Bauwerk

Vienna Twin Tower
Massimiliano Fuksas - Wien (A) - 2001
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler
Vienna Twin Tower, Foto: Andreas Drexler

Stapeln und schlichten

Erst zwei, dann nur einer, dann wieder zwei: Fährt man an ihnen vorbei, scheinen sie sich zu „bewegen“, die transparenten Turm-Zwillinge am Südhang des Wienerbergs. Massimiliano Fuksas' Twin-Tower: ein neues Wahrzeichen der Donaumetropole?

10. Februar 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Hochhäuser, seien wir ehrlich, sind eine zwiespältige Angelegenheit. Sie sind zwar - hoch und vermögen dadurch Aufsehen zu erregen; was ein Aspekt sein mag, der vom Bauherrn über den Architekten bis zu den Nutzern alle Beteiligten interessiert. Außerdem kommt es in Hochhäusern auf einer minimalen Grundfläche zu einer maximalen Stapelung von Nutzflächen; das wiederum ist ein Aspekt, der zweifellos den Investor interessiert. Aber inhaltlich-räumlich, architektonisch-gestalterisch ist wenig drin im Hochhausbau.

Architektonisch tut sich jenseits der Positionierung solcher Gebäude im städtischen Kontext und ihrer spezifischen Fassadenlösung nicht viel. Daraus ist man versucht zu schließen, daß es nicht das Hirn des Architekten sein kann, das spricht, wenn er trotzdem ein Hochhaus bauen möchte. Was sich in diesem Fall zu Wort meldet, ist ein ganz anderes „Organ“: Es ist sein Bauch, der ganz emotional nach Höherem strebt.

Dem Römer Massimiliano Fuksas muß das bewußt gewesen sein, als er seinen Twin-Tower am Südhang des Wienerberges plante. Denn was da in einer Doppel-Konfiguration in die Höhe strebt, ist untypischer Fuksas, minimalistischer Fuksas. Sehr edel und in seiner durchgehaltenen Transparenz auch sehr reizvoll, aber reduziert auf das, was wirklich Sache ist: gestapelte Geschoßflächen, von denen man im vorhinein nicht wissen kann, was die Nutzer daraus machen. Man muß gewissermaßen in die Niederungen der ausladenden dreigeschoßigen Sockelzone hinuntersteigen, um etwas von der räumlichen Vielschichtigkeit und Expressivität des Massimiliano Fuksas zu erleben. Man muß hinuntersteigen ins sogenannte Urban Entertainment Center, aus dem die beiden Türme herauswachsen. Dort kommt man dann in großzügig formulierte öffentliche Bereiche und den eigentlichen, über einen „fliegenden Teppich“ deutlich anders materialisierten Zugang für die Mitarbeiter in die Hochhäuser.

Erste Frage: Was ist ein „Urban Entertainment Center“? Investoren stellen sich darunter offenbar eine Konzentration von gastronomischen Einrichtungen und Shops vor, untrennbar verbunden mit einem weiteren Kinocenter. Letztere sind in den vergangenen Jahren in Wien ja nur so aus dem Boden geschossen. Und sie sind durch die Bank kein Erfolg. Daran, daß es jetzt eines mehr gibt - mit zehn Sälen für 2200 Besucher -, ersieht man, wie lang die Vorlaufzeit eines solchen Großprojektes ist und wie wenig flexibel sich der Denk- und Planungsprozeß im Vorfeld des Bauens - vor allem auf der Seite des Investors - gestaltet. Unter dem Vorzeichen der ökonomischen Realisierung ist ein Umdenken, das andere Nutzungen ins Spiel bringt, praktisch nicht möglich.

Trotzdem - vorweg: Was in den letzten Jahren an Hochhausbauten in Wien so dahingekleckert wurde, Fuksas hat
es mit einer bewundernswerten Bravour überrundet. Vom Wohnhochhaus der Coop Himmelb(l)au abgesehen, stehen hier am Wienerberg die einzigen Hochhäuser der Bundeshauptstadt, die mehr bieten als den langweiligen Durchschnitt.
Das hat mit ihrer Positionierung zu tun: Die Fernwirkung ist wirklich toll, ein potentielles Wahrzeichen für den aus dem Süden Anreisenden. Und im Vorbeifahren, gleich aus welcher Richtung, ist es einfach eine Bereicherung, wie sich die beiden Türme „bewegen“, wie sie sich verschieben, sodaß erst zwei Türme sichtbar sind, dann nur einer, dann wieder zwei. Und weil sie so transparent sind, bleibt eine spannende Schichtigkeit dabei immer präsent. Bei allem Minimalismus schimmert da eben doch mehr als nur eine Ausdrucksebene auf.

Zu den Fakten: Die beiden Türme stehen in einem relativ spitzen Winkel zueinander. An der engsten Stelle rücken sie sogar bis auf fünf Meter zusammen. Der schlanke höhere der beiden Türme ist 138 Meter hoch (37 Geschoße), der etwas niedrigere, gedrungenere 127 Meter (34 Geschoße). Aber beide beinhalten die gleiche Nutzfläche, und sie sind in mehreren „Paketen“ (Dreier-, Vierer-, Fünfer-Paketen) durch insgesamt 19 verglaste Brücken miteinander verbunden.

Diese Brückenverbindungen waren gar nicht leicht zu lösen, weil sich die Türme, entsprechend der Windlast, unterschiedlich bewegen. Und die Brücken selbst aber keinerlei konstruktive Funktion haben, sie dienen nicht etwa der Aussteifung. Sie sind reine Verbindung zwischen den Geschoßen und müssen also die unterschiedlichen Bewegungen der Türme mitmachen. Das ist mit einer elastischen Lagerung, die aus der Flugzeugtechnik kommt, bewältigt worden. Sinn dieser horizontalen Verbindung zwischen den Türmen ist jedenfalls: großfläche Nutzung auch auf einer Ebene zu ermöglichen. Zusätzlich gibt es in Form von Aussparungen in den Betondecken auch potentielle vertikale Verbindungen zwischen den Geschoßen, wo interne Treppenverbindungen (und damit kurze Wege) möglich sind.

Konzeptuell sind die beiden Türme in bezug auf die innenräumliche Nutzung differenziert angelegt: Der schlanke hohe ist für Zellenbüros prädestiniert, der breite niedrigere läßt auch großräumliche Lösungen zu. Aber das sind Anforderungen, auf die heute jeder Architekt, der für einen Investor und anonyme Nutzer planen muß, selbstverständlich eingeht. Die kleinen gestalterischen Abstriche, die Fuksas in Kauf nehmen mußte, tun nur dem fachkundigen Auge weh: Er wollte die Liftkerne rundum mit amerikanischer Kirsche verkleiden und dadurch als eigenen Körper artikulieren. Es wäre schöner gewesen, zugegeben, aber daß dieses Konzept nur teilweise realisiert ist, geht wirklich nicht an die Substanz.

Substantiell war eigentlich nur der Eingriff in die Fassadenlösung. Die war ursprünglich (im Wettbewerb) zweischalig konzipiert, sodaß es den Nutzern in den Büros möglich gewesen wäre, innen drinnen Fenster zu öffnen. Noch im Wettbewerb hat dieser Vorschlag den allergrößten Anklang gefunden, in der Realisierung ist er - aus Kostengründen - gescheitert. Die Ganzglaslösung - ohne Brüstung - der jetzigen Fassade gleicht diesen Abstrich zwar nur teilweise aus, verglichen mit den Fassadenlösungen anderer Wiener Hochhäuser ist sie dennoch eine Errungenschaft. Und sie wurde schwer erkauft. Wenn es nicht deutsche Präzedenzfälle gegeben hätte, auf die sich verweisen ließ, und wenn nicht die Sprinkleranlage entsprechend verstärkt worden wäre, dann hätte die Feuerpolizei (Brandüberschlag!) dieser Fassadenlösung sicher nicht zugestimmt.

Trotz aller Anonymität der Planung - sie ist ja für gänzlich unbekannte Nutzer konzipiert, von denen man nicht weiß, ob sie mehrere Geschoße nehmen oder nur eines oder überhaupt nur einen Teilbereich - hat Fuksas bestimmte räumliche Qualitäten durchsetzen können. Vor allem die lichte Raumhöhe in den Büros, aber auch den Gängen ist angenehm (und deutlich besser als im Millenniumstower): 2,80 Meter! Auch das unterschiedliche Erschließungskonzept der beiden Häuser - ein innenliegender Kern beim hohen Turm, eine außenliegende Erschließung beim breiteren - schafft eigene, differenzierte Innenraumqualitäten. Schließlich wichtig für das äußere Erscheinungsbild: Die notwendigen Technikgeschoße wurden am Wienerberg ganz nach oben und ganz nach unten verlegt, der Turmschaft selbst ist in beiden Fällen wirklich transparent.

Zweite Frage - und Verbindungsklammer zum Anfang: Wieso reißen sich Architekten eigentlich um Hochhäuser, obwohl gerade diese Typologie fast nichts zuläßt? Was kann architektonisch schon dabei herauskommen, wenn ein Investor baut, der nur darauf aus ist, nicht nur maximalen, sondern auch raschen Gewinn zu erzielen? Für die Architektur wird es unter solchen Vorzeichen eng. Eigentlich bleibt nur die Höhe, der „Geschlechterturm“, der die Sache doch schillernd, verlockend, illuster macht. Und damit sind wir wieder - beim Bauch des Architekten, nicht beim Gehirn, wo vermutlich die Vernunft angesiedelt ist. Es klingt absurd, aber gerade diese kommerziellen Geschlechtertürme unserer Gegenwart scheinen die emotionalen Ressourcen unserer Architekten unheimlich zu stimulieren.

Fuksas hat sich da sogar selbst übertroffen. Der Minimalismus seiner Türme ist in Wirklichkeit seine Sache nicht. Fuksas „at his best“ oder „at himself“ erlebt man im Sockel. Da sind die Ebenen ausdrucksvoll verschnitten, da hat er sogar eine plastisch expressive, vielleicht nicht ganz wirtschaftliche, lineare Anordnung der Kinosäle durchgesetzt. Und eine Verknüpfung der unterschiedlichen Bereiche, die zumindest für ein räumliches Gesamterlebnis prädestiniert ist.

Es ist keine Frage der Architekturqualität, ob dieses Erlebnispotential genutzt wird. Da kommen viele andere (architekturfremde) Faktoren ins Spiel, da hat der Investor die Hauptverantwortung. Und wenn man sich die jüngsten Debatten über die mangelhafte Verkehrsanbindung des Wienerberg-Projektes ins Gedächtnis ruft, dann möchte man resümieren: Diese Verantwortung bleibt ganz bei ihm - und natürlich auch bei der Stadt Wien.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
IMMOFINANZ
Wienerberg City Errichtungsges.m.b.H

Tragwerksplanung

Fotografie