Bauwerk

Jüdisches Museum
Studio Daniel Libeskind - Berlin (D) - 1999
Jüdisches Museum, Foto: Udo Weilacher
Jüdisches Museum, Foto: Udo Weilacher
Jüdisches Museum, Foto: Udo Weilacher
Jüdisches Museum, Foto: Udo Weilacher

Blitzschlag im Paradiesgarten

Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren.

1. Mai 2001 - Udo Weilacher
Mit den Strategien klassischer Gartengestaltung konnten die Landschaftsarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg des Berliner Büros MKW auf den expressiven architektonischen Entwurf «Between the Lines» von Daniel Libeskind für das Jüdische Museum in Berlin nicht reagieren. Der Architekt hatte nämlich neben dem barocken Bauwerk des Berliner Stadtmuseums ein unsichtbares, komplexes und zugleich zerrüttetes Beziehungsgeflecht zwischen deutscher und jüdischer Geschichte aufgespürt, das er in ein zehnfach gefaltetes, mit Zinkblech ummanteltes und aufgeschlitztes skulpturales Bauwerk übersetzte.

Die Matrix, die dem Entwurf des zeichenhaften Gebäudes zugrunde liegt, führte auch zu einer bemerkenswerten Gartengestaltung, die trotz ihren Qualitäten viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit erregte als der eindrucksvolle Museumsbau, der im September 2001 mit einer Dauerausstellung eröffnet werden soll.

Bereits im Lageplan von Haus und Garten tauchen eine Reihe von Verbindungslinien auf, die der Architekt zwischen den Berliner Wirkungsstätten berühmter Schriftsteller, Künstler, Musiker, Poeten und Wissenschafter aufspannte, die sich in der Geschichte um die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur verdient machten. Während die Bezugslinien zu Walter Benjamin, Arnold Schönberg oder Max Liebermann auf subtile Weise die Gestaltung des Bauwerkes prägen, tauchen sie im Garten als Pflaster- und Plattenbänder, Baumreihen und Wegverbindungen auf oder trennen Flächen unterschiedlicher Beläge voneinander.

Abstraktionsvermögen wird vom Betrachter sowohl im Museum als auch im Garten gefordert, wenn er mit «voids», mit Leerräumen, konfrontiert wird, die an die Vernichtung jüdischen Lebens und an den damit verbundenen kulturellen Verlust erinnern. Bedrückende Leere und spärliche Beleuchtung charakterisieren die Innenräume - sie übertreffen in ihrer Wirkung bei weitem die «voids» im Garten, interpretiert als geometrisch geformte und versprengt angeordnete Kiesfelder.

Anders als im Innenraum fällt es im Aussenraum schwer, alltägliche Gestaltungselemente mit inhaltlicher Bedeutung und atmosphärischer Spannung aufzuladen. So wird im Garten offenkundig, wie diffizil es ist, auf den tieferen Sinngehalt des Alltäglichen hinzuweisen und die Welt ausserhalb des Gartens, wo Pflastersteine scheinbar nichts als Strassenbelag und Schienenstränge vermeintlich nur Eisenbahngeleise sind, zwanglos mit einzubeziehen.

In einem nahe gelegenen Robinienwäldchen, das spontan auf Trümmerschutt entstand, haben sich die Landschaftsarchitekten zu einer ostentativ mythologischen Deutung des Vorgefundenen entschlossen und führen eine steinerne Wasserrinne in Schlangenform zwischen den Bäumen hindurch.

Von der «Umkehrung des Paradiesgedankens» ist im Erläuterungstext die Rede. «Auch Brachland und Wildkräuter sind heute wertvolle Wildnis», lautet die Erklärung, und so wird spontane Natur in der Stadt zum neuen Paradies erklärt. Die ungeheure Präsenz des metallischen Blitzes und der Gedanke an die darin verarbeitete Tragödie eines ganzen Volkes lässt jedoch kaum den unbeschwerten Genuss arkadischer Restflächenromantik zu.

Besonders einprägsam sind die Garten- und Platzräume dort, wo sich Inhalt, Form und Raum zu bedeutsamen Orten verdichten, wie im Paul-Celan-Hof oder im E.T.A.-Hoffmann-Garten, beide vom Architekten entworfen. Das bizarre Muster des Bodenbelages im Paul-Celan-Hof besteht aus Schiefer-, Basalt-, Granit- und Marmorfragmenten und wurde nach einer Grafik von Gisèle Lestrange Celan, der Frau des jüdischen Dichters, gestaltet.

Auf drei Seiten umschliessen die hohen Aussenmauern des Museums den Hof und erzeugen ein Gefühl der Enge, wie es in den typischen Berliner Höfen herrscht. Dieses Gefühl und das zersplitterte Gefüge der Bodengrafik, deren unterschiedliche Grautöne vom matten Zinkblech der Fassaden reflektiert werden, verstärken die Empfindungen von Ausweglosigkeit und Zerrissenheit. Diese lösen sich erst, wenn man den schmalen Durchbruch im Gebäude entdeckt und auf der anderen Seite in den Garten gelangt. Dort empfängt den Besucher eine Paulownia, ein Blauglockenbaum, den Paul Celan offenbar besonders schätzte.

Den zentralen Blickfang im Hauptteil der Anlage bildet der E.T.A.-Hoffmann-Garten, der untrennbar mit dem zentralen Erschliessungssystem des Gebäudes verbunden ist. Folgt man nämlich im Museum der zweiten von insgesamt drei programmatischen «Strassen», dann gelangt man in diesen abstrakten Garten, eigentlich ein im Raster angelegter «Hain» aus 49 Betonsäulen. Jede von ihnen ist mit Ölweiden bepflanzt, die gemeinsam in sechs Meter Höhe das Laubdach des versteinerten Waldes bilden. Für Libeskind steht dieser für das Exil und die Emigration der Juden aus Deutschland.

Zwar vermittelt die Zahlensymbolik, die sich hinter den 7 mal 7 Säulen verbirgt, eine tiefe Verwurzelung des fremdartigen Gartens in der jüdischen Kultur, doch ein Gefühl der Sicherheit kann sich in der erdrückenden Enge und Starrheit der Säulen nicht einstellen. Zudem sind die Grundfläche der ummauerten Anlage und damit auch die 49 Säulen um 10 Prozent aus der Waagerechten geneigt, was die Verunsicherung noch erheblich verstärkt.

In diesem Gesamtkunstwerk aus Architektur und Garten sind Poesie und Schrecken so untrennbar miteinander verbunden wie in Vergangenheit und Gegenwart des Judentums.

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