Bauwerk

Frauen - Werk - Stadt
Liselotte Peretti, Gisela Podreka, Elsa Prochazka, Franziska Ullmann - Wien (A) - 1997
Frauen - Werk - Stadt, Foto: Margherita Spiluttini
Frauen - Werk - Stadt, Foto: Margherita Spiluttini

Über den kleinen Unterschied

„Frauen-Werk-Stadt“ lautete der Titel eines vom städtischen Frauenbüro initiierten Projekts in Wien Floridsdorf. Zu Recht: Vier Architektinnen entwarfen eine Wohnanlage, die auch auf die Bedürfnisse berufstätiger Mütter eingeht.

8. November 1997 - Walter Zschokke
Die Spange Schloßhofer – Donaufelder Straße verbindet den Platz am Floridsdorfer Spitz mit dem alten Dorfkern von Kagran. Bis vor kurzem führte sie mehrheitlich durch von Gärtnereien genutzte Felder; nur unmittelbar entlang der Straße, in deren Mitte die Trasse der Straßenbahn Nummer 26 verläuft, entstand eine niedrige Begleitbebauung. Doch in naher Zukunft soll diese Achse urbanisiert werden. Zahlreiche Wohnanlagen hoher Dichte sind südlich und nördlich dieser tangentialen Verbindungsstraße geplant oder in Ausführung begriffen.

Als eine der ersten Planungen in dieser Gegend ist nun die unter dem Arbeitstitel „Frauen-Werk-Stadt“ von den Architektinnen Franziska Ullmann, Lieselotte Peretti, Gisela Podreka und Elsa Prochazka entworfene, 360 Wohnungen große Anlage fertig geworden. Der sechsgeschoßige Straßentrakt steigt denn auch noch etwas isoliert aus der niedrigen Umgebung heraus, doch in den kommenden Jahren soll sich das Bild ändern und beidseitig eine städtische Bebauung anschließen.

Der Anlage liegt ein Programm des Frauenbüros im Magistrat der Stadt Wien zugrunde. Aus einem Wettbewerbsverfahren, zu dem acht Architektinnen eingeladen wurden, resultierte ein städtebauliches Konzept von Franziska Ullmann, der Wettbewerbsgewinnerin. Als Vertreterin einer stark differenzierenden Auffassung gestaltete sie verschiedenartige Außenräume, die nicht bloß Räume zwischen hohen Wohnhäusern sind: Hinter demStraßentrakt liegt ein hofartiger Platz, der über eine langgezogene Verengung mit einer angerartigen Ausweitung im hinteren Grundstücksbereich in Verbindung steht. Durch einen kräftigen, rückgratartigen Baukörper davon abgesetzt, liegen zwei privatere Höfe, die über Durchgänge zugänglich sind.

Die Definition dieser verschieden öffentlichen Außen-lautete räume besteht aus vier je von einer Architektin bearbeiteten Bauteilen. Die architektonische Konkretisierung durch Franziska Ullmann erfaßt den betont urbanen Straßentrakt, der an der Ostecke, entlang dem Car-Floridsdorf. minweg um die Ecke gezogen ist, sowie einen kurzen Abschnitt der seitlich nach hinten anschließenden Kette von Einzeltrakten, die eine flache S-Kurve bilden.

Den langen Abschnitt entwarf Elsa Prochazka, die auch die Gestaltung der flügelartig wegstehenden, über einer kleinen Senke aufgestelzten Kindertagesstätte bestimmte. Der lange, gerade nach hinten zielende Baukörper in der Grundstücksmitte wurde von Gisela Podreka entworfen; sie betreute auch den niedrigeren Anschlußbaukörper, der parallel zu der schräg verlaufenden hinteren Grundstücksgrenze verschwenkt ist und in einer offenen, auf einem Sockelbauwerk aufsitzenden Kinderspielhalle ausklingt.

Lieselotte Peretti nahm sich architektonisch der Randbebauung für die beiden Höfe an, beginnend mit dem rückwärtigen Abschluß des vorderen Platzes. Die östliche Blockrandbebauung folgt beim hinteren Hof ebenfalls der nach Nordwesten abdrehenden Grundstücksgrenze. Auch hier läuft der Endtrakt in einer gedeckten Spielhalle aus. Mit der doppelten Figur niedrigerer Abschlußbauten wird zu den anschließenden einund zweigeschoßigen Häusern initiier-einer Kleingartensiedlung ein Übergang hergestellt. Die hinter Wien-dem städtebaulichen Konzept stehende Haltung erweist sich als betont kontextuell. Es wurden Bezüge gesucht und Nachbarschaften ernst genommen.

Nicht ganz glücklich erfolgte in dieser Hinsicht die Aufteilung auf die beiden Bauträger: die Gemeinde Wien für die Bauteile Ullmann und Peretti und die Wohnbauvereinigung der Privatangestellten für die Bauteile Podreka und Prochazka. So gibt es beim Übergang vom vorderen Platz zum nach hinten führenden Anger je eine wenig einsichtige Unstetigkeit zwischen den Bauteilen Peretti und Podreka, und mitten durch einen Trakt in der westlichen Baukörperkette verläuft ein Schnitt zwischen den Bauteilen Ullmann und Prochazka.

Diese zwei Brüche wirken in dem nach Ausgewogenheit strebenden städtebaulichen Konzept eher befremdlich, sie scheinen aber in einer gleichwertigen Aufteilung der durch die Architektinnen zu bearbeitenden Volumen begründet.

In der architektonischen Umsetzung zeigt sich dann der Fächer verschiedener Architektinnenhandschriften, was insgesamt zu einem abwechslungsreichen Ambiente geführt hat. Franziska Ullmann komponierte den Baukörper vorn an der Donaufelder Straße aus mehreren Funktionsgruppen: Das Erdgeschoß nehmen Geschäfte ein; links von der Hofeinfahrt ist eine Polizeistation über zwei Geschoße angeordnet; im Mittelbereich der aufsteigenden Geschoße sitzt ein doppeltes Paket Maisonnetten-Wohnungen, die von rückseitigen Laubengängen im ersten und im vierten Obergeschoß erschlossen werden. Zu beiden Seiten folgen Geschoßwohnungen.

Der Problematik, daß die Südseite zugleich auf die laute Straße blickt, wird im untersten Wohngeschoß mit einer vorgelagerten Loggia begegnet. Die heterogene Struktur wird von den beiden rot verputzten Endteilen zusammengehalten.

Um eine soziale Kontrolle der nahen Außenräume zu ermöglichen, wurden nach beiden Seiten Küchen orientiert; großzügige Erschließungsbereiche bei den Stiegenhäusern schaffen Begegnungszonen, die für gemeinsame Aktivitäten der Bewohnerinnen und Bewohner temporär nutzbar gemacht werden können. – Bei der Hofbebauung von Lieselotte Peretti mischen sich postmoderne Relikte, wie der turmartige Baukörper an der Ecke zum vorderen Platz, mit neomodernen, wie den Glasbausteinloggien an der Ostfassade. Die Grundrisse sind eher konventionell, wobei sich bei den Anschlüssen der Quertrakte Probleme mit der Einsicht von Zimmern zu Balkonen und umgekehrt ergeben.

Gisela Podreka hat vor ihren langen geraden Wohnhaustrakt eine Schicht aus Laubengängen und Loggien gestellt. Das schlanke Skelett aus Stahlbetonelementen dient als Rankgerüst und wird in ein paar Jahren bewachsen sein. Die Zeile der Maisonnetten im Sockelbereich weist ostseitig kleine Gartenterrassen auf. Die Geschoßwohnungen in den darüberliegenden Stockwerken sind über helle, weiträumige Stiegenhäuser erschlossen und verfügen nach beiden Seiten über Balkone oder Loggien.

Die Architektursprache ist hier trockener: Weiße Mauern und verzinktes Metall erzeugen eine lichte und luftige Stimmung. Die Grundrisse können loftartig offen oder in Zimmer aufgeteilt organisiert werden, da das Tragsystem in Scheiben und Stützen aufgelöst ist. Elsa Prochazka versah den polygonalen Zug aus gleichen Trakten mit stirnseitig gerundeten Dachaufsätzen, die den Kurvenschwung in die vertikale Dimension uminterpretieren.

Die Dachaufbauten enthalten die Waschküchen; die Wäsche läßt sich bei gutem Wetter im Freien trocknen. Bei Nichtgebrauch sind Kinderspiel und gemeinsame Aktivitäten der Hausbewohnerinnen und -bewohner möglich. Die Grundrisse sind ausgeklügelt und lassen in ausgewogener Form verschiedene Nutzungsvarianten zu. In die knappen Lücken zwischen den Trakten stoßen kleine Erker vor. Sie enthalten jeweils die Küchen, von denen nach beiden Seiten ein Ausblick möglich ist.

Der Kindergarten mit drei Gruppen im aufgestelzten Pavillon beansprucht mit seinen übrigen Räumen das Erdgeschoß des angrenzenden Wohntrakts, wo ein Mehrzweckraum am Abend und an Wochenenden auch von den Mietern der Wohnanlage genutzt werden kann. Der klassischen Putzfassade sind an der Westseite zahlreiche Erker vorgehängt, deren unregelmäßige Anordnung ein plastisch bewegtes Bild ergibt.

Die gesamte Anlage mußte unter den ökonomisch beschränkten Bedingungen des geförderten Wohnbaus errichtet werden. Dies ließ keine Extravaganzen zu. Aber auch wenn es sich in dieser Hinsicht um normalen Wohnbau handelt, wurden zahlreiche Verbesserungen in den Wohnungen und im Wohnumfeld angestrebt und Bereiche geschaffen, die für gemeinsame Aktivitäten genutzt werden können. Daß eine Bewohnerinitiative mit Vereinscharakter nötig sein wird, um die gemeinschaftlichen Möglichkeiten wahrnehmen zu kön-tiger nen und zu verhindern, daß sie an kleinlichen Details scheitern, war den Initiatorinnen von Anfang an klar.

Das Einplanen und Durchsetzen derartiger unspezifischer Räume stößt aber immer wieder auf Skepsis seitens der Bauträger. Sie lassen sich nur bei Mehrfachnutzungen und geringen Kosten überzeugen.

Positive Effekte, die von derartigen Räumen und von gemeinschaftlichen Initiativen ausgehen und auf die Bewohnergemeinschaft wirken, sind von anderen, seit Jahrzehnten bewohnten Anlagen bekannt. Die Herausbildung eines gesellschaftlichen Organismus, eines auf den Wohnhof bezogenen Gemeinschaftsgeists bedarf jedoch einiger Jahre.

Wenn die Bäume auf demvon Johanna Kandl gestalteten Anger etwas höher gewachsen sind und die von Maria Auböck geplanten Grünbereiche in Blüte stehen, werden auch die vielen auf die Bedürfnisse berufstätiger Mütter und auf sich verändernde Familienstrukturen zugeschnittenen baulichen Maßnahmen durchgeschlagen haben. Denn die vielen kleinen Verbesserungen schaffen jene Differenz zu den oft kritisierten Großwohnanlagen, die ein positives Gesamtklima aufkommen läßt. So weit reicht der Zeichenstift der Architektinnen allerdings nicht – nun ist es an den Bewohnerinnen und Bewohnern.

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