großen Halle sowie eine eigene Waschanlage. Im Zwischengeschoß liegt das Besprechungszimmer mit Ausblick in die umgebenden Baumkronen. Büros, Umkleidekabinen und ein großer Speisesaal für die Mitarbeiter mit dazugehöriger Küche sind im obersten Geschoß untergebracht.

Das auffälligste Merkmal des Gebäudes ist seine Oberfläche aus vorbewittertem schwarzem Zinktitanblech. Um den Effekt einer dünnen Haut zu unterstreichen, sind die Fenster in einer Ebene mit der Verblechung eingesetzt. Die Halle im Erdgeschoß ist beidseitig verglast, wobei in die Glaswand geschlossene Rolltore eingesetzt sind, die einen überwiegenden Teil der Fläche einnehmen. Die verbleibenden Glasstreifen reichen jedoch aus, um die Halle zu belichten und vor allem durchlässig erscheinen zu lassen. Angesichts der sehr beengten Situation ist dieser Effekt sowohl für den Innen- als auch für den Außenraum wichtig: Eine geschlossene Box hätte an dieser Stelle klaustrophobische Zustände bewirkt.

Besonders erfreulich ist die Intention, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, und zwar nicht nur am eigentlichen Arbeitsplatz, sondern auch in den Nebenräumen. Ein Speisesaal mit einem Panoramablick über Wien, wie er den Mitarbeitern der MA 48 hier geboten wird, ist sicher nicht Standard für die Müllabfuhren und Straßenreinigungen dieser Welt, kostet aber nicht mehr als ein schlecht belichteter mit Blick auf eine Feuermauer. Der Weg aus den Werkstätten dorthin führt über ein Treppenhaus, das über ein vertikales Fensterband belichtet ist und dessen Geländer durch die Überlagerung der gelochten Stahlbleche psychedelische Muster erzeugen - ein im besten Sinn des Wortes „billiger“ Effekt, der den Weg zu den Pausenräumen ohne Zusatzaufwand zu einem besonderen Erlebnis macht.

Bedauerlich ist jedoch, dass die Bauherren die Architekten nicht in die Einrichtung des Gebäudes involviert haben und sich auch bei der Lichtgestaltung die Standards im Nutzbau der Gemeinde Wien durchgesetzt haben. Das übliche Braun-Beige dominiert die Meisterbüros und die Bestuhlung des Speisesaals, und auch die Garderoben hätten mit geringer Anstrengung einen besseren Start in den Arbeitstag vermitteln können. Wenn mit einem aufwendigen Wettbewerbsverfahren eine hochwertige Architektur gesucht und sogar realisiert wird, ist es absurd, bei Mobiliar und Beleuchtungskonzept auf ähnliche Maßstäbe zu verzichten. Durch falsche Entscheidungen in diesem Bereich werden gute architektonische Ansätze manchmal bis zur Unkenntlichkeit neutralisiert.

Ähnliche Probleme gibt es gerade bei öffentlichen Bauherren oft am anderen Ende des Spektrums, nämlich bei der Tragwerksplanung. Das Werkstättengebäude in Her- nals wäre prädestiniert für eine Leichtkonstruktion in Stahl und war von den Architekten im Vorentwurf in Zusammenarbeit mit dem Tragwerksplaner Peter Bauer auch als solche konzipiert. In konstruktiver Hinsicht herrscht jedoch in Wien nach wie vor Bunkermentalität, und so blieb es am Ende bei der konventionellen Lösung in Stahlbeton. Die Gesamtqualität des Projekts können diese Punkte aber kaum schwächen.

Caramel sind Optimisten, die sich trotz der vielen gewonnenen, aber nicht realisierten Wettbewerbe nicht davon abhalten lassen, ihre Aufträge weiterhin über den Wettbewerb zu suchen. Als Optimisten dürfen sie auch an die Lernfähigkeit der öffentlichen Bauherren glauben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Kontakt

Günter Katherl
Martin Haller
Ulrich Aspetsberger
Claudia Rockstroh

Türkenstraße 17
1090 Wien
Österreich

Tel +43 1 5963490
kha[at]caramel.at