Bauwerk

Gemeindezentrum Großweikersdorf
smartvoll Architekten - Großweikersdorf (A) - 2020
Gemeindezentrum Großweikersdorf, Pressebild: Dimitar Gamizov

Amt mit Ausblick

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

27. März 2021 - Franziska Leeb
Stark sanierungsbedürftig, nicht barrierefrei, längst zu klein geworden und nicht erweiterbar war das bestehende, im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemeindeamt von Großweikersdorf. Ein Neubau musste her. Überlegungen, ihn am Ortsrand nächst dem Bauhof zu errichten, wurden bald verworfen. Da aber im Ortszentrum immer weniger los war, berichtet Bürgermeister Alois Zetsch, sei klar gewesen: „Das Gemeindeamt muss am Hauptplatz bleiben.“ Dank der Lage an der Horner Bundesstraße und der Franz-Josefs-Bahn erfreut sich die Gemeinde starken Zuzugs – aus Wien ebenso wie von Waldviertlern, die näher an Wien wohnen wollen. Flächenmäßig wächst sie nicht nur durch neue Siedlungen. Die Gewerbeflächen nördlich des Ortskerns, darunter gleich drei Supermärkte – jeder mit Parkplatz –, nehmen mehr Raum ein als der alte Ortskern, wo immerhin noch Bank, Trafik, Nahversorgermarkt und zwei Gasthäuser die Erfüllung der Bedürfnisse des täglichen Lebens sicherstellen.

Es traf sich gut, dass die Gemeinde ein paar Schritte weiter von der nach Plänen von Josef Emanuel Fischer von Erlach errichteten Pfarrkirche die Liegenschaft einer seit Jahren leer stehenden Fleischerei erwerben konnte. Vier Architekturbüros wurden um Entwürfe für einen Neubau auf dem normal zum Hauptplatz und seiner zentralen Grünanlage ausgerichteten Grundstück gebeten. Nicht nur die Gemeindeverwaltung sollte Platz finden, sondern auch Raum für örtliche Vereine und eine Arztpraxis. Zudem galt es eine Anbindung an einen Gewölbekeller im Untergrund herzustellen, um weiteren Raum für Veranstaltungen im Lokalkolorit der Weinbaugemeinde zu schaffen.

Drei der eingeholten Entwürfe hielten die traufständige geschlossene Bauweise bei. Der von Philipp Buxbaum und Christian Kircher, die in Wien seit 2013 das Büro Smartvoll betreiben, tanzte aus der Reihe. „Ein Lückenschluss hätte das Areal zum Platz hermetisch abgeschlossen“, argumentiert Christian Kircher. Daher beschlossen die Architekten das Bauvolumen giebelständig mit beidseitigem Abstand in die Lücke zu schieben. Durch die Gliederung in eine Kette aus fünf seitlich gegeneinander verschobenen Giebelhäusern entstanden kleine Plätze zum Verweilen und eine der Ortsstruktur entsprechende Kleinteiligkeit. Die durchgehende Firstlinie fasst die Segmente mit unterschiedlichen Dachneigungen zu einem großen Ganzen zusammen. Gesäumt von Grün (EGKK Landschaftsarchitekten), umspült der öffentliche Raum das Gebäude und führt auf einen Platz, der in die parallel zum Hauptplatz leitende Winzerstraße mündet. Zusätzliche Parkplätze mit Elektrotankstelle, ein Spielplatz und eine neue fußläufige Verbindung wurden so gewonnen.

Die Trag- und Dachkonstruktion aus Holz um einen Betonkern bildet sich außen schon auf dem Platz vor der zurückgesetzten Fassadenfront ab, wo der überdeckte Vorbereich die Ankommenden empfängt und ein offener Schlitz den Blick in Richtung Kirche freigibt. Noch einmal zurückgesetzt ein gebäudehoher Glasschlitz über dem Rathauseingang, der ankündigt, was uns innen erwartet: hohe Räume und viel Tageslicht. Von außen wird die Transparenz der Gebäudehülle hingegen nicht zelebriert. Hier wirken die schlanken seitlichen Lichtschlitze rhythmisierend im einheitlichen Kleid aus engobierten Tondachziegeln, die als hinterlüftete Fassaden bis zum Boden reichen. Farblich darauf abgestimmt die Bodenpflasterung, die vom Hauptplatz bis zur Winzerstraße durchläuft.

Den Eingang flankiert das Bürgerbüro als erste Anlaufstelle, ehe der als Wohnlandschaft gestaltete Wartebereich willkommen heißt. Er geht in eine Stufenanlage über, die ohne räumliche Trennung in den Sitzungssaal unter dem Dachgiebel führt. Seine Offenheit signalisiert eine Einladung, an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben, und so sind außer den monatlichen Gemeinderatssitzungen auch zahlreiche andere Nutzungsszenarien denkbar. Die Fichtenholzoberflächen, vor allem das über Dachfenster und seitliche Fensterflächen reichlich einfallende Tageslicht, bestimmen den Eindruck des Raumes, der trotz seiner Hallenkonfiguration äußerst behaglich wirkt.

Büros, Besprechungszimmer und Teeküche sind im Erdgeschoß angeordnet, alle leicht auffindbar und mit Fenstertüren nach außen ausgestattet. Der noch des endgültigen Ausbaus harrende Gewölbekeller ist über das Untergeschoß zugänglich, ein Außenzugang ist vorbereitet. Umspült von öffentlichem Raum – ähnlich wie das klerikale Pendant der Kirche –, ist das neue Gemeindezentrum zu einem einladenden Ort geworden, an dem sich außen wie innen lebendiges Miteinander – ob zufällig oder geplant – entfalten kann.

Welches Gebäude man als Haus für die Bürger haben will, wurde von den gewählten Mandataren entschieden. Die Frage, warum kein Architekturwettbewerb mit einer Fachjury ausgelobt wurde, beantwortet der Bürgermeister kurz und bündig: „Wir wollten es uns selbst aussuchen.“ Erfahrungen aus anderen Gemeinden hätten gelehrt, dass zu starke Mitbestimmung durch Fachleute von außerhalb die Gefahr berge, ein Siegerprojekt zu erhalten, mit dem am Ende die Gemeinde nicht glücklich sei. Nun gibt das rundum gelungene Gemeindezentrum der Strategie der Großweikersdorfer recht. Die Skepsis gegenüber dem Instrument Architekturwettbewerb zeigt aber auch auf, dass es dringend Wettbewerbsszenarien braucht, in denen sich die Kommunen nicht als Statistinnen eines von externen Experten choreografierten Verfahrens wiederfinden. Hier ist alles gut gegangen, wohl auch, weil klare Vorstellungen vorhanden waren, was man will, und man offen genug gegenüber einem unkonventionellen Vorschlag war.

Daran, dass das frei stehende, in Häuser aufgeteilte Gebäude auch eine gute Wahl für Krisenzeiten sein wird, dachte in der Planungszeit wohl noch niemand. Heute zeigt sich, dass das pandemiebedingt noch nicht in Betrieb gegangene Vereinshaus eine vorzügliche Coronavirus-Teststraße abgibt. Als eigene Einheit inmitten von Rathaus und Arztpraxis gelegen, lässt sich mit dem separaten Eingang an der Nordseite und dem Ausgang über die Terrasse an der Südseite der Ablauf perfekt organisieren. Sobald möglich, soll heuer das offizielle Eröffnungsfest nachgeholt werden, dann wird das klug gesetzte Gefüge erstmals seine Potenziale ausspielen können und ganz gewiss auch über eine längere Zukunft unter Beweis stellen.

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