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TEC21 2009|48
Notation
TEC21 2009|48
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zeit, technisch gezeichnet

Um komplexe zeitliche Abläufe übersichtlich darzustellen, bedient man sich Diagrammen, Tabellen oder Listen. Während Bahnreisenden tabellarische Anzeigen ausreichen, bedürfen die betrieblichen Abläufe des Systems Eisenbahn ausgeklügelterer Darstellungsformen. Sie bestimmen nicht nur Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen in den Bahnhöfen, sondern enthalten auch nähere Spezifikationen der Gleisbelegung auf offener Strecke.

27. November 2009 - Thomas Herrmann
Grundsätzlich werden die betrieblichen Abläufe in Fahrplänen abgebildet, jedoch muss sich deren Darstellung an den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen der Beteiligten orientieren. Je nachdem, ob man ein Hilfsmittel benötigt, um Gleisbelegungen in einem Bahnhof oder Anschlüsse zwischen verschiedenen Zügen zu optimieren, oder ob ein Kommunikationsmittel erforderlich ist, das dem Fahrgast in einer übersichtlichen Form die nächsten Abfahrten an einer Station aufzeigt, ergeben sich unterschiedliche, auf den jeweiligen Zweck spezialisierte Darstellungsformen desselben Fahrplans.

Fahrpläne als Kundeninformation

Alle Bahnkunden kennen die weissen und gelben Ankunfts- und Abfahrtstafeln, die Monitore oder grossen Anzeigetafeln in den Bahnhöfen. Mithilfe dieser tabellarischen Übersicht lassen sich ankommende und abfahrende Züge schnell zusammentragen. Für Ziele, die nur durch Umsteigen zu erreichen sind, sind zusätzliche Informationen und Kenntnisse notwendig, ohne die sich eine Reise mit mehreren Umsteigevorgängen nicht planen lässt. Kursbücher bedienen sich ebenfalls der tabellarischen Darstellung der Fahrpläne, wobei die Zugläufe bzgl. eines Streckenabschnitts detaillierter aufgelistet werden (Abb. 1) und neben den Ankunfts- und Abfahrtszeiten noch weitere Informationen enthalten können.

Der elektronische Fahrplan hat das klassische Kursbuch zur Kundeninformation weitgehend abgelöst und erleichtert den Kunden die Zusammenstellung komplizierter Reiserouten. Der Computer übernimmt für die Planung einer Reise mit mehreren Umsteigevorgängen die Kenntnisse bzgl. der Linienführung, der Zugsverbindungen, der geografischen Lage und der potenziellen Umsteigeorte und sucht nach geeigneten Verbindungen. Nicht selten werden Verbindungen angegeben, die zwar schneller als andere sind, aber mehr Umsteigevorgänge enthalten. Jeder dieser Umsteigevorgänge birgt aber das Risiko, den Anschlusszug zu verpassen und irgendwo ungeplant warten zu müssen. Besonders hoch ist dieses Risiko, wenn die Umsteigezeit knapp bemessen oder der ankommende Zug häufig verspätet ist. Deshalb wählen Reisende oft Routen, die geringfügig länger dauern, dafür mit hoher Wahrscheinlichkeit zur geplanten Zeit am Zielort eintreffen.

Bildfahrpläne und Fahrplanbetrieb

Der Fahrplan ist nicht nur ein Instrument der Kundeninformation, sondern auch Teil der Kommunikation und Betriebsführung. Unter Fahrplankonstruktion wird die Festlegung von Zugfahrten verstanden, d. h. die Entwicklung eines Soll-Betriebsablaufs unter Berücksichtigung der Infrastrukturgegebenheiten. Dazu gehören Ankunfts- und Abfahrtszeiten an Bahnhöfen genauso wie die Durchfahrzeiten an Betriebspunkten, an denen kein Halt stattfindet. Auch Güterzüge müssen frühzeitig in die Planung einbezogen werden. Das Weg-Zeit-Diagramm ist eine traditionelle Art, um den zeitlichen Verlauf mehrerer Zugsfahrten entlang einer Strecke darzustellen. Diese sogenannten Bildfahrpläne zeigen das Betriebsgeschehen auf einer Strecke und bilden für den Fahrplankonstrukteur und den Betriebsführenden zentrale Arbeitsinstrumente.[1] Sie erlauben eine erste Prüfung der betrieblichen Machbarkeit eines Fahrplans in Bezug auf Konflikte (z.B. ungenügende Abstände zwischen zwei Zügen); hinreichende Rückschlüsse auf die tatsächlichen betrieblichen Belegungszeiten der Infrastruktur lassen sich jedoch nicht ziehen.

Fahrplankonstruktion: Abwägung von Kapazität und Stabilität

Im Bildfahrplan werden die Streckeninformationen (Folge von Betriebspunkten) meist auf der horizontalen und die Zeit auf der vertikalen Achse dargestellt. Zugfahrten werden als Kurven (Bewegungslinie) im Diagramm mit Zugnummer eingezeichnet (Abb. 1). Die Geschwindigkeit eines Zuges ist umso höher, je steiler die entsprechende Linie verläuft. Je dichter das Angebot ist, d. h. je dichter die Züge auf dem Netz verkehren, desto komplexer und anspruchsvoller ist die Erstellung von Fahrplänen, da nicht nur Abfahrtsund Ankunftszeiten von Zügen in den Bahnhöfen bestimmt werden müssen, sondern auch nähere Spezifikationen der Gleisbelegung ausserhalb – besonders an stark belasteten Stellen im Netz. Für jede Zugfahrt werden bestimmte Infrastrukturteile (Ressourcen) für eine gewisse Zeit reserviert. Mithilfe der Sperrzeitentreppen (Abb. 2 und 3) lässt sich überprüfen, ob die Inanspruchnahme der Infrastruktur durch die einzelnen Zugfahrten zulässig ist oder nicht. Je mehr Züge auf dem Netz verkehren sollen, desto schwieriger wird es, die zeitliche Ressourcenzuteilung zu planen und daraus gültige Fahrpläne zu erstellen, bei denen kein Gleis gleichzeitig von zwei Zügen beansprucht wird (Überlappung der jeweiligen Sperrzeiten), welche die Umsteigebeziehungen gewährleisten und Reisezeiten einhalten etc.Bildfahrpläne helfen auch, elementare Kapazitäts- und Stabilitätsfragen zu beantworten.

Zeichnet man die jeweiligen Sperrzeitentreppen zu den Bewegungslinien der Züge ein, zeigen sich «Löcher», in die weitere Zugfahrten eingeschoben werden könnten. Es scheint, dass die Schweiz heute einen Fahrplan betreibt, der sehr nahe an der Auslastungsgrenze liegt. In den letzten Jahren wurde das Angebot im Personenverkehr stets ausgebaut, ohne dass die Pünktlichkeit gesunken ist. Allerdings ist der Fahrplan straffer, sodass die Auswirkungen bei einem grösseren Ereignis schwerer wiegen. Ob weitere substanzielle Ausbauten des Angebots ohne zusätzliche Infrastruktur überhaupt machbar sind und wenn ja, mit welchen Konsequenzen für die Zuverlässigkeit des Fahrplans, ist besonders für die Infrastrukturbetreiber von Interesse.

Balance zwischen Anforderung und Ressourcen

Ein System kann nur als effizient bezeichnet werden, wenn die gewünschte Leistung und die Leistungsfähigkeit des Systems möglichst übereinstimmen. Ist die Leistungsfähigkeit viel höher, so werden Ressourcen zur Verfügung gestellt, die nicht oder nur teilweise gebraucht werden. Die Folgen sind hohe Kosten für geringe Leistung oder sogar Schäden wegen Nichtgebrauchs. Falls auf der anderen Seite die Leistungsfähigkeit des Systems überstrapaziert wird, entstehen hohe Betriebskosten auf Grund der hohen Beanspruchung (z. B. hohe Abnutzung, Performance- und / oder Verfügbarkeitseinbussen etc.).

Bahninfrastrukturbetreiber sind hier besonders gefordert: Das gewünschte Fahrplanangebot und die zur Verfügung stehende Infrastruktur müssen bestens aufeinander abgestimmt sein. Eine Überbeanspruchung der Infrastruktur wird neben höherem Verschleiss zu häufigen Verspätungen, zu sinkender Kundenzufriedenheit und schliesslich zu Einnahmeeinbussen führen. Erschwerend kommt hinzu, dass Erweiterungen der Leistungsfähigkeit (Ausbau der Infrastruktur) einerseits sehr teuer sind und andererseits die Zeit bis zur Inbetriebnahme unter Umständen sehr lang ist.

Berücksichtigung des Risikos von Verspätungen

Momentan gehen internationale Richtlinien davon aus, dass nur ungefähr 70 % der theoretisch verfügbaren Leistungsfähigkeit ausgeschöpft werden sollten, damit ein Fahrplan stabil durchführbar ist.[2] Die übrigen 30 % werden für die Zeitreserven gebraucht, die bei Verspätungen zur Verfügung stehen, damit die Züge dennoch möglichst pünktlich am Zielort eintreffen. Pünktlichkeit bzw. Verspätungsminuten sind das Mass, mit dem die Qualität des Bahnangebots und somit des Fahrplans gemessen wird.

Fahrzeitpufer, Haltezeitpufer und Abstandpufer

Verspätungen treten während der täglichen Durchführung immer wieder auf. Ursachen dieser Verspätungen sind mannigfaltig: zu langsamer Fahrgastwechsel, Stellwerkstörungen, technische Defekte am Rollmaterial, umgestürzte Bäume, Weichen- und Fahrleitungsstörungen, Personen im Gleis, heruntergerissene Fahrleitungen usw. All diese Ereignisse führen zu Änderungen im geplanten Ablauf und müssen bei der Erstellung eines Fahrplans einkalkuliert werden. Zeitliche Schwankungen in den Abläufen bzw. in der Durchführung eines Fahrplans – zumindest die geringen zeitlichen Abweichungen – müssen aufgefangen werden können, sonst kann ein Fahrplan nicht als stabil betrachtet werden. Damit die Auswirkungen von Verspätungen auf die Kunden (Personen und Güter) so gering als möglich ausfallen, wird ein Teil der zur Verfügung stehenden Kapazität geopfert, und es werden während der Erstellung des Fahrplans Zeitreserven im Fahrplan eingebaut. Mit anderen Worten: Man verlängert die zeitliche Belegung der Gleise künstlich während der Planung, um Verspätungen während des Betriebs auffangen zu können.

Deshalb werden heute verschiedene Arten von Reservezeiten in Fahrplänen eingefügt, alle mit dem Ziel, die gegenseitigen Beeinträchtigungen der Züge im System zu verringern, Verspätungsübertragungen zu verhindern und somit den Fahrplanbetrieb aufrechtzuerhalten. Dabei werden drei Arten von Reservezeiten unterschieden (Abb. 4):Fahrzeitpuffer, Haltezeitpuffer und Abstandpuffer. Mit Hilfe dieser Pufferzeiten ist es im Betrieb möglich, allfällige Verspätungen durch schnellere Abläufe aufzuholen. Der Fahrzeitpuffer ist ein meist prozentual zur technisch möglichen Fahrzeit addiertes Intervall. Die Zugfahrten werden so künstlich geringfügig verlängert, jedoch kann im Verspätungsfall durch schnelleres Fahren bereits vor der Ankunft im nächsten Bahnhof eine Verspätung abgebaut werden.

Haltezeitpuffer in Bahnhöfen werden benutzt, um Verspätungen von ankommenden Zügen aufzufangen. Allfällige Verspätungen können dadurch eliminiert (oder zumindest reduziert) und Abgangsverspätungen der Züge ebenfalls reduziert werden. Zudem können Anschlüsse länger gewährleistet werden, sodass im Verspätungsfall die Umsteigemöglichkeiten möglichst lange erhalten bleiben.

Abstandpuffer verhindern, dass sich eine Verspätung des ersten Zuges unmittelbar auf den folgenden Zug überträgt. Die Analyse der Abstandspuffer liefert wichtige Hinweise zur Stabilität eines Fahrplans, da zu geringe Abstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zügen einen Dominoeffekt auslösen können, falls der erste Zug verspätet ist. Wie gross die Abstände zwischen zwei Zügen sein müssen, hängt von der Wahrscheinlichkeit von Verspätungen ab. Ist ein vorausfahrender Zug fast immer pünktlich, können nachfolgende Züge mit geringerem Abstand folgen, da das Risiko klein ist, durch den vorausfahrenden Zug behindert zu werden. Ist der vorausfahrende Zug unzuverlässig mal pünktlich, mal unpünktlich, müssen unter Umständen grössere Abstände eingeplant oder weitere Möglichkeiten zur Behandlung von Verspätungen zur Verfügung gestellt werden.

Zukünftige Fahrpläne und Angebotsverbesserungen

Je dichter ein Fahrplan ist, desto kleiner werden diese Reserven. Besonders in den Zuläufen zu wichtigen Knotenbahnhöfen bestehen Kapazitätsengpässe. In der Folge müssen Fahrzeiten-, Haltezeiten- und Abstandspuffer in diesen Bereichen reduziert werden, da sonst zu viele wertvolle Ressourcen unnötig beansprucht werden. Eine weitere Verdichtung des Fahrplantaktes und die damit einhergehende grössere Anzahl der Umsteigebeziehungen führt gerade in Bahnhofsregionen zur Saturierung der Infrastruktur. Der Fahrplan wird nur dadurch stabil gehalten, dass Fahrzeitenpuffer reduziert werden und Anschlüsse früher gebrochen werden (Reduktion der Haltezeitpuffer) – das erweiterte Verkehrsangebot und der verdichtete Taktfahrplan entschädigen für verpasste Anschlüsse.

Bei ausgelasteten Fahrplänen müssen deshalb die Züge innerhalb einer Bahnhofsregion auf Grund der spärlich vorhandenen Kapazität so schnell wie möglich fahren. Da jedoch auf Pufferzeiten nicht grundsätzlich verzichtet werden kann, werden die Puffer auf die Strecke zwischen den Bahnhöfen transferiert. Dies ist eine Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit der Bahn zu steigern.

Präzise Planung und neue Technologien

Alternativ zu eingebauten Zeitreserven können auch andere Massnahmen ergriffen werden, um die Stabilität des Fahrplans zu gewährleisten: Die Abläufe können beispielsweise zeitlich exakter durchgeführt werden. Aber nicht nur präzise Prozesse und Planungen helfen, einen Fahrplan stabil zu halten, sondern auch neue Technologien. Mit Hilfe der Entwicklungen zu ERTMS (European Railway Traffic Management System) und den Komponenten ETCS (European Train Control System) und GSM-R (Global System for Mobile Communications – Railway) werden in Zukunft immer mehr und genauere Informationen für Fahrdienstleiter, Lokführer und Disponenten zur Verfügung stehen.[3] Die Einführung und Weiterentwicklung dieser Technologien erhöht die Verfügbarkeit präziser Informationen über das Geschehen auf den Schienen. Dies steigert die Flexibilität und die Möglichkeiten, auf Verspätungen zu reagieren, womit die Leistungsfähigkeit des Systems «Bahn» ebenfalls optimiert werden kann, ohne dass Stabilitätseinbussen in Kauf genommen werden müssen.


Anmerkungen:
[01] www.fahrplanfelder.ch
[02] UIC, Code 406 – Capacity. UIC, Paris, 2004
[03] www.ertms.com

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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