Bauwerk

Stadt des Kindes
Anton Schweighofer - Wien (A) - 1974

Prinzip Hoffnung

Lange galt sie als Wiener Vorzeigeprojekt mit Symbolkraft: die „Stadt des Kindes“. Jetzt soll sie verkauft und umgenutzt werden. Das Denkmalamt zieht sich aus der Affäre. Ein Plädoyer gegen die Macht der schleichenden Sachzwänge.

16. August 2004 - Christian Kühn
Es war einmal eine Stadt, die wollte ein Zeichen setzen. Anlässlich des 50. Geburtstags der Republik Österreich im Jahr 1969 beschloss die Stadt Wien, in Penzing, an der Wiener Westeinfahrt, ein Kinderheim zu errichten, wie es die Welt bisher nicht gesehen hatte: keine Bewahrungsanstalt für „schwer erziehbare Kinder“, sondern eine zur Umgebung hin offene Struktur mit Einrichtungen wie Schwimmbad und Sporthalle, Theater und Café, die allen Bewohnern des Bezirks offen stehen sollten. Schlafsäle sollte es keine mehr geben, sondern Familieneinheiten nach dem Vorbild der SOS-Kinderdörfer, freilich als „Stadt des Kindes“ in eine urbane Form übertragen.

Das Zeichen, das hier unter der Patronage der damaligen Stadträtin für Soziales, Maria Jacobi, gesetzt wurde, sollte nicht zuletzt die Reformfähigkeit der Wiener Sozialisten signalisieren. Während die junge Generation nach 1968 den langen Marsch durch die Institutionen antrat, der sie inzwischen zu Bürgermeistern und Stadträten gemacht hat, versuchten die alten Institutionen mit derartigen Projekten, neue Wege zu gehen. Es ist bezeichnend, dass die „Stadt des Kindes“ aus dem Magistrat ausgegliedert und einem unabhängigen Verein übertragen wurde, der außerhalb eingefahrener Bahnen agieren durfte.

Das Ergebnis ist eines jener Bauwerke geworden, denen Ernst Bloch in seiner unter dem Titel „Das Prinzip Hoffnung“ erschienenen Geschichte der Utopie ein eigenes Kapitel widmet: „Bauten, die eine bessere Welt abbilden“. Die „Stadt des Kindes“, wie sie 1969 bis 1974 nach den Plänen von Anton Schweighofer errichtet wurde, symbolisiert eine wohlgeordnete und sichere Welt, die als letzter Abglanz der heroischen Zeiten des Roten Wien gesehen werden kann.

Die Abstufung von öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen ist vorbildlich gelöst, die Nutzungen sind sinnvoll zugeordnet und durch ein Wegesystem auf mehreren Ebenen verflochten, das sich durch die Spannung zwischen klarer Orientierung und überraschenden Wendungen auszeichnet. Entlang der Hauptachse stapeln sich Wege, Brücken und Treppen, ein schwebender Baldachin aus rot gestrichenem Stahl begleitet die Zugänge zu den Wohnungen und folgt dem sanft abfallenden Gelände. In der Mitte der Anlage verdichtet sich der Raum zu einem Labyrinth, in dem man sich geschützt, aber nicht gefangen fühlt.

Die Familiengruppen sind in fünf südseitig orientierten Wohnblöcken untergebracht, die in der Ansicht wie freundliche Riesen mit einladend geöffneten Armen aussehen. Die Innentreppen der Wohneinheiten zeichnen sich nach außen als schräge Glasprismen ab, auf denen die weiß gestrichenen Betonkuben der Obergeschosse zu ruhen scheinen. Jede Wohneinheit hat direkten Blick auf die Bäume des angrenzenden Parks sowie kleine Gärten und Terrassen als individuelle Freibereiche.

Dass diese scheinbar idealen Voraussetzungen nicht zum gewünschten pädagogischen Erfolg geführt haben, hat viele Gründe. Schon bald nach der Eröffnung wurde die „Stadt des Kindes“ wieder in die Strukturen des Magistrats integriert und als „normales“ Heim betrieben, das mit denselben Problemen in Bezug auf Drogen und Gewalt zu kämpfen hatte wie andere Großheime. Als die Stadt Wien in den 1990er-Jahren beschloss, alle Heime zu schließen und nur noch kleine, in normale Wohnbauten integrierte Einheiten zu betreiben, wurden die Bewohner der „Stadt des Kindes“ sukzessive abgesiedelt. 2002 wurde das Heim endgültig geschlossen, mit ihm die öffentlichen Einrichtungen wie Theater und Schwimmbad.

Warum die Stadt Wien mit dieser Anlage nichts Besseres anzufangen weiß, als sie an Private zu verkaufen, ist schwer nachzuvollziehen. Immerhin hat die „Stadt des Kindes“ für eine bestimmte Epoche denselben Symbolwert wie der Karl-Marx-Hof für eine andere. Es hätte sich aber - so behaupten zumindest die Verantwortlichen der Gemeinde - beim besten Willen keine adäquate öffentliche Nutzung gefunden. Bereits im Frühjahr 2002 wurde ein Auswahlverfahren ausgelobt, bei dem Investoren eingeladen wurden, Vorschläge für die Verwertung des Areals und der Gebäude einzureichen und einen Kaufpreis zu bieten. Als Sieger aus diesem Verfahren ging die Arbeitsgemeinschaft der Bauträger Wiener Heim/Mischek und Arwag mit einem Angebot von 4,7 Millionen Euro hervor. Das architektonische und städtebauliche Konzept dazu stammte von Margarete Cufer. Der entsprechende Bebauungsplan mit flankierenden Wohngebäuden wurde vor wenigen Wochen im Gemeinderat beschlossen.

Verkauft ist die „Stadt des Kindes“ aber bis heute nicht, und unklar ist auch, wie der Altbestand tatsächlich saniert und adaptiert werden soll. Wer die öffentlichen Einrichtungen betreiben wird und ob Bereiche wie das Schwimmbad je wieder zu bezahlbaren Preisen zugänglich sein werden, ist ebenso offen. Zwar wird von allen Seiten der gute Wille zu einem sensiblen Umgang mit der Substanz beteuert und darauf verwiesen, dass Anton Schweighofer ja als Berater und Juror in das Projekt eingebunden bleibe. Ob nach einem Verkauf der Druck der Sachzwänge nicht doch zu groben Veränderungen führen wird, ist aber nicht abzusehen.

Klare Verhältnisse könnte hier das Denkmalamt schaffen. Der Stellenwert der „Stadt des Kindes“ in kultur- wie architekturhistorischer Hinsicht ist in der Fachwelt unumstritten. Sie ist ein in Österreich einzigartiges Beispiel für eine internationale Architekturströmung, die mit Namen wie Alison und Peter Smithson und Aldo van Eyck verbunden ist. Charakteristisch für diese Architektur ist die souveräne Verbindung von klassischen und anti-klassischen Prinzipien und ein besonderer sozialer Anspruch, der jedoch nie in die Banalität des nur gut Gemeinten kippt. Die „Stadt des Kindes“ vermittelt die Absichten ihrer Zeit, lässt sich aber - wie jede große Architektur - nicht wirklich aus ihnen erklären oder gar auf sie reduzieren.

Umso befremdlicher ist eine vom Präsidenten des Denkmalamts, Gregor Rizzi, verfasste Stellungnahme, dass „ein öffentliches Interesse an der Erhaltung nicht gegeben“ sei. Die „Stadt des Kindes“ hätte, so Rizzi in seiner Begründung, „ihre inhaltliche sozialpädagogische Widmung verloren, die als Identitätsträger in sozialhistorischer Hinsicht auch einen Teil der Bedeutung ausmachte“. Dem Objekt sei in seinem „gegenwärtigen Baubestand zwar durchaus architektonische Bedeutung beizumessen, doch kann sie angesichts der für die weitere Existenzfähigkeit des Baukomplexes absehbaren unumgänglichen Veränderungen nicht die Grundlage für ein öffentliches Interesse an der Erhaltung abgeben“.

Der Zirkelschluss ist evident: Weil eine bevorstehende Umnutzung das Objekt gefährde, könne es leider nicht geschützt werden. Rizzi beruft sich dabei auf einen Paragrafen des Denkmalschutzgesetzes, der besagt, dass ein Denkmal nicht unter Schutz gestellt werden kann, wenn es nach den Maßnahmen zu seiner Erhaltung so verändert wäre, dass ihm keine Bedeutung als Denkmal mehr zukäme. Dieser Passus bezieht sich aber ausdrücklich auf Maßnahmen, die durch den „statischen oder sonstigen physischen Zustand“ erforderlich werden und nicht auf die Folgen einer Umnutzung.

Das Denkmalamt wird nicht darum herumkommen, sich auch in Österreich ernsthaft mit Baudenkmälern der jüngeren Vergangenheit auseinander zu setzen. Nach der kürzlich angekündigten Unterschutzstellung der Z-Filiale von Günther Domenig aus dem Jahr 1979 muss auch die Debatte über die „Stadt des Kindes“ neu aufgerollt werden. Ein Denkmalschutzbescheid würde den guten Absichten aller Beteiligten den Rücken stärken. Die Arwag als Projektträger hätte damit kaum ein Problem: Sie hat am Meiselmarkt und bei der Remise Kreuzgasse bewiesen, dass sie durchaus im denkmalgeschützten Bestand zu agieren versteht.

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