Bauwerk

Tate Gallery of Modern Art
Herzog & de Meuron - London (GB) - 2000
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini

Die Pointillisten im Olymp der Architektur

Raffinierte und unverwechselbare Architekturen haben das Baseler Büro Herzog & de Meuron zur Architektur-Trademark gemacht. Jacques Herzog und Pierre de Meuron sind quasi ein altes Architekturehepaar. Sie sind beide Jahrgang 1950, haben schon miteinander die Schule besucht, später gemeinsam an der ETH in Zürich Architektur studiert und schließlich 1978 zusammen ein Büro in Basel aufgesperrt.

11. Mai 2000 - Ute Woltron
Die neue Tate ist, wie Jacques Herzog sagt, ihr bisher größter, wichtigster Auftrag. Museumsbauten im Allgemeinen sind zurzeit das prominenteste und bestbeachtete Beschäftigungsfeld für Architekten, der Umbau des Londoner Kraftwerks zum Kulturtempel katapultiert die beiden Schweizer denn auch elegant mit einem Kracher in das breitere internationale Architekturbewusstsein und bereitet ihnen ein Plätzchen im Architektenolymp, wo nur ganz wenige Kollegen wie etwa Frank Gehry, Rem Koolhaas oder Zaha Hadid sitzen.

Die Architekturszene selbst beäugt Herzog & de Meuron selbstverständlich schon viel länger. Die beiden fielen bereits mit eigenwilligen, ganz neuartigen Wettbewerbsentwürfen auf, als die Rektorenunterschrift auf ihrem Architekturdiplom noch frisch war, und auch die mittlerweile zahlreichen tatsächlich gebauten Projekte, so unterschiedlich sie sein mögen, tragen stets sehr deutlich den Stempel der Trademark Herzog & de Meuron.

Gebäude wie das Stellwerk auf dem Wolf in Basel, das Fabriksgebäude für den Zuckerlproduzenten Ricola oder ein Weingut im kalifornischen Nappa Valley machen klar, wie die Architektur der beiden funktioniert: Die Grundstruktur ist stets sehr einfach, sehr klar, nach allen Richtungen geradlinig und gut funktionierend.

Doch in diese selbstbewusste, sozusagen logisch und nüchtern in der Welt verankerte Gestalt weben Herzog und de Meuron überraschende zusätzliche Architekturzaubereien, die mit einfachen Mitteln aus simplen Kisten ganz magische Orte zu produzieren vermögen und dazu stets irgendwie Bezug nehmen auf Inhalt und Funktion des Gebäudes.

Die Ricola-Herberge zum Beispiel ist nichts anderes als eine schwarz gefärbte Beton-Zuckerlschachtel, doch mit ihrem zweiseitig auskragenden Flachdach und den zwei lichtdurchlässigen Polycarbonatwänden darunter wird das Gebäude im französischen Mulhouse zum optischen und atmosphärischen Bonbon. Auf die transparenten Wandscheiben ist ein sich unendlich wiederholendes, überlagerndes auf den Grundstoff Ricolascher Kräuterzuckerlkunst anspielendes Pflanzenmotiv gedruckt, das zum einen das Licht herrlich ins aquariumartige Gebäudeinnere filtert, zum anderen von jedem Betrachtungswinkel und aus jeder Betrachterdistanz ein anderes Erscheinungsbild ergibt.

Ähnlich pointillistisch und in kleinen Elementen stur repetitiv gehen die Schweizer an viele ihrer Häuser heran: Das Weingut in Kalifornien etwa setzt sich aus großen dunklen und unbehandelten Gesteinsbrocken zusammen, die lose in Stahlgitterkuben gefüllt wurden. Aus der Nähe betrachtet ergibt das eine lockere, luftdurchfächelte Angelegenheit, von der Ferne ein beeindruckendes, blickdichtes Monument.

Das Stellwerk in Basel wiederum sieht auf den ersten Blick wie eine große undurchlässige Kupferhülle aus, die horizontalen Metalllamellen, die sich um das gesamte Gebäude wickeln wie eine Kupferspule und zum einen auf die Funktion der Architektur als Stromverwalterin anspielen, zum anderen das Gebäude tatsächlich wie ein Faradayscher Käfig vor Spannungen schützen, sind allerdings in den Fensterzonen verdreht. Sie lassen tagsüber Licht und Aussicht ein, nachts leuchtet der gesamte Baukörper von innen wie eine Kupferglühbirne.

Herzog & de Meuron sind bei aller konstruktiven Glätte durchaus verspielte Architekten. Sie setzen billige, vormals verpönte Industriematerialien wie Sperrholz, Schalplatten, Asphaltpappe überraschend ein und veredeln sie durch schlichte Funktion. Der gelegentlich geäußerte Vorwurf, sie würden designte Hüllenarchitektur liefern, ist leicht widerlegbar, die Häuser funktionieren gut, und ein lustvoller Kampf gegen das von Adolf Loos vor hundert Jahren verhängte Dekorationsverbot, nach dem das Ornament ein Verbrechen sei, ist ohnehin überfällig.

Mittlerweile haben sich Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit zwei Partnern zusammengetan. Seit 1991 ist Harry Gugger mit von der Partie, seit 1994 Christine Binswanger. Und ein weiterer Kulturbau ist in Arbeit: Für das De Young Museum der Schönen Künste im Golden Gate Park von San Francisco ist ein Neubau geplant.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Tate Gallery

Tragwerksplanung

Landschaftsarchitektur

Fotografie