Bauwerk

Vienna Twin Tower
Massimiliano Fuksas - Wien (A) - 2001
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler

Literarischer Rationalismus

12. Mai 2001 - Matthias Boeckl
Massimiliano Fuksas näherte sich dem Entwurf in einer literarischen statt rationalistischen Haltung, die man ja gerade hier hätte erwarten können - und das Ergebnis ist eine Art literarischer Rationalismus. Dies ist wohl auch die einzige Möglichkeit, eine hochgradig kodifizierte und regulierte Bauaufgabe in jenem gestalterischen Niveau zu bewältigen, das für diesen Schlüsselplatz der Stadtsilhouette unbedingt erforderlich ist.


Radikaler Wechsel

Die ersten Entwürfe des Doppelturms zeigten noch eine organoide, teilweise geradezu surrealistische Formensprache. Der Sprung von diesen Varianten zu der fast konträren Form der Ausführung scheint sich anlässlich eines Besuches seines Salzburger Einkaufszentrums „Europark“ ebenso spontan in Fuksas eingestellt zu haben, wie seine gesamte künstlerische Haltung ist. Jedenfalls war die Entscheidung für die klaren Glasprismen zweifellos die richtige - eine transparente, leichte, elegante Form neben den massiven Volumina der Nachbarschaft, zwei Glassäulen, die in endloser Wiederholung der gleichen Module in den Himmel ragen - ein System wie in Constantin Brancusis „Endloser Säule“.


Klassische Vorbilder

Die Assoziationen mit der klassischen Moderne, allen voran natürlich mit Mies van der Rohes Hochhausentwürfen von 1919 für die Berliner Friedrichstraße, lassen sich kaum unterdrücken. Und damit auch die Heilserwartungen, die sich an diese „Urform“ des vollständig glasummantelten Skelettbaus knüpfen. Mies stand den expressionistischen Visionen einer humanen „Glasarchitektur“ à la Paul Scheerbart nahe, und auch heute noch wirkt dieser Mythos.


Prekäre Materialwahl

Voraussetzung dafür ist aber die Lesbarkeit dieser Idee, und diese hängt entscheidend vom verwendeten Glas ab. Die spezielle Entwicklung der Firma Interpane sollte so transparent wie möglich ausfallen, um die innere Skelettkonstruktion so klar wie möglich als eine gebaute Metapher des „Auftürmens“ des immer gleichen Tischelements, als ein technizistisches Faszinosum ersten Ranges lesbar zu machen. Die übliche Grünfärbung wie beim benachbarten älteren Büroturm reflektiert fast total und ist ungeeignet, irgendwelche immateriellen Botschaften zu vermitteln. Dagegen wurde das hier verwendete Weißglas mit einer High-Tech-Beschichtung versehen, die nur eine sehr leichte Grüntönung bringt.

Leider wird diese Errungenschaft jedoch von hemmungslosen Büromietern zunichte gemacht, denen die geschoßhohe Verglasung nichts anderes ist als eine ideale Werbefläche nach außen.


Zwillinge erzeugen Spannung

Ein zweiter wesentlicher Effekt ist die Stellung der beiden Türme in einem Winkel von 59º zueinander, für den es keine rationalen Gründe gibt. Fuksas Begründung bezieht sich nicht ganz unberechtigt auf vorbeifahrende Autofahrer, die wohl tatsächlich die häufigste Wahrnehmungsart des Baus repräsentieren: „Die Spannung, die sich aus der Stellung der beiden Objekte zueinander ergibt, erlebt der Autofahrer, indem sich beim Vorbeifahren die Hochhäuser ständig zueinander verschieben.“ Mit der sich öffnenden und schließenden Fuge und den Brücken zwischen den Türmen entsteht so eine Art abstraktes Ballett, das ebenfalls (siehe Oskar Schlemmer) gut in die Atmosphäre der hier evozierten mystischen Pioniermoderne passt.

Sollte die Anbindung an die weiteren Bauten der Wienerberg-City, wie sich nun Wiens neuestes Hochhausquartier nennt, gelingen und die öffentlichen Funktionen im Sockel des Twin Tower von den zukünftigen Bewohnern der Nachbarbauten angenommen werden, dann hat Wien eine urbanistisch und intellektuell überaus befriedigende Landmark gewonnen.


[ Der Originalbeitrag von Matthias Boeckl ist in der Mai-Ausgabe von architektur aktuell erschienen ]

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