Bauwerk

Tate Gallery of Modern Art
Herzog & de Meuron - London (GB) - 2000
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini

Londons gigantische Kunstturbine

Eine Million Besucher in knapp zwei Monaten: Die „Tate Modern“

Keine chronologische Hitparade der bildenden Künste, sondern die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem versucht Londons vor zwei Monaten eröffnete „Tate Modern“: Doris Krumpl sprach mit ihrem Direktor Nicholas Serota.

19. Juli 2000 - Doris Krumpl
London - In der ehemaligen Turbinenhalle geht es zu wie am Hauptbahnhof zur Rushhour. Schülergruppen lungern am Boden, an den Informationsschaltern drängt sich die Menge.

Eintritt zu zahlen braucht man nämlich nicht in der „Tate Modern“, die damit das in Großbritannien gepflegte demokratische Recht auf Museumsbesuch für alle prolongiert. Nicht nur die schlicht geniale Architektur der Schweizer Herzog/de Meuron setzt Maßstäbe, sondern wie das 134,5-Millionen-Pfund-Projekt Tate Modern überhaupt angegangen wurde.

Sir Nicholas Serota, Direktor der alten wie neuen Tate Gallery und mit britischem Understatement ein wohltuender, intellektueller Gegenpol zu den polternden, schenkelklopfenden US-amerikanischen Museumschefs, ist Schirmherr all dieser Aktivitäten. Bevor irgendetwas gebaut wurde, schickte er Sozialarbeiter in das südlich der Themse gelegene „no-man's land“ mit extrem hoher Arbeitslosenrate, die eine Einbindung der ansässigen Bevölkerung in Aussicht stellte.

Wie das Museum of Modern Art für die 40er/50er, das Pompidou für die 70er und das Guggenheim Bilbao für die 90er, so atmet die auf die in Orwellschem Neusprech auf Tate Modern verkürzte Gallery wirklich neuen, aber keinen Zeitgeist. Keine mit Türmchen und Fensterlein verzierte Prunk- und Protzhülle à la 80er steht da am Flussufer, sondern vielmehr ein pragmatischer, demokratischer Bau.


Massenbesuch

Und er hat, abseits der Form wie Funktion bestens vereinenden Architektur, auch noch profunden Inhalt zu bieten. Und „trotz“ des Inhalts kommen Massen, da staunt auch Sir Serota. Vor kurzem wurde der millionste Besucher gezählt, knapp zwei Monate nach der Eröffnung. Erhofft hatte man sich zwei Millionen pro Jahr.

„London entdeckt gerade, dass es einen Fluss hat“, meint Serota - und die britischen Blätter schreiben: „Take a walk on the south side.“ Das können Fußgeher auch via Millennium Bridge machen - wenn sie nicht wegen zu starkem Wackeln („wobble“) und Schwingen gesperrt ist. Ihr Architekt, Sir Norman Foster, muss sich deshalb den Neo-Namen „Sir Norman Wobble“ gefallen lassen.

Vor drei Jahren noch hätte man kein einziges Taxi in dieser Gegend gesehen, erzählt der Direktor. Ihm steht Lars Nittve als Direktor der Tate Modern zur Seite. Vor London hatte der Schwede das renommierte Lousiana Museum of Modern Art in Dänemark geleitet. Gemeinsam konzipierten sie die Schaustellung der Kollektion, die bis dato in den Depots ruhen musste.

Das Wachküssen hat sich gelohnt, so zeigt sich in der permanenten Sammlung erlesener Geschmack. Es gibt das Beste von den Besten, in solchen Größenverhältnissen präsentiert.

Nicht in chronologischer Reihenfolge stehen die Kunstwerke, sondern thematisch geordnet - quer durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Stillleben (Still Life/Object/Real Life), Landschaftsbild (Landscape/Matter/Environment), Akt (Nude/ Action/Body), sowie History/ Memory/Society. So befinden sich Halbreliefs von Matisse etwa Aquarellen von Marlene Dumas gegenüber. Oder Richard Longs steinerne Bodenskulptur Red Slate Circle neben Claude Monets Wasserlilien - ein belebender Kontrast beim Thema „Landschaft“.

„Das Museum sollte nicht etwas geschlossen Historisches sein, sondern sich um das zeitgenössische Verständnis von moderner Kunst drehen“, sagen Serota und Nittve unisono.

Diese unkonventionelle, unhierarchische Aufstellung brachte auch Kritik ein. Man wäre zu subjektiv, man sähe zu sehr die persönliche Handschrift der Kuratoren. Serota darauf: „Wo sieht man die übrigens nicht? Außerdem stellt sich die Frage: Warum muss ich als 1956 geborener Künstler immer mit Menschen ausstellen, die zwischen 1950 und 1960 geboren sind? Das ist ja wie in der Schule!“

An einem einzigen Ort kann man übrigens den Besuchermassen entkommen: Die Baustellen-Installation von Fischli/Weiss hält niemand für Kunst - alle rennen schnell daran vorbei. www.tate.org.uk

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