Bauwerk

Museum Sammlung Essl
Heinz Tesar - Klosterneuburg (A) - 1999
Museum Sammlung Essl, Foto: Walter Zschokke
Museum Sammlung Essl, Foto: Walter Zschokke

Kunstraum auf Luftkissen

Differenziert und ausgewogen zugleich: Das neueste Bauwerk von Architekt Heinz Tesar bietet der Sammlung von Agnes und Karlheinz Essl in Klosterneuburg Raum und Heimstatt.

30. Oktober 1999 - Walter Zschokke
Da Stadtgebiet von Wien wird etwas außermittig vom Donaustrom in nordwest-südöstlicher Richtung durchschnitten. Vor den Grenzen der Stadt, aber noch in ihrem Wirkungsbereich – und auch nicht allzu weit entfernt vom Strom – liegen im Südosten und im Nordwesten zwei Pole einer Unternehmenskultur, für die sich im Kleinstaat nicht so leicht Vergleichbares findet. Der Mega-Baumarkt im Südosten, in Schwechat, steht für das ökonomische Fundament des Schömerkonzerns. Seine dynamische Architektur, von Dieter Henke und Marta Schreieck entworfen (siehe „Spectrum “vom 7.November 1998) zählt zu den absoluten Glanzlichtern unter den oft belanglosen Angeboten für diese Bauaufgabe.

Im Nordwesten, am Rande des Auwalds, überragt von der Klosterneuburger Stadtsilhouette, ruht blockhaft unverrückbar das neueste Bauwerk von Architekt Heinz Tesar, das der Sammlung des Ehepaars Agnes und Karlheinz Essl Raum und Heimstatt bieten wird. Unweit befindet sich seit 1987 der Sitz der Firmenzentrale, ebenfalls von Heinz Tesar entworfen, ein Hauptwerk aus dem Schaffen der „Wiener Szene , die aus ihrer kritischen Haltung zur Moderne kein Hehl machten. Seine ovale Mittelhalle und die Galerien dienten bisher der Präsentation der wachsenden Kunstsammlung der Firmeninhaber. Die drei Bauwerke sind Teil des breiten kulturellen Engagements der Familie Essl.

Die Lage des Neubaus zwischen Auwald und den Verkehrsträgern Straße und Eisenbahndamm, von letzterem räumlich abgesetzt durch einen Weingarten, kommt dem mächtigen Solitär zupaß. Der Bauplatz gehört gerade nicht mehr zum Gewerbegebiet, ist diesem aber noch verbunden, weil er nicht auf der Stadtseite, sondern auf der Stromseite der Bahnlinie liegt, eine qualitative Trennung, die erst die jüngste Zeit relativiert hat.

Ein hoher Sockel aus Sichtbeton, der aber mittels einer Schattenfuge vom umgebenden Terrain abgesetzt ist, trägt den weiß geputzten Überbau. Das mächtige Volumen negiert visuell die erwartete Verankerung im Erdreich und wirkt daher leicht angehoben, wie auf einem Luftkissen.

Die ungefähr dreieckige Grundkonfiguration ergibt drei Fassaden und drei Eckausbildungen. Dabei ist die Ansicht zur Stadt geeignet, aus Distanz betrachtet zu werden. Sie ist nach Westen orientiert und wird im Sockelbereich durch drei große Dreiecknischen in ihrer Länge gegliedert und von sechs Oberlichtgaden gekrönt, die über einer weitgehend geschlossenen Wand aufgereiht sind. Die Nordwestspitze des Baukörpers löst sich in gefächerte Betonscheiben und einen zylindrischen Erker auf. Beide Maßnahmen bieten dem Sog der langen Fassade sowie der Versuchung zum Pathos Widerstand und halten den Baukörper ohne Anstrengung an der Stelle. Die Südecke ist zu einem rechten Winkel beschnitten, ein kräftiges, turmartiges Prisma setzt hier den Akzent. Weich schwingt sich die flache Kuppe des Daches über der oberen Ausstellungshalle in die entgegengesetzte Richtung und schafft einen Ausgleich.

Die anderen beiden Fassaden treten von der Zufahrtsstraße her übereck in Erscheinung. Das schlanke Liftprisma vor der Südostseite betont die Eingangssituation, während die nordöstliche Flanke ruhig und geschlossen wirkt, ohne jedoch abzuweisen. Der Schwung des Daches nobilitiert das Bauwerk in sparsamer Weise. So ist das gesamte Äußere differenziert und ausgewogen zugleich.

Eine kleine Rampe überwindet den einen Meter Höhendifferenz zum Eingang, der über dem Niveau des 1000jährigen Hochwassers liegt, zum Schutz der Depots im Sockelgeschoß. In der hohen Eingangshalle entwickelt sich die Treppe kunstvoll nach oben und erschließt auch die beiden Zwischengeschoße, die auf dieser Seite eingeschoben sind. Hat man – mit Lift oder über die Stufen – die Ausstellungsebene erreicht, werden die Besucher von einem Foyer empfangen, dessen breite Glaswand zum begrünten Innenhof geöffnet ist. Damit wird ein Eindruck vermittelt, als würde man noch einmal im Erdgeschoß beginnen. Hier bietet sich ein Rundgang an: nach links, mit den sieben Oberlichtsälen beginnend, oder nach rechts, durch die untere Ausstellungshalle, die über Seitenlicht verfügt und von unterschiedlich breiten Mauerscheiben zoniert wird. Den langen Raum begleitet die Spalte eines Deckendurchbruchs in die darunter befindlichen Depots. Der Blick fällt in den Manipulationsgang; Unten und Oben werden in Beziehung gesetzt; die Ausstellungsfläche dient als Schauseite einer dichtgepackten Sammlung.

In der Ausstellungshalle fällt der Zylinder einer gebogenen Wand auf, hinter der eine Treppe nach oben führt. Als Galerie tangiert der Weg hinauf die oben offene Rotunde, es entsteht ein Übergangsraum, der zwischen den beiden Ausstellungshallen liegt. Von unten betretbar und von oben einsehbar, gehört er zu beiden Ebenen und scheidet sie als Mittler dennoch voneinander. Die obere Halle wird von der Dachkuppe überwölbt. Lichtschlitze die mit zunehmender Raumhöhe dichter stehen, verstärken dynamisch das räumliche Empfinden. Im vorderen Bereich sind hier der Shop und das Café angeordnet, eine Glaswand hält Störgeräusche ab.

Räumlich sind die Säle und Hallen von großer Mannigfaltigkeit. In den Oberlichtsälen gehen die Wände konkav gerundet in die Decke über, aus der dann wieder ein Trapez für die Lichtgaden ausgeschnitten ist. Lichtquelle und Abschattungsmaßnahmen bleiben sichtbar. Die Bildbetrachtung stören sie kaum, weil sie hoch liegen und eine obere Raumkante durch die Rundung vermieden wurde.

Die Verbindungen zwischen den Sälen sind von zweierlei Gestalt: einmal als pfortenartige Durchgänge, die aus den trennenden Wänden herausgeschnitten sind, und einmal als schlitzartige Durchlässe entlang der schrägen Außenmauer. So erhält jeder Raum eine klassische und eine moderne Öffnung. Daraus ergeben sich Gruppierungsmöglichkeiten, harte Schnitte und gleitende Übergänge finden eine räumliche Basis. Spontan wirkende Ausblicksfenster in Bodenhöhe oder an Raumkanten konterkarieren die Strenge der weißen Wand, ihre schlitzartige Dimensionierung vermeidet jedoch eine Konkurrenz zu den Bildern.

Dennoch werden die Kunstwerke hier nicht wie Pflegefälle behandelt, die nicht dergeringsten visuellen Störung ausgesetzt werden dürfen, weil ihre Aura Schaden nehmen könnte. Vielmehr vertraut man auf die Kraft der Werke, deren Wirkung von den gezielt gesetzten Öffnungen und der räumlichen Varianz kaum geschmälert, sondern vielmehr verstärkt werden kann.

Dasselbe gilt in der unteren Ausstellungshalle, wo verschieden breite Wandscheiben eine auf den ersten Blick zufällig wirkende Gliederung in Raumzonen vorgeben. Der Raum ist hier offener, es entstehen mehr und gestaffelte Durchblicke. So können Bilder und Plastiken auch räumlich – nicht bloß nebeneinander – konfrontiert werden. Und einem freien Flanierender Besucher bieten sich Durchgänge und Durchschlupfe an. Die obere Halle will dagegen als Ganzes gesehen werden, auch wenn die offene Rotunde zonierend wirkt; aber der Schwung der Deckenkuppe ist stärker.

Heinz Tesar erzeugt mit seinen vielfältigen Raumkonfigurationen gleichsam eine Art Topographie, auf die mit der Positionierung der Kunstwerke eingegangen werden kann. Dennoch ist jederzeit eine Ortung möglich, Ausblicke und Durchblicke zeigen an, wo im Gebäude man sich gerade befindet. Oft läßt er ein Thema fast bruchstückhaft anklingen, gerade so weit, daß eine spezifische Stimmung entsteht, aber auch so knapp, daß ein Klischee vermieden wird. Damit gelingt es ihm, neben normalen Wandflächen zahlreiche mehrdeutige Plätze für Kunstwerke anzubieten, die erst mit deren Inhalt und Präsenz fixiert werden. Ein Ausloten dieser räumlichen Vielfalt mit der Schau zur Eröffnung und mit künftigen Ausstellungen dürfte dem Kunstgenuß angenehm förderlich werden.

Das Pionierwerk der Familie Essl kann nicht hoch genug gewertet werden. Zeitgenössisches Kunstschaffen trifft wegen mancherlei Ungleichzeitigkeiten beim Erfahrungsstand von Kommentatoren und Betrachtern oft zu Unrecht auf Mißverstehen. Hier kann das Engagement privater Sammler weit besser als der staatliche Museumsbetrieb anregend, entspannend und vermittelnd wirken, weil die persönliche Identifikation, ja die Besessenheit dieser Kunstfreunde direkt spürbar wird, sodaß die Funken überspringen und sich Menschen auf Werke einlassen, denen sie vorher ablehnend gegenüberstehen mochten. Wenn sich öffentliches und privates Engagement in einem derartigen Wechselspiel entwickeln können, öffnet sich ein Ausweg aus der Sackgasse, in die eine vornehmlich staatliche Kunstpolitik immer wieder zu geraten droht. Das Gegengewicht dieser vielgleisigen und wendigeren privaten Kunstpolitik gibt den Kunstschaffenden mehr Bewegungsraum und Unabhängigkeit.

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