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TEC21 2010|21
Planungskulturwandel
TEC21 2010|21
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Säuliamt unter Druck

In den letzten 40 Jahren hat sich die Bevölkerung im Säuliamt – offiziell als Knonauer Amt bezeichnet – nahezu verdoppelt. Die gute Anbindung an die S-Bahn und die Eröffnung der A4 werden die Einwohnerzahl in den nächsten Jahren weiter steigen lassen. Dennoch will die Regionalplanung im Knonauer Amt die Siedlungsausdehnung strikt begrenzen und den Charakter der ländlich geprägten Region wahren. Ein wegweisendes räumliches Entwicklungskonzept gibt die Richtung vor.

21. Mai 2010 - Hugo Wandeler
Mit dem Planungs- und Baugesetz (PBG) von 1975 wurde im Kanton Zürich die Richtplanung gesetzlich vorgeschrieben. Mit der Aufgabe wurden auch die Regionen betraut, weil zwischen Kanton und Gemeinden eine weitere Ebene nötig war, um die komplexen raumplanerischen Fragen sachgerecht zu bearbeiten. Der Kanton wollte jedoch keine Kompetenzen abgeben, und die Gemeinden wollten keiner weiteren Instanz unterstellt sein, sodass den Regionen schliesslich nur bescheidene Kompetenzen zugeteilt wurden. Sie dürfen im Auftrag und gemäss den Richtlinien des Kantons in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Regionalpläne erarbeiten und in diesen beispielsweise Erholungsgebiete und Fuss- und Radwege festlegen oder Standorte für öffentliche Bauten und Anlagen sichern.
Im Rahmen der Festsetzung kann der Kanton diese Pläne jedoch nach eigenem Ermessen korrigieren.

Hinzu kommt, dass die räumlich massgebenden Entscheide – die Abgrenzung des Siedlungsgebiets, die Festlegung des übergeordneten Verkehrsnetzes und wesentliche Teile der Infrastruktur – im kantonalen Richtplan abschliessend festgelegt werden und dass die Gemeinden mit ihren Zonenplänen das Siedlungsgebiet bereits weitgehend strukturiert haben. Aus diesen Gründen bleibt den Regionen nur wenig planerischer Spielraum. Wie das Beispiel des Knonauer Amtes zeigt, kann mit einer geschickten Regionalplanung dennoch einiges erreicht werden.

Das Knonauer Amt als Raum

Im Gegensatz zu anderen Zürcher Regionen umfasst das Gebiet der Zürcher Planungsgruppe Knonauer Amt (ZPK) einen überschaubaren Raum mit klaren Grenzen und einem eindeutigen Zentrum. In der politischen Abgrenzung ist er mit dem Bezirk Affoltern identisch. 14 Gemeinden gehören zum Knonauer Amt. Flächenmässig ist es mit der Stadt Zürich vergleichbar. Mit heute rund 45 000 Personen entspricht die Wohnbevölkerung zwar lediglich derjenigen eines grösseren Stadtquartiers. Es leben dort aber mehr Menschen als z. B. in Uri (35 000), Obwalden (34 000) oder Nidwalden (40 000), die als Kantone über deutlich mehr Planungshoheit verfügen als eine Zürcher Region.

Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung

Von 1970 bis 2007 hat die Wohnbevölkerung im Knonauer Amt von rund 24 000 auf 45 000 Personen zugenommen. Hauptauslöser dieses Wachstums waren die ab 1970 zunehmende Stadtflucht sowie der Traum vom Eigenheim im Grünen. Dafür bot das ländlich geprägte Knonauer Amt mit den damals noch günstigen Bodenpreisen nahezu ideale Voraussetzungen. Die Stadt lag zudem in erreichbarer Nähe. Zwar bildete die Strasse über die Waldegg ein zunehmend enger werdendes Nadelöhr auf dem täglichen Arbeitsweg mit dem Auto nach Zürich – die geplante Autobahn A4 versprach jedoch, diesen Engpass mit einem Tunnel durch den Üetliberg zu eliminieren. Dass 30 Jahre verstreichen würden, bis dieses Versprechen eingelöst wurde, ahnte niemand, als 1987 die ZPK ihre Arbeit aufnahm.

Die Regionalplanung konnte dieses grosse Bevölkerungswachstum weder im Ausmass noch in seiner Verteilung in der Region massgeblich beeinflussen. Die Bauzonen waren durch die Gemeinden mit grossen Reserven bereits ausgeschieden. Offensichtliche Überkapazitäten wurden mit Reservezonen zwar etwas eingefroren, die Regionalplanung hatte aber kein Instrument, substanziell etwas daran zu ändern. Heute besteht immer noch potenzielles Reservebauland für weitere rund 10 000 Personen.

Die Zeichen stehen heute allerdings recht gut, dass die Ausdehnung des Siedlungsgebiets nicht mehr unkontrolliert weitergeht. Dazu beigetragen hat auch die im Rahmen der ZPK geführten Diskussionen über regionale Themen, Probleme und Aufgaben. Obwohl die Mitglieder des Vorstandes und der Delegiertenversammlung der ZPK als Abgeordnete der Gemeinden primär diese vertreten, war es immer wieder möglich, Verständnis für übergeordnete Gesichtspunkte und regionale Aspekte zu finden. Voraussetzung dafür war, dass offen informiert und die Sachverhalte einleuchtend und verständlich dargestellt wurden. Nützlich war in diesem Zusammenhang auch die in der ganzen Region gelesene Lokalzeitung, die Fragen der regionalen Raumentwicklung immer wieder thematisierte.

Bezüglich der künftigen Siedlungsentwicklung hat die ZPK mit dem Räumlichen Entwicklungskonzept Knonauer Amt (REK) 2007 konkrete Vorschläge ausgearbeitet. In enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden wurden die Grenzen des Siedlungsgebietes bezeichnet, die auch in Zukunft nicht mehr überschritten werden sollen. Wo solche noch nicht definiert werden konnten, wurden die Gemeinden angewiesen, diese im Rahmen der nächsten Zonenplanrevision festzulegen (vgl. Kasten S. 25 und Abb. 2).

Eine weitere Siedlungsentwicklung wird damit jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen. Um die wesentlichen Eigenheiten und Qualitäten der Region zu erhalten, darf sie aber nicht mehr dispers verteilt über die ganze Region stattfinden, sondern nur noch an ausgewählten Orten, wo es im Gesamtinteresse sinnvoll und richtig ist. Lage und Grösse zusätzlicher Siedlungsgebiete sollen deshalb künftig nicht mehr auf kommunaler Ebene, sondern im regionalen Rahmen festgelegt werden. Um das zu erreichen, muss die Regionalplanung gestärkt und mit griffigen Instrumenten ausgestattet werden. Es wird eine der vordringlichen Aufgaben der ZPK der nächsten Jahre sein, das Bewusstsein und die Einsicht dafür bei der Bevölkerung und den Kommunalpolitikern zu fördern.

Die A4 als Politikum

Die von Befürwortern und Gegnern 30 Jahre lang mit grossem Einsatz geführte Auseinandersetzung um die geplante Autobahn A4 hat massgeblich dazu beigetragen, im Knonauer Amt das Interesse an Planungsfragen zu wecken und das Bewusstsein für die Region als Lebensraum zu stärken. Mit einem umfassenden Bericht hat eine eidgenössische Kommission unter dem Vorsitz von Nationalrat Biel in dreijähriger Arbeit von 1979 bis 1981 versucht, wissenschaftlich zu klären, ob die A4 nötig sei, und wenn ja, welche Linienführung zu bevorzugen sei. Das erarbeitete Material – im Prinzip ein Vorläufer der heutigen Umweltverträglichkeitsprüfung – war allerdings dermassen umfangreich, dass kaum jemand in der Lage war, die vielen Teilberichte zu studieren, fachlich zu würdigen und vergleichend zu beurteilen. Die Fakten sprachen eher gegen die A4; die «Kommission Biel» hat aber schliesslich politisch zu Gunsten der A4 entschieden. Der Vorstand der ZPK hatte mehrfach Gelegenheit, sich zur A4 zu äussern und hat sich – je nach personeller Zusammensetzung – mit stets knapper Mehrheit einmal für und einmal gegen die A4 ausgesprochen und damit die Stimmung der Bevölkerung gut wiedergegeben. Entscheidend für die schliesslich mehrheitliche Zustimmung zur A4 war der «Islisbergtunnel» – ein Novum in der Schweizer Autobahnplanung: Der Islisberg musste nicht als topografisches Hindernis durchquert werden, sondern wurde zum Schutz des Landschaftsbildes der Länge nach unterfahren.

Die Frage, ob die A4 gebaut werden soll oder nicht, konnte nicht auf regionaler Ebene entschieden werden. Dafür waren übergeordnete Interessen massgebend. Die Frage der Zufahrten zur A4 und wie diese gestaltet werden sollen ist hingegen ein Thema, das nur die Region betrifft und das deshalb auch in der Region bearbeitet und entschieden werden sollte. Es ist ein planerisches Trauerspiel, dass nach 30 Jahren Planung und selbst nach der Eröffnung der Autobahn immer noch über die Zufahrten zum zentralen Anschluss in Affoltern a. A. diskutiert wird und dass nicht die betroffene Region, sondern der Kantonsrat und nach einem allfälligen Referendum schliesslich das gesamte Zürcher Volk darüber entscheiden wird. Eine planerische Sachfrage wurde zum Politikum, obschon auf der Ebene der Region die sachlich richtige und regionalpolitisch realisierbare Antwort – nämlich eine Umfahrung von Ottenbach und Obfelden – längst gefunden ist.

Der öffentliche Verkehr und die Siedlungsentwicklung

Als die ZPK 1978 gegründet wurde, gab es noch keinen Taktfahrplan und weder den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) noch die S-Bahn. Der Entwurf zum ersten kantonalen Richtplan enthielt parallel zum Üetlibergtunnel der A4 auch einen Eisenbahntunnel von Wettswil nach Zürich. Diese Verbindung wurde jedoch ohne weitere Untersuchungen wieder aus dem Plan entfernt, weil sich damals niemand vorstellen konnte, dass in absehbarer Zeit ein Bedürfnis danach entstehen könnte. Der seither erfolgte massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs hat die Siedlungsentwicklung im Knonauer Amt massiv beschleunigt. Zusätzlich zum Viertelstundentakt auf der Bahnstrecke Zürich – Affoltern a. A. wurde kürzlich auch eine Buslinie vom Bezirkshauptort durch den Üetlibergtunnel zum Bahnhof Enge eingerichtet. Dieses Angebot wird rege genutzt.

Landschaft und Landwirtschaft

Trotz starker Siedlungsentwicklung ist das Knonauer Amt immer noch ländlich. Das Markenzeichen der Region ist eine reich gegliederte Kulturlandschaft, die im Wesentlichen durch die landwirtschaftliche Bewirtschaftung entstanden ist. Wie die kleinräumig strukturierten Flächen künftig bewirtschaftet werden, hat Auswirkungen für das Landschaftsbild. Gegenwärtig hat die Landwirtschaft im Knonauer Amt immer noch einen grossen Stellenwert.

Und es gibt immer noch genügend Bauern, die das Land bewirtschaften wollen und in der Landwirtschaft eine Zukunft sehen. Es ist nachvollziehbar, wenn diese sich in ihrer ohnehin schon schwierigen Ertragslage gegen weitere Schutzanordnungen zur Wehr setzen und beispielsweise Golfplätze, die ertragreiches Land der Bewirtschaftung entziehen, bekämpfen. Von den im Knonauer Amt lancierten Golfplatzprojekten konnte bisher keines verwirklicht werden. In einem Fall hat das Bundesgericht den Fruchtfolgeflächen, d. h. dem Erhalt des ackerfähigen Landes, einen höheren Stellenwert eingeräumt als dieser flächenintensiven Freizeitaktivität.

Ein Verdienst der Regionalplanung ist es, dass es im Knonauer Amt flächendeckend gelungen ist, mit Landschaftsentwicklungskonzepten und Vernetzungsprojekten zwischen den Anliegen des Natur- und Landschaftsschutzes und denjenigen der Landbewirtschafter zu vermitteln. Somit konnten Massnahmen nicht nur zum Schutz, sondern auch zur Aufwertung von Natur und Landschaft umgesetzt werden. Dazu zählen etwa Bachöffnungen, die Schaffung ökologisch wichtiger Flächen zur Vernetzung von Lebensräumen oder die Sicherung von Hochstamm-Obstgärten. Der Weg zum Erfolg führte über Anschauungsunterricht und Gespräche vor Ort sowie den Verzicht von Zwang.

Erkenntnisse aus der Regionalplanung

Raumplanung und insbesondere Regionalplanung ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Mit dem Computer können Pläne mit einer hohen Präzision erstellt werden. Die vielschichtige Wirklichkeit einer lebendigen, sich dauernd verändernden Region lässt sich damit aber nicht abbilden. Die Realität ist der Planung immer einen Schritt voraus. Die planerische Kunst besteht darin, Bilder zu vermitteln, die eine Ahnung von den komplexen Verhältnissen, in denen wir leben, wiedergeben und darüber hinaus Vorstellungen einer wünschbaren Zukunft skizzieren.

Die Erfahrungen aus dem Knonauer Amt zeigen, dass die Regionen die richtige Ebene sind, um die komplexen Fragen der Siedlungsentwicklung mit der nötigen Detailkenntnis und unter Einbezug der betroffenen Bevölkerung sachgerecht zu bearbeiten. Der Regionale Richtplan ist das dafür geeignete Instrument. Damit er diese Aufgabe aber auch richtig erfüllen kann, muss er aufgewertet werden. Die für die Raumentwicklung wesentlichen Inhalte wie die Abgrenzung des Siedlungsgebietes, die Gestaltung des darauf abgestimmten Verkehrsnetzes und die Ausstattung mit der dafür nötigen Infrastruktur sollten nicht nur auf regionaler Ebene erarbeitet, sondern auch dort festgelegt werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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