Bauwerk

Rathaus
José Luis Camarasa - Benidorm (E) - 2002

Wie ein umgestürzter Wolkenkratzer

Ein brückenartiges Rathaus als Wahrzeichen der spanischen Touristenstadt Benidorm

Hotel- und Apartmenttürme verleihen Benidorm, dem grössten Ferienort Europas, eine Skyline, wie man sie sonst nur von Metropolen kennt. Nachdem im Stadtteil Cala mit dem «Gran Bali» das höchste Bauwerk Spaniens hat eröffnet werden können, setzt nun das neue Rathaus in Form eines gefällten Wolkenkratzers einen vieldeutigen Akzent.

5. November 2004 - Roman Hollenstein
Kaum eine andere Küstenlandschaft am Mittelmeer wurde von Planern und Spekulanten derart misshandelt wie die Costa Blanca, als deren Inbegriff Benidorm gilt. Dabei ist diese vielgeschmähte Hochburg des Massentourismus mit ihrer eindrücklichen Skyline, den weit geschwungenen Stränden und der bizarren Bergszenerie rein optisch nicht der schlimmste Ort der weissen Küste zwischen Valencia und Alicante. Dennoch vermag die von Urbanisten und Soziologen gleichermassen gelobte und von manchen gar als ökologisch sinnvoll gepriesene Verdichtung Benidorms nicht wirklich zu überzeugen, auch wenn ihr das trendige Rotterdamer Architekturbüro MVRDV mit dem im Jahr 2000 erschienenen Manifest «Costa Iberica» ein Denkmal setzte. Zwar stehen in keiner anderen Stadt am Mittelmeer die Hotel- und Apartmenttürme so eng zusammen wie in diesem 65 000 Einwohner zählenden Ferienort. Doch dahinter wird das Land nur umso mehr geschunden und verletzt. Lagerhallen, Shopping-Malls, überdimensionierte Erschliessungsstrassen und Verkehrskreisel sowie seit neustem der aus dem Gebirge herausgeschlagene Vergnügungspark «Terra Mítica» haben die einstige Gartenlandschaft völlig verunstaltet.

Das höchste Haus am Mittelmeer

Während an Benidorms äusserst betriebsamer Playa del Levante, wo in den späten fünfziger Jahren die erste städtische Erweiterung des alten Fischerdorfs vonstatten ging, sich heute Dutzende von 25- bis 40-stöckigen Wohntürmen auf wenigen Hektaren drängen, konnte sich das bürgerlichere Cala am westlichen Ende der Playa del Poniente ein vergleichsweise ruhiges Ambiente wahren. Nun aber wachsen auch hier im staubigen Niemandsland unmittelbar hinter dem Häuserkranz am Strand gleich mehrere leicht geschwungene Giganten in den Himmel. Ihre Betonskelette werden aber in den Schatten gestellt vom breitschultrigen Turm des «Gran Bali» auf dem Hügel von Cala, der mit seinen knapp 200 Höhenmetern und rund 50 Geschossen nicht nur das höchste Hotel Europas ist, sondern darüber hinaus das höchste Haus des ganzen Mittelmeerraums. Obwohl es sich bei diesem vom valencianischen Architekten Antonio Escario realisierten Turm um kein wirklich erstklassiges Bauwerk handelt, setzt es in der architektonisch und städtebaulich banalen, im Gesamtbild aber umso suggestiveren Ansammlung von gestapeltem Ferienraum als Eyecatcher genauso wie als gebaute Quintessenz der schrillen Tourismusmaschine Benidorm ein weithin sichtbares Wahrzeichen.

Zieht man in Betracht, dass heute in Benidorm rund 150 meist schlanke Turmhäuser von über 75 Metern Höhe sowie eine Vielzahl von Bauten mit «nur» knapp 20 Stockwerken wie Palisaden den Strand vom Hinterland trennen, so erstaunt es kaum, dass dieser jährlich von fast 5 Millionen Gästen besuchte grösste Ferienort Europas wie die meisten Küstenstriche Spaniens seit bald zwei Jahren in einer leichten Krise steckt. Denn obwohl hier auch wirtschaftliche Gründe mitspielen, wünschen sich viele Touristen nicht mehr nur Sonne, Sand und Wasser. Während MVRDV in ihrer «Costa Iberica» noch von unbegrenztem Wachstum ausgingen und vorschlugen, den gesamten spanischen Tourismus auf ein himmelwärts erweitertes Benidorm zu konzentrieren, das von einem mehrere hundert Meter hohen, entfernt an El Lissitzkys Wolkenbügel erinnernden Hochhausgitterwerk überfangen wird, versucht die Stadtverwaltung seit einigen Jahren, dem Stelenwald mittels ruhiger Refugien etwas Luft zu verschaffen.

So konnte Ricardo Bofill 1995 unmittelbar hinter dem historischen Zentrum im ehemaligen Geröllbett des Rio Seco den Parque de l'Aigüera als langgestreckte grüne Lunge gestalten. Mit seinen schattigen Zypressenalleen und Olivenhainen, mit seinem antikischen Freilufttheater und den Pavillons gleicht er einem mediterranen Versailles für das Volk. Dabei wirkt er trotz einer gewissen Vernachlässigung durchaus einladend - obwohl er kaum genutzt wird. Umso beliebter ist dagegen die Playa del Levante, die in den späten neunziger Jahren durch die katalanischen Altmeister Josep Martorell, Oriol Bohigas und David Mackay (MBM) sanft postmodern von einer ehemals engen und verkehrsbelasteten Uferstrasse in eine palmenbestandene, nachts heiter erleuchtete Strandpromenade verwandelt wurde.

Hier knüpfte 2002 Carlos Ferrater, dessen topographische Gestaltung des botanischen Gartens von Barcelona vor einigen Jahren Aufsehen erregte, mit seinem Vorschlag einer Umgestaltung der Playa del Poniente an - und zwar mit einer wie Höhenlinien schlängelnden Abtreppung zwischen der Strasse und dem tiefer gelegenen Strand. Diese urbanistischen Interventionen und Projekte fanden ihren Höhepunkt in dem vor einem Jahr eingeweihten Rathaus am südlichen Ende des Parque de l'Aigüera. Der Bau, der bereits mit mehreren Preisen und Ehrungen ausgezeichnet wurde, stammt erstaunlicherweise nicht von einem bekannten spanischen Architekten, sondern von Benidorms Stadtbaumeister José Luis Camarasa, der schon zusammen mit MBM an der Gestaltung der Strandpromenade arbeitete. Camarasa gelang es, mit einem 97 Meter langen, brückenartigen Gebäude, das wie ein gefälltes Hochhaus auf zwei Sockelbauten aufliegt, ein durchaus ambivalentes Zeichen in der urbanen Szenerie dieses Wolkenkratzerbabels zu setzen. Mit seiner Einsicht, dass ein Bauwerk sich in einer der Vertikalen verfallenen Stadt horizontal ausbreiten muss, um aufzufallen, gelang es Camarasa aber nicht nur, den schwierigen Baugrund über einer bereits bestehenden, ins einstige Bachbett eingelassenen Tiefgarage zu meistern, sondern auch, Bofills Parkanlage abzuschliessen und der Stadt einen öffentlichen Platz zu geben.

Neuerfindung der Stadt

Vom Stadtzentrum her führt nun eine breite, von Dattelpalmen gerahmte Rampe hinauf zum Neubau, der wie eine Toranlage den Blick auf den Park, die Berge und die Hochhäuser im Hinterland rahmt. Der nur auf zwei Doppelträgern ruhende riesige Schwebebalken verschattet - im heissen Klima der Costa Brava durchaus vorteilhaft - stets einen Teil des Rathausplatzes. Während im linken Sockelbau ein Café, Verwaltungsräume und der Eingang zur Tiefgarage untergebracht sind, befindet sich im rechten eine elegante doppelgeschossige Eingangslobby, deren lichte Transparenz den Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe in Erinnerung ruft. Nach drei Seiten öffnet sich die Halle auf kleine Hofgärten, zwischen denen die beiden Versammlungsräume des Salo d'Actes und des Salo de Plens eingeschoben sind. Lifte garantieren die Erschliessung des aufgeständerten horizontalen Haupttrakts, dessen Grossraumbüros durch verglaste, tief eingezogene Loggien, Sitzungszimmer und durch die Repräsentationsräume des Bürgermeisters angenehm gegliedert werden. Das Stahlfachwerk dieser dreigeschossigen Brückenkonstruktion liegt auf der Schattenseite frei, während es nach Süden hin mit bedruckten gläsernen Sonnenblenden verschleiert ist, die sich zu immer neuen Bildern verstellen lassen. - Kurz: Benidorms neues Rathaus stellt als Ausdruck neu erwachten Bürgerstolzes den ersten Schritt in Richtung einer Neuerfindung der Stadt dar.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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