Bauwerk

Blumenkraft
Eichinger oder Knechtl - Wien (A) - 1999
Blumenkraft, Foto: Margherita Spiluttini

Ausblühungen auf Stadthumus

Verkaufsgebräuche scheiden Konsumentengeister: Masse oder Klasse? Der Floristik hat der beschleunigte Einzelhandel viel Substanz genommen. Die alternative Geschäftschance: Sinnesreiz mit „blumenkraft“.

3. März 2001 - Walter Chramosta
Es bedurfte nicht erst des Rinderstumpfsinns und der Tafelspitzverweigerung, um die Korrektheit der Güterproduktion für den täglichen Bedarf bedroht zu sehen. Seit der „Meisterbäcker“ den Bäckermeister, der „Obstgarten“ das Gartenobst oder das „Erlebnisessen“ das Eßerlebnis in den Konsumhintergrund drängen, ist fortschreitender Kulturverlust absehbar. Uniforme Quantitäten können über vielfältige Qualität obsiegen, ohne nennenswerten Widerstand der Konsumenten zu provozieren. Die zeitliche und finanzielle Allverfügbarkeit unüberschaubarer Produktpaletten bei Großanbietern dämpft den Antrieb des Konsumenten, das für ihn beste Produkt beim Spezialisten zu suchen: Die Vollmilch kommt von der Tankstelle, das Vollkornbrot rasch vom Bahnhof und der Festblumenstrauß fertig vom Baumarkt.

Die Floristik ist augenscheinlich eine der Branchen, die eine Ära der Nivellierung hinter sich hat. Viele Jahre haben die „Holland-Blumenmärkte“ mit plakativer Optik und großen Verkaufsflächen den rationalisierten Blumenhandel verkörpert, während traditionell auftretende Blumenhandlungen und Gärtnereien weiterhin die Grundversorgung sicherten. Der Reiz der „Holland-Ware“ ist etwas verblaßt, weil dabei die industrielle Landwirtschaft im europäischen Kontext mitschwingt und andere Grossisten wie Gartencenter und Baumärkte angreifen.

Gleichzeitig scheint sich der Konsument auch wieder für die fachmännische Beratung beim Blumenkauf zu interessieren. Anzeichen dieser Trendwende ist eine Reihe von jüngeren Wiener Geschäftsgründungen mit griffiger Namengebung: „Zweig- stelle“, „Schnittstelle“, „Flowerpower“ - und nicht zuletzt „blumenkraft“. Eine vergleichbare Begriffsoffensive lief zuvor unter den Friseuren, bei den Fleischhauern wird sie notgedrungen bald einsetzen.

Selbst wenn man derartige Schlüsselwortspiele nicht überbewertet, bei ganzheitlich angelegten Unternehmenskonzepten erlaubt schon diese vordergründigste Schicht der neudeutsch so genannten „Corporate identity“ einen Rückschluß auf eine originäre Unternehmensphilosophie. Ein Exempel: „blumenkraft“ ist als geschützte Wortmarke eine Schöpfung des Wiener Architektur- und Designbüros Eichinger oder Knechtl. Die weitgereiste und erfahrene Floristin Christine Fink hatte die beiden nicht nur im Ladenbau bewährten Konzeptionisten und Gestalter als Berater bei der Etablierung ihres ersten eigenen Unternehmens, fink.inc, gewonnen.

Die Geschäftsidee umfaßt neben dem Blumenverkauf und der Designobjektentwicklung für Blumen auch einschlägiges Consulting für die Raum- und Gartengestaltung. Die überraschende Begriffskombination aus Blume und Kraft tritt in moderner Kleinschreibung und in Otl Aichers kultig-strenger Schrifttype Rotis selbstbewußt und technisch-nüchtern auf. Der Ver- kaufsraum bestätigt die Namengebung und den graphischen Auftritt nicht nur, er übertrifft ihn, konterkariert ihn aber auch durch die dosierten Sinnlichkeiten in sachlichem Ambiente. Das hohe Erdgeschoßlokal in einem spätgründerzeitlichen Zinshaus ist seit der Eröffnung Ende 1999 ein trendbildendes Ereignis, tatsächlich einmal ein Erlebnis, das dem ursprünglichen Sinn des Wortes nahekommt - nicht nur für Floristen, sondern für jeden, der von der Schönheit der Pflanzen, von ihrer Wechselwirkung mit Raum und Material berührt wird.

Die Blumenkraft ist in diesem Geschäftslokal, das Schauraum, Werkstätte, Bar und Büro zugleich sein will und ist, spürbar. Sie teilt sich über die überzeugend neuartig arrangierten Pflanzen und Schnittblumen sogar auf der Straße mit. Die Passanten stehen staunend vor den großen Auslagen und treten zur kontemplativen Vertiefung ein, die Konkurrenz ordnet die Ideen nervös zur Nachnutzung; die Architekten suchen naturgemäß, aber vergeblich nach dem Kollegen hinter dem Phänomen, nur das Marktamt kann sich über den Geschäftszweck nicht klar werden und spricht eine Geldstrafe wegen Konsumentenirritation aus.

Der Standort der blumenkräftigen Basisstation ist synergetisch, Stadt und Lokal stehen in sich positiv bestärkender Wechselwirkung. Die Schleifmühlgasse in Wieden gehört zum Freihausviertel; mit seinen Bars, Restaurants und Kunstgalerien, durch die Nähe zu Generali Foundation, Technischer Universität, Kunsthalle und Naschmarkt ist es zu einer der virulentesten Zonen Wiens geworden - und die Tendenz zur urbanen Diversifikation ist hier noch lange nicht abgeschlossen. Die andere Erdgeschoßhälfte nimmt kongenial das von Jabornegg & Palffy gestaltete Bekleidungsgeschäft Jutta Pregenzer ein. Zusammen bilden sie einen „magnetischen“ Sockel, der dem reich ornamentierten Palais endlich gerecht wird und den Ort einprägsam macht.

Eichinger oder Knechtl haben das 170 Quadratmeter große Raumgefüge, das zuvor zergliedert als Küchenstudio unkenntlich war, freigelegt und sparsam bestückt. Die tragenden Ziegelwände und -decken sind weiß und wurden wie die Stahlstützen beibehalten, die Portalanlage restauriert.

I n das Ringstraßenflair setzten sie als Hauptmöblierung in der Achse des Eingangs eine Reihe von leicht vibrierenden, weil aus dünnem Edelstahlblech gekanteten Arbeitstischen, auf denen die Floristinnen vor den Kunden ihrer Arbeit nachgehen. An den Wänden sind frei- tragend Stahlkörper als durchgehende Stellfläche für Blumengestecke und Pflanzgefäße befestigt. An der Fassade kontrastieren eigens gegossene Beton-
tische überzeugend die florale Pracht.

D ie Mitte des gassenseitigen Raumteils besetzt ein hohes, mit wechselnden Vasen und Arrangements bestücktes Stahlregal. Der Boden ist mit schwarzem Schiefer belegt. - Der Materialkanon ist asketisch, der finanzielle Aufwand sparsam. Die Anorganik von Eichinger oder Knechtl ist der richtige Hintergrund für die Finksche Definition von Organik. Die Präsenz hochwertiger Pflanzen entfaltet sich gerade in einem bewußt beruhigten Umfeld. Man ist zuerst versucht, an direktere Bezüge zur japanischen Floristik zu glauben, aber hier sind überraschende und von leichter eigener Hand kommende, vegetabile Kompositionen zu sehen, die sogar als originäre Mikroarchitekturen zu deuten sind, wenn sich Pflanzen mit Wurzel und Blüte in schnittigen Glasgefäßen raumgreifend und synästhetisch zusammenfinden.

Die betörende Kraft feinsinnlicher Dosis erfühlte Gottfried Benn 1912 im „Nachtcafé“: „Ein Duft kommt mit. Kaum Duft. Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft gegen mein Hirn.“

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