Bauwerk

Autobusgroßgarage Leopoldau
fasch&fuchs.architekten - Wien (A) - 2006

Wenn Busse schlafen

Den Wiener Linien mangelte es an einer modernen Großgarage für ihre Flüssiggas-Flotte. Das Architektur-büro fasch & fuchs beteiligte sich vor Jahren an einem EU-weiten Wettbewerb - und kam zum Bus. In wenigen Wochen wird eröffnet.

5. Mai 2007 - Wojciech Czaja
Wozu braucht man Architekten? Der Großteil der Bevölkerung wird schnurstracks antworten: für Einfamilienhäuser, für Wohnbauten, für Bürogebäude, Schulen und Museen. Und, ach ja, bestenfalls noch für Bahnhöfe und Kirchen. Dass ein beträchtlicher Teil der architektonischen Tätigkeit in den Bereich des städtischen Nutzbaus fällt, wird oft vergessen. Welchen Stellenwert alltägliche Selbstverständlichkeiten wie Kraftwerk, Kläranlage, Umspannwerk und diverse Verkehrsbauten im Stadtbild tatsächlich einnehmen, zeigt beispielsweise ein Blick in den ehemaligen Ostblock. So manche Stadt in Polen, in Ungarn und in der Slowakei versumpert im graubraunen Einheitsbrei und fühlt sich einem farbenfrohen Stadtbild-Relaunch kaum mehr gewachsen. Seit Jahrzehnten nämlich liegt die gesamte Industrie und Infrastruktur unter einem rostigen Schleier der kulturellen Demenz.

„Im Wiener Nutzbau wurden bereits etliche markante Zeichen gesetzt“, sagen die Ausstellungskuratorinnen Barbara Feller und Maria Welzig, „die bewusste architektonische Gestaltung transportiert ein neues Bewusstsein in den öffentlichen Ämtern.“ Vor einigen Jahren trugen sie mit ihrer Ausstellung „Vom Nutzen der Architektur“ im Wiener Künstlerhaus das gestalterische Treiben des zweiten Blicks zusammen: Wasseraufbereitungsanlagen, Friedhöfe, Müllabfuhrzentralen und städtische Werkstätten. Die Ausstellung war ein interessanter Blick hinter die Kulissen, denn in der Regel bleibt das infrastrukturelle Herz des Mikrokosmos Stadt für den Endverbraucher unattraktiv und unsichtbar.

Frühjahr 2007. Was im einstigen Ausstellungskatalog noch als computergezeichnetes Bildchen in den Sternen stand, ist nun Realität geworden und eröffnet in Bälde seine Pforten: die Autobusgroßgarage der Wiener Linien in der Leopoldau. An die 150 Normal- und Gelenkbusse werden in wenigen Wochen an den nördlichen Stadtrand von Wien siedeln, wo sie ein neues Dach über dem Kopf erhalten. Die altersschwachen Remisen in der Vorgartenstraße und in Grinzing werden im Gegenzug aufgelassen. Zeichnende Architekten und damalige Wettbewerbssieger: das Wiener Büro fasch & fuchs.

Was war das Schwierigste an diesem Projekt? „Einer der heikelsten Punkte drehte sich rund ums Flüssiggas, mit dem die neue Flotte der Wiener Linien fährt“, erklärt Architekt Jakob Fuchs, „denn die Gefahren, die in diesem Treibstoff lauern, sind sehr hoch.“ Die Auflagen sind es auch. Hier Brennbarkeit, dort Explosionsgefahr, rundherum die prophylaktische Maßnahme absoluten Rauchverbots sowie Löschhilfeanlagen. Zudem ist das gesamte Gelände von einem Netz aus so genannten Schnüffelköpfen überzogen, die es einzig und allein auf entwichenes Gas abgesehen haben. Rund um die Uhr. „Auch wenn man es dem Bauwerk auf den ersten Blick nicht ansehen mag“, so Fuchs, „die Busgarage Leopoldau ist ein komplexes Bauwerk, das eine extrem aufwändige Sicherheitstechnik in sich birgt.“

Ein weiterer Faktor, der im Alltag normalsterblicher Architekten wohl eher zur großen Ausnahme gehört, ist der riesige Maßstab: 20.000 Quadratmeter verbaute Grundfläche. Das Gebäude, das darauf steht, ist so breit und so flach wie eine Flunder. In Zahlen: Eine Fassadenlänge von 150 Metern ist an diesem Gebäude keine Seltenheit. „Wenn man den ganzen Tag vor dem Computer sitzt, dann lernt man, mit solchen Dimensionen natürlich geschickt umzugehen“, erklärt Hemma Fasch, „doch wenn man dann das erste Mal auf der Baustelle steht, merkt man erst, dass das Arbeiten im Kastl mit der Realität nichts zu tun hat.“ Das macht nichts. Zu Fuß geht hier niemand, hier fahren ohnedies alle mit dem Bus.

Zweihundert Menschen werden sich zu Spitzenzeiten in der neuen Großgarage aufhalten. Die meisten werden nur in der Früh und am Abend da sein, um sich umzuziehen, Kaffee zu trinken und sich in den Aufenthaltsräumen über den neusten Klatsch auszutauschen. Frühmorgens - das bedeutet in der Öffi-Sprache: noch vor Sonnenaufgang. Denn spätestens um fünf Uhr befindet sich ein Großteil der Chauffeure und Chauffeurinnen - zehn Prozent, immerhin - bereits auf Achse.

Für die wenige Zeit, in der das Gebäude für die volle Meute gerüstet sein muss, ist für jeden nur erdenklichen Komfort gesorgt. Es gibt Aufenthaltsräume, Schulungszimmer, Garderoben, Duschen, stille Rückzugsorte und gleich eine ganze Schar an lichtdurchfluteten Atrien, in denen hoffentlich schon bald die ersten Topfpflanzen und Zitronenbäumchen gedeihen werden. Hemma Fasch: „In der Planungsphase ist oft betont worden, was für ein Händchen die Busfahrer und -fahrerinnen denn nicht fürs Grüne hätten! Hier werden sie die Möglichkeit haben, diesen Spleen auszuleben.“ Mit den Mitarbeitern werden die Pflanzen einziehen. Letzteres ist ein Geschenk der Architekten. Damit geht man der eigenen Gepflogenheit nach, dem Bauherrn nach erfolgreichem Projektablauf ein Pflänzchen zur Pflege in die Hand zu drücken.

Das erlesene Arbeitsklima in Ehren, doch im Mittelpunkt einer Busgarage steht immer noch der Bus. Die fünf riesigen Hallen bieten überdachte Stellplätze für 180 Normalbusse oder 120 Gelenkbusse. In der Praxis, das weiß man, werden sich diese beiden Typen zu einer transdanubischen Melange vermengen. Im Wettbewerb hatte man den Wiener Linien als Dachhaut noch eine Membran vorgeschlagen. „Die Membran wäre unterm Strich eine sehr clevere und praktische Lösung gewesen“, sagt Projektleiter Fred Hofbauer, „im Brandfall hätte sich ganz einfach ein Loch ins Dach gebrannt, und damit hätten wir alle Auflagen der Brandrauchentlüftung abgedeckt.“ Leider war der Bauherrschaft die Lösung ein wenig zu ungewöhnlich, man wollte sich die Finger nicht verbrennen. Doch dies ist das Wesen von Kompromissen. Dem Projekt tut dies jedenfalls keinen Abbruch.

Immer noch kann sich die Konstruktion sehen lassen. Wie von Engelshand getragen wird jede einzelne der fünf Garagenhallen von einem zarten Raumfachwerk bedeckt. Durch Knickung zu Sheddächern - ein altbewährtes Element aus den Anfängen des Industriebaus - gelangt reichlich Streulicht in die Hallen. Eine künstliche Belichtung wird man untertags wohl gar nicht brauchen.

Die Großgarage Leopoldau dient den Bussen nicht nur als nächtliche Schlafstatt. Täglich werden sie auf Gasdichtheit und Fahrwerk überprüft, täglich rollt man durch die Waschstraße, täglich wird neuerlich Flüssiggas in den Schlund gepumpt. In regelmäßigen Abständen wird die gesamte Niederflurflotte einem Check unterzogen: Reifendruck, Öl und Kühlflüssigkeit, Bremsweg, Kraftstoffverbrauch und - last but, not least - vorsichtiges Parken über dem Hubstempel und rauf in die Höh.

Eine Garage für Busse also. Als ob es eine Rolle spielen würde, unter welchem Dach der bereifte Fuhrpark der Wiener Linien steht. Vielleicht hätten die Baukosten statt 35 Millionen Euro unter normalen Umständen nur 34 Millionen betragen. Mag sein. Doch Busse reparieren sich nicht von selbst. Busse tanken sich nicht von selbst. Und vor allem fahren sich Busse nicht von selbst - zumindest gilt diese Aussage für die nähere Zukunft.

Den Großteil der Tages verbringen die Chauffeure auf einem Arbeitsplatz, der gerade mal so groß ist wie ein Lenkrad und ein Fahrersitz. Im Fond sitzt nicht etwa ein fröhliches, südländisches Völkchen, sondern der grantige Wiener. Es ist ein Knochenjob. Eine fesche Homebase ist daher das Mindeste, was man der Berufsgruppe am Ende eines Tages bieten kann. „Nicht zuletzt ist eine intelligente und erfrischende Planung dieser Bauten auch eine Form von Respekt und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern, die diese Betriebe am Laufen halten“, sagen die beiden Ausstellungsmacherinnen Barbara Feller und Maria Welzig.

In wenigen Wochen werden die Remisen in der Vorgartenstraße und in Grinzing der Vergangenheit angehören. Ab dann wird die allmorgendliche Kolonne rot-weißer Busse von der neuen Busgarage in der Leopoldau ausfahren. Sollten die Personen hinter dem Lenkrad ein wenig freundlicher durch die Windschutzscheibe blicken als sonst - Sie wissen, woran das liegt.

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