Zeitschrift

TEC21 2009|18
Komplementär
TEC21 2009|18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schattenspiel oder Spiegelfechterei?

Mit seinem hohen Satteldach und dem grauen Putz fügt sich das unscheinbare Einfamilienhaus in der Dessauer Ebertallee ins Bild einer harmlosen Vorstadtidylle. Nach seinen ehemaligen Besitzern «Haus Emmer» genannt, hätte das Gebäude kaum überregionale Bekanntheit erlangt, stünde es nicht auf dem Keller des einstigen Wohnhauses des Bauhausdirektors Walter Gropius. Dieses ist zum Spielball geworden in der Debatte um Rekonstruktion oder abstrakte Komposition schwarzer Kuben.

1. Mai 2009 - Jürgen Tietz
Nachdem das Bauhaus 1925 Weimar verlassen musste, fand es in Dessau seine neue Heimat. Hier entstanden neben dem Meisterhaus für Gropius 1925 / 26 auch drei Doppelhäuser für die legendären Bauhausmeister Lyonel Feininger, Lazlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Georg Muche und Oskar Schlemmer. Es waren programmatische Bauten, ineinandergeschachtelte Kuben mit mächtigen Atelierfenstern und Terrassen, an denen genauso wie beim nahen Bauhaus selbst der Duktus der Bauhaus-Moderne zele briert wurde. Die Geschichte ging freilich nicht sonderlich sorgsam mit diesen Inkunabeln der Moderne um: So verschwand in den 1970er-Jahren die «Trinkhalle», die Eduard Ludwig nach einem Entwurf des letzten Bauhausdirektors Ludwig Mies van der Rohe 1932 als Auftakt zur Meisterhaussiedlung verwirklicht hatte, ebenso wie das angrenzende Meisterhaus von Gropius. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, genauso wie die Moholy-Nagy- Hälfte des benachbarten Meisterhauses. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Bauhaus längst aufgelöst worden, nachdem Mies van der Rohe in Berlin einen letzten vergeblichen Versuch zur Wiederbelebung unternommen hatte: Mit seiner offi ziellen Schliessung am 10. August 1933 war Mies dem Druck der Nationalsozialisten erlegen. Das Bauhaus war Geschichte. 1956 entstand in Dessau anstelle von Gropius’ Meisterhaus, von dem nur Garage und Keller – samt eingemauertem Weinregal – überdauerten, das schlichte Haus Emmer im traditionellen Stil. Schliesslich hatte das Neue Bauen nicht nur im Dritten Reich einen schweren Stand, sondern auch in der Frühzeit der DDR.

Damals bestimmte der sozialistische Bruder in Moskau die Richtung in Architekturfragen. Ab 1950 war in der DDR daher statt klassischer Moderne das Bauen im «nationalen Stil» gefordert. Kein Wunder also, dass auch die erhaltenen Meisterhäuser zu DDR-Zeiten kaum noch eine Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild aufwiesen: Die skulpturale Wirkung der weissen Kuben war unter Anbauten, Kaminen, Sprossenfenstern und Rauputz so gründlich versteckt, dass kaum mehr zu erahnen war, dass es sich hier um die Vorreiter eines befreiten Wohnens inmitten einer grosszügigen Parklandschaft handelte. Eine Wende in der Wertschätzung der Meisterhäuser brachte erst die deutsche Wiedervereinigung 1990: Danach wurden die erhaltenen Meisterhäuser aufwendig restauriert und saniert. Dabei mangelte es jedoch am wünschenswerten denkmalpfl egerischen Fingerspitzengefühl, das ihnen aufgrund ihrer hohen künstlerischen und geschichtlichen Bedeutung hätte zukommen müssen. Doch im strukturschwachen Dessau erschien es offenbar besonders wichtig, vorrangig die optische Wirkung des Ensembles Meisterhäuser zurückzugewinnen, um mit diesem Pfund touristisch wuchern zu können.

Gropius' Rückkehr

Nachdem es der «Stiftung Meisterhäuser» nach der Jahrtausendwende gelang, das Haus Emmer aus Privatbesitz zu erwerben, wurde auch überregional lange und intensiv über die Zukunft des Ensembles diskutiert. Drei grundsätzliche Möglichkeiten waren dabei denkbar: das Satteldachhaus als beredtes Zeitzeugnis für die Rezeption der Moderne an seinem Ursprungsort zu belassen, ein neues, zeitgenössisches Eingangsgebäude zur Siedlung zu errichten oder das Gropius-Direktorenwohnhaus weitgehend zu rekonstruieren. Im Dezember 2007 wurde ein als «Städtebauliche Reparatur» ausgeschriebener internationaler Wettbewerb für die zukünftige Gestaltung des Entrées der Meisterhaussiedlung ausgelobt. Hier wird dringend eine Anlaufstelle für die Besucher des Ensembles benötigt, samt Buchladen, Sonderausstellungsraum und Vortragssaal. Dabei handelt es sich um ein Raumprogramm, das – auch aus konservatorischen Gründen – in keinem der anderen Meisterhäuser Platz fi ndet. Doch das Wettbewerbsergebnis war in den Augen der Preisrichter offenbar nicht befriedigend, denn anstelle eines ersten Preises vergab man lediglich zwei zweite Preise. Mit der weiteren Ausarbeitung wurde daraufhin das Zürcher Büro Nijo von Nina Lippuner und Johannes Wick beauftragt. Ihr Entwurf sah eine abstrakte Komposition schwarzer Kuben anstelle der Häuser Moholy-Nagy und Gropius vor, deren Abmessungen sich zwar am verlorenen historischen Bestand orientieren, sich ansonsten aber wie die Schatten der verlorenen Originale ausnahmen.

Mit Argwohn hat der «International Council on Monuments and Sites» (Icomos), der die Unesco in Welterbefragen offi ziell berät, auf die Welterbestätte Meisterhäuser geblickt. Noch ehe der Wettbewerb entschieden war, kam das Ensemble auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten: So plädierte der damalige Icomos-Weltpräsident Michael Petzet im Jahresreport 2006/07 dafür, den aktuellen Zustand des ehemaligen Direktorenwohnhauses beizubehalten, während er für eine Rekonstruktion der Trinkhalle und der fehlenden Hälfte des Hauses Moholy-Nagy eintrat. Intern allerdings machte sich Icomos dagegen für eine deutlich weiter gehende Rekonstruktion stark. So wurde betont, dass es wünschenswert wäre, auch das Gropius-Wohnhaus 1:1 zu rekonstruieren.

Inzwischen sind Nijos schwarze Kuben mit ihrer geplanten Fiberglasoberfl äche vom Tisch, und die Architekten verweigern mit Hinweis auf den Bauherrn die Auskunft über den aktuellen ProjektstandAnstelle des hintergründigen Schatten-Schwarz wird sich der Siedlungsauftakt nämlich künftig im klassisch modernen Weiss des Bauhauses präsentieren – wie seine Nachbarbauten. Doch man geht in Dessau noch einen Schritt weiter. So bestätigt Giulio Marano, der von Icomos mit der Beobachtung der Dessauer Welterbestätte betraut ist, dass die Trinkhalle, der fehlende Hausteil Moholy-Nagy und das Direktorenwohnhaus in ihren Abmessungen rekonstruiert werden sollen. Etwas verschämt wirkt es, wenn der Dessauer Kulturamtsleiter Gerhard Lamprecht, der als Geschäftsführer auch für die Stiftung Meisterhäuser zuständig ist, die Rekonstruktion von Atelier- und Treppenfenstern sowie der Terrassen und Balkone als das «Einfügen von Zitaten» umschreibt. Zumal – so Giulio Marano – die ursprüngliche Verteilung der Fenster in allen Wandfl ächen des Gebäudes angelegt werden soll, jedoch ohne sie jetzt zu öffnen. So solle künftigen Generationen die Möglichkeit gegeben werden, das Erscheinungsbild des Bauwerks von 1925 / 26 (vollständig) zu rekonstruieren!

Verlust der Zeitspuren

Im Inneren der Doppelhaushälfte Moholy-Nagy soll der Grundriss dagegen der neuen Nutzung angepasst werden. Schliesslich werden hier künftig keine Bauhausmeister mehr wohnen, sondern Ausstellungen zu sehen sein. Aus diesem Grund erhält der Bau anstelle eines zweiten Vollgeschosses eine Galerie. Beim Direktorenhaus von Gropius bleibt das erbauungszeitliche Kellergeschoss erhalten. Aus statischen Gründen könnten darüber laut Lamprecht keine zwei Vollgeschosse errichtet werden, wie zunächst gewünscht, sondern lediglich ein grosser Raum. Hier soll künftig über Gropius und die Meisterhaussiedlung informiert werden. Auch Veranstaltungen sollen hier stattfi nden, um so die «originalen» Meisterhäuser zu entlasten. Rund 2.6 Millionen Euro sind für die Rekonstruktion eingeplant, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2010 in Sachsen-Anhalt erfolgt. Bis dahin sollen die Bauten fertiggestellt sein. Die meisten Besucher der Welterbestätte wird es kaum stören, dass sie mit dem idealtypischen Bild der Meisterhaussiedlung konfrontiert werden. Der schwierige Umgang mit dem Erbe der Moderne in den beiden deutschen Diktaturen lässt sich künftig nur noch über Fotos nachvollziehen, die meisten Zeitspuren sind in der Meisterhaussiedlung bis dahin dank dem Rekonstruktionslifting getilgt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: