Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 04|2012
Monolithisch
db deutsche bauzeitung 04|2012

Angeschliffene Felsen

Zwei Einfamilienhäuser in Oberweningen (CH)

In einem Dorf im Züricher Unterland sind auf einem Grundstück, das für ein Haus zu groß, für zwei Häuser aber zu klein war, zwei »getrennte Doppelhälften« entstanden, wie die Architekten es nennen. Ringsum mit verzinkten und durch Ätzung modifizierten Stahlblechplatten bekleidet, ruhen die nach dem Split-Level-Prinzip organisierten Häuser als zwei autonome Volumina am Hang. Dabei ist es gelungen, die Deformation der Gebäudegestalt auch im Innern fruchtbar zu machen.

3. April 2012 - Hubertus Adam
Eine knappe halbe Stunde benötigt die S-Bahn vom Züricher Hauptbahnhof bis Schöfflisdorf-Oberweningen. Der Zug passiert zunächst das Züricher Industriequartier, dann den Stadtteil Oerlikon und bewegt sich schließlich in westlicher Richtung in die Agglomeration. Am östlichen Rand zu Füssen der Lägern, jenes Bergzugs, der sich bis nach Baden an der Limmat erstreckt, liegt Oberweningen. Der Ort ist in seinem Kern ein von Fachwerkhäusern geprägtes Bauerndorf, das seit langer Zeit durch den suburbanen Druck der nahe gelegenen Metropole sein Gesicht verändert hat und dabei mit dem Nachbardorf Schöfflisdorf untrennbar zusammengewachsen ist.

Knapp außerhalb der Dorfkernzone, und damit nicht den dort gültigen Restriktionen wie Dachüberstand, Holzsichtigkeit etc. unterworfen, war eine Parzelle frei geblieben, die eine problematische Größe besaß. Für ein Einfamilienhaus war sie zu groß, für ein klassisches Doppelhaus indes zu klein. Es hätte zu einem Ungleichgewicht zwischen den beiden Haushälften geführt, gleich ob bei einem nach Norden und Süden oder einem nach Osten und Westen ausgerichteten Gebäude.

Vom Orthogonalen zum Polygonalen

Der Bauunternehmer, dem das Grundstück gehörte, beauftragte daher das im nahen Regensberg ansässige und ihm aufgrund mehrerer gemeinsamer Projekte bekannte Architekturbüro L3P damit, Alternativen zum simplen Konzept eines Doppelhauses zu erarbeiten. Ausgangspunkt für Boris Egli von L3P war ein mehr oder minder quadratisches Gebäude mit West-Ost ausgerichtetem Satteldach. Zunächst teilte er das Volumen in der Mitte und verschob die eine Hälfte leicht nach Norden, die andere nach Süden. Um die Belichtungssituation für die beiden extrem nahe beieinanderstehenden Häuser weiter zu verbessern, wurden die Seiten angeschrägt, sodass sich keilförmige Zwischenräume ergaben. Die letzte Operation stellte die Eliminierung der Dachfirste zugunsten abgeschrägter Flächen dar, die man als geometrisch radikalisierte Variante eines Krüppelwalmdachs verstehen kann.

Zunächst beabsichtigten L3P, die beiden Häuser in Sichtbeton auszuführen. Doch dies hätte eine doppelschalige Konstruktion erzwungen – eine recht kostenintensive Lösung, die angesichts der komplexen Geometrie in Oberweningen den finanziellen Rahmen vollends überstiegen hätte. So fiel die Entscheidung, die Konstruktion des Hauses zwar in Beton zu realisieren, die Hülle aber in Stahl auszubilden. Die Architekten wünschten sich weder braunen Cortenstahl noch gleißend-spiegelnde Platten, sondern eine lebendige, je nach Witterung und Lichtverhältnissen changierende Oberfläche. Daher zogen sie den Künstler Thomas Sonderegger aus Arbon hinzu, der sich seit Langem mit der chemischen Behandlung von Metalloberflächen beschäftigt. Dieser entwickelte ein Ätzverfahren für die stehend eingesetzt, verzinkten Stahlplatten. Die Herausforderung bestand darin, eine homogene Textur zu vermeiden und dennoch ein monolithisches Gesamtbild zu erzeugen. Das ist auf das Überzeugendste gelungen: Blickt man aus der Nähe auf die einzelnen Platten, so zeigt sich ein abstraktes, überaus lebendiges Sfumato aus Blau-, Schwarz-, Weiß- und Rosttönen. Aus der Ferne indes ist der Eindruck homogen, lässt sich die eigentliche Materialität kaum erkennen. Man könnte fast an Beton denken, noch eher an Naturstein. Die eigenliche Machart der Fassaden- und Dachflächen verschwindet optisch. Die Fugen zwischen den Platten an den Fassaden sind extrem schmal, und auch die zwecks Ableitung des Regenwassers schuppenartige Überlappung auf dem Dach tritt aufgrund der minimalen Plattenstärke nicht in Erscheinung.

Als »angeschliffene Felsblöcke« unterscheiden sich die beiden Häuser von der heterogenen Bebauung ringsum, doch wirken sie nicht zuletzt aufgrund der Materialität und ihrer Farbigkeit keineswegs aufdringlich. Mag sein, dass dies wundersamerweise dazu geführt hat, dass es weder mit den örtlichen Behörden noch mit den Nachbarn Auseinandersetzungen gegeben hat. Zumindest sei das in dieser Gegend kaum als Normalfall zu werten, wundert sich selbst Boris Egli.

Treppen, Wege und Durchblicke

Mauern aus Beton trennen das Grundstück in nordsüdlicher Richtung, verhindern Einblicke und gewähren trotz geringem Abstand die gewünschte Privatheit. Im Bereich zwischen den Häusern befinden sich spiegelnde Wasserflächen, deren Reflektionen zusätzlich dazu beitragen, die jeweils gegenüberliegende Fassade zu beleben. Denn nicht zuletzt aus Brandschutzgründen ist die Fassade der Häuser dort, wo das Gegenüber Fensteröffnungen besitzt, geschlossen. Grundsätzlich sind die Häuser mit annähernd gleicher Nutzfläche symmetrisch organisiert, ohne dass dies indes sklavisch befolgt wurde. So lässt sich eher von Gleichwertigkeit als von Gleichheit sprechen.

Das nach Norden ansteigende Gelände legte eine Organisation nach dem Split-Level-Prinzip nahe. Der Hauptzugang der Gebäude erfolgt von den zur Erschließungsstraße hin leider etwas mächtig auftretenden Tiefgaragen aus. Man passiert die Kellerräume und gelangt ein halbes Geschoss höher in einen dem Hang abgerungenen Arbeitsraum, der über ein schachtartig aus dem Gelände ausgestanztes, japanisch anmutendes Atrium belichtet wird. In Gegenrichtung führt der Weg weiter zu der nach Süden orientierten Küche (im westlichen) oder dem Wohnbereich (im östlichen Gebäude). Die Treppe wechselt die Gebäudeseite und leitet empor zum Wohnbereich (im westlichen) und zur Küche (im östlichen Gebäude). Auf der obersten Ebene, unter der gefalteten Dachlandschaft, sind schließlich mit Bad und Schlafzimmern die privaten Wohnräume angeordnet.

Obwohl die einzelnen Räume nicht unbedingt üppig dimensioniert sind, ergibt sich im Innern eine erstaunliche Großzügigkeit. Verantwortlich dafür sind die vielfältigen, aufgrund des Verzichts auf ein durchgehendes Treppenhaus sich ergebenen Durchblicke zwischen den einzelnen Geschossen, aber auch die geschickte Belichtung der Hauptwohnräume über in trichterförmige Deckenausstülpungen integrierte Lichtbänder in den Dachschrägen. Formal und farblich reduziert, ohne in eine Ästhetik von Hochglanzzeitschriften abzugleiten, zeigt sich das Innere: Zum rohen Sichtbeton der Konstruktion und dem Weiß der Einbauten und – zum Teil ebenfalls von den Architekten entworfenen – Möbel und Raumteiler gesellt sich im Bereich der Nasszellen die Farbe Grün. Vertikale, in die Wände und Treppenwangen eingelassene Lichtbänder rhythmisieren darüber hinaus den Weg durch das Haus.

Während sich angesichts des zeitgenössischen Bauens in der Schweiz mitunter der Verdacht aufdrängt, ein Haus müsse partout schräge Flächen aufweisen, ist es L3P wirklich gelungen, aus der Polygonalität des Volumens auch im Innern Kapital zu schlagen und verkrampfte Partien, bei denen die Deformationen des Äußeren im Inneren keinen Widerhall finden, zu vermeiden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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