Bauwerk

Albertina
Erich G. Steinmayr, Friedrich H. Mascher, Hans Hollein, Arkan Zeytinoglu - Wien (A) - 2002
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini
Albertina, Foto: Margherita Spiluttini

Zwei Fassaden, ein Gebäude

Ein in die Erde versenkter vierstöckiger Neubau, in den bis ins unterste Geschoß Tageslicht fällt, und das in einem streng denkmalgeschützten Ensemble: das „unsichtbare“ Studiengebäude der Wiener Albertina. So heikel die Aufgabe war, so brillant fiel die Lösung von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher aus.

20. April 2002 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wie die Zeit vergeht. Nicht zu glauben, daß der Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung der Wiener Albertina schon neun Jahre zurückliegt. Nächstes Jahr, wenn das Gesamtprojekt abgeschlossen und eröffnet werden wird, ist es dann also ein rundes Jahrzehnt. Dabei wird beim Bauen keineswegs getrödelt: Seit Beginn der Bauarbeiten im Frühjahr 1999 schreitet das Vorhaben zügig voran. Es war die Phase vor der eigentlichen Realisierung, die sich so lang hingezogen hat. Ein Jahr vor der Eröffnung ist daher erst ein Bauabschnitt wirklich abgeschlossen. Der allerdings ist architektonisch vom Feinsten.

Die Intelligenz des Projekts von Erich G. Steinmayr und Friedrich Mascher hat schon seinerzeit, im Wett-bewerbsjahr 1993, bestochen. Die Idee, ein „unsichtbares“ Studiengebäude in die Erde zu versenken, in das aber trotzdem Tageslicht einfällt und das sogar über einen absolut sehenswerten Ausblick verfügt, war immer schon brillant. Jetzt sieht man, daß sie auch entsprechend umgesetzt wurde.

Nur: Daß man es sieht, wenn man es sehen möchte, das ist gar nicht so leicht. Weil es eben ein „unsichtbares“ Gebäude ist, eines mit nur zwei Fassaden: dem Dach und jener Fassade Richtung Nationalbibliothek, die sich gläsern aus der Erde herausschiebt, orientiert auf einen gar nicht so kleinen, einfachen, kontemplativen Hof.

Die Dachfläche des Neubaus ist ganz eben, aber strukturiert. Es gibt in der Fläche sitzende Lichtampeln, beschattet durch einen simplen Raster aus Alu-LKW-Brettern, dazwischen fast schwarze, verblechte Dachflächen. Schwarz - in der Architektur bei vielen Leuten sehr ungeliebt - gehört zum Material-, Oberflächen- und Farb-konzept, das sich ganz stringent durch dieses Gebäude durchzieht.

Die Hauptfassade zum Hof ist in der Tat überraschend: Einmal sitzt die Verglasung außenbündig, also ganz vorne in der Fläche, dann springt sie plötzlich zurück, die Verglasung ist innenbündig angebracht und ein fixer Alu-Beschattungsraster davor montiert, unten sitzt sie wieder außenbündig in der Fläche. Das ist eigenartig. Und es ist eigenartig, wie unterschiedlich die Fassaden-teilung ausgefallen ist. Denn da tauchen in schöner Regelmäßigkeit auch hohe schmale Glaselemente auf, die ausschauen, als wären sie Türen, vor denen man den Balkon vergessen hat. Hat man aber nicht. Es sind die Brandrauchklappen, die sich hier im Fassadenbild zeigen.

Wir reden von einem vierstöckigen Neubau, in dem sich - von oben nach unten - ein öffentlich zugänglicher Studiensaal mit dreißig Arbeitsplätzen und einem erhöhten Bereich mit Computer-Arbeitsplätzen befindet, darunter sind die Werkstätten für die Papier-restaurierung. Wieder darunter ist ein interner Studiensaal mit angeschlossenem Photostudio auch für Digital-kameras und einer Verbindung zum untersten Geschoß mit der Bibliothek.

Das ganze Gebäude hat eine Raumtiefe von ungefähr dreißig Metern, dort ist dann eine Art Lichtschleuse, ein verglaster Lichthof eingeschoben, über den selbst an einem ganz trüben Tag Tageslicht bis auf die unterste, die Bibliotheksebene einfällt.

Übrigens wird das Studiengebäude vor der Eröffnung im nächsten Jahr nicht öffentlich zugänglich sein. Denn Sinn macht es nur, wenn der Tiefspeicher fertig und der Zugriff auf die Bestände der Albertina gewährleistet ist. Und das ist ein ziemlich komplexes Unterfangen. Der Zugriff auf die Sammlung wird in Zukunft geschoßweise, mechanisch und automatisch erfolgen. Es werden in jedem Geschoß sogenannte Ausgabegeräte installiert, in die man seine Wünsche eingibt und die den ganzen Vorgang des Heraus-suchens und Anlieferns selbsttätig erledigen. Das ist zwar ungemein aufwendig, aber in dieser Möglichkeit liegt gewissermaßen der „politische“, der „demokratische“ Aspekt des gesamten Albertina-Projekts: Er macht diesen Sammlungsbestand für eine Öffentlichkeit, die aus Wissenschaftlern, Forschern, Studierenden besteht, wirklich zugänglich. Und das war zuvor auf dieser breiten Basis nicht möglich.

Was das Projekt von Steinmayr und Mascher seit der ersten Stunde so überzeugend gemacht hat, ist die Logik der Lösung. Was es gebraucht hat, war eine ungemein diffizile städtebauliche Lösung für diesen „unsichtbaren“ Neubau im zu Recht unverletzbaren, strengstens denkmalgeschützten Bereich zwischen Augustinerstraße, Burggarten und Hofburg; es hat eine sinnvolle interne Verknüpfung zwischen dem Altbau, und den Neubauteilen, also Studiengebäude, Tiefspeicher und Ausstellungshalle gebraucht; und all das hat zwingend nach einer angemessenen formalen Umsetzung verlangt, die dem Standort und der Albertina gerecht wird.

Letzteres ist beim Neubau schon dadurch bewältigt, daß man mit einem Minimum an Material ausgekommen ist: Es gibt Sichtbeton in durchaus brauchbarer Qualität, es gibt schwarzen Fließterrazzo, es gibt Aluminium - eloxiert oder pulverbeschichtet -, es gibt Glas von transparent bis transluzent, und dann gibt es auch noch Holz, und zwar Eiche. Als Parkett auf dem Boden, auch als relativ stark geflammtes, aber durch die Logik der Verlegetechnik wieder beruhigtes Furnier auf Wandpaneelen. Und was das alles vom Kritikerstandpunkt aus so einsichtig macht: Die Dinge haben ihre Begründung, sie sind nicht bloß Willkürakt. Daß im Studiensaal trotz Tageslicht von oben eine Glasfassade ist, hat mit dem psychischen Wohlbefinden zu tun, das sich einstellt, wenn man nach draußen schauen kann; daß im Werkstättengeschoß über die Fassade für eine optimale, aber steuerbare Belichtung gesorgt ist, hat mit den konkreten Anforderungen zu tun. Und so weiter. Bis hinunter zur Bibliothek, wo man dann halt bei Tageslicht nachschauen kann, ob das Buch, das man sich aus dem Kompaktregal geholt hat, wirklich das richtige ist.

Die funktionelle Verknüpfung der verschiedenen Einheiten untereinander kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur teilweise nachvollziehen. Der alte Portikus steht wieder da; die Holleinsche Rolltreppe ist in einem frühen Realisierungsstadium; der in Zukunft glasüberdachte Albertina-Hof wird einmal die entscheidende Verteilerfunktion im Komplex übernehmen. Man sieht, wie die neue Ausstellungshalle in etwa dimensioniert sein wird - und man sieht, daß sie eine massive Decke hat. Das ist ein bißchen unbegreiflich, wenn man weiß, daß die Architekten ursprünglich eine Lichtdecke dafür entwickelt haben. Auch wenn die Albertina-Lichtdecke nur halb so gut gewesen wäre wie jene, die Renzo Piano für die Sammlung Beyeler bei Basel entwickelt hat, wäre sie immer noch eine Sensation im Vergleich zu dieser Bunkerlösung.

Die Albertina ist zum jetzigen Zeitpunkt eine der aufregendsten Baustellen Wiens. Abenteuerlich. Da überschneiden sich unterschiedlichste Bauetappen, und bei den verschiedenen Niveaus, die nun sichtbar sind, wird es ganz schwer, sich überhaupt noch zu orientieren. Unbeschreiblich aufregend, die alten Klostergewölbe zu sehen, wo der „Albertina-Keller“ lange Zeit sein Weinlager hatte und wo man jetzt, wenn man hinauf schaut, die massiven Träger sieht, mit denen die notwendige Unterfangung eines Teils der Albertina bewältigt wurde.

Eine vielleicht kuriose Anmerkung zum Schluß: Ursprünglich hatte die Albertina-Rampe eine Steigung von sechs Prozent, jetzt hat sie neun Prozent. Denn die Begrenzungsmauer der Rampenkehre - übrigens mit den al-ten Zwanzig-Zentimeter-Massivblöcken realisiert - mußte durch den Neubau um dreißig Meter vorverlegt werden. Selbst als Wiener, der die Situation gut kennt, fällt einem praktisch nicht auf, daß die Rampe jetzt steiler ist. Es ist schon komisch, wie das in der Architektur mit dem Gedächtnis funktioniert: Manches bewahrt sich ganz lange, sogar jahrhundertelang. Und dann gibt es aber auch Dinge, die sind gleich vergessen.

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