Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 04|2012
Monolithisch
db deutsche bauzeitung 04|2012

Salzberg an der Orangenküste

Firmenhauptsitz in Castellón (E)

Die einer Hügelkette nachempfundene Form verleiht dem Verwaltungsgebäude in der Nähe von Valencia Halt im Durcheinander der suburbanen Peripherie. Bedauerlicherweise von Leerstand bedroht, überzeugt der Bau durch seine außergewöhnliche Gestalt und die intelligente Nutzung der Ressourcen.

3. April 2012 - Rosa Grewe
Wie die Spitzen eines Salzbergs ragt das Dach der Grupo Azahar wenige Meter über die Baumwipfel, ein flüchtiges Bild von der Autobahn. Die Zufahrt zum Gebäude erfolgt über einen holprigen Seitenweg im Schatten der Schnellstraße vorbei an Orangenbäumen und Industriearealen. In der Peripherie zwischen felsiger Berglandschaft und der Betonskyline der spanischen Hafenstadt Castellón baute sich die Grupo Azahar, deren Betätigungsfeld vom Garten- und Landschaftsbau bis hin zur Recyclingtechnik reicht, ihren Haupsitz, eine Enklave mit Obsthainen, Pflanzhäusern und einem mit Gras umwachsenen Teich. Hier entstanden Arbeitsplätze für Ingenieure, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger Technologien beschäftigen, und Gärtner, die Pflanzen für den Landschaftsbau züchten. Auf der Suche nach der passenden Architektur lud die Firma einige ausgesuchte Architekten zum Wettbewerb, aus dem der Entwurf des Office of Arquitecture Barcelona/Carlos Ferrater als Sieger hervorging: Ferrater versteht es, die Landschaft und die Ansprüche der Firma an Funktion und Nachhaltigkeit des Gebäudes gleichermaßen zu berücksichtigen und dabei eine besondere Atmosphäre durch Licht und Raumproportionen zu schaffen.

Landmarke und Enklave

Das Gebäude bilden zwei Baukörper, die sich parallel in Ost-West-Richtung erstrecken. Ihre nach außen gewandten Seiten sind jeweils geschlossen – zwei lange Wände, gefaltet wie Papier. Sie gehen fast nahtlos in die geneigten, weißverputzten Flächen des Dachs über. Dessen bewegte Kontur wiederum zeichnet die Berge im Norden nach. Nur das reflektierte Tageslicht profiliert die Kubatur je nach Sonnenstand unterschiedlich. So entsteht für den Betrachter aus Süden und Norden aus einiger Entfernung und von Nahem ein monolithischer und auf sich bezogener Eindruck. Projektarchitektin, Núria Ayala, erläutert – die architektonische Idee nachvollziehbar: »Der Umgebung fehlt das Urbane, also haben wir einen intimen, abgeschlossenen Ort geschaffen, angenehm zum Arbeiten.« Ferrater betont zudem die tektonische Idee zum Gebäude, dessen Flächen sich wie eine Landschaft fügen und so unterschiedliche Raumerlebnisse ermöglichen: »Die Form erzeugt nicht nur verschiedene Höhen in der Kubatur, sondern auch verschiedene Ausblicke und Atmosphären im Innern des Gebäudes.«

Wer das Areal von seiner Eingangsseite im Westen betritt, dem zeigt sich das Gebäude offener und weniger massiv. Der Weg führt zwischen den Gebäudespangen in einen der beiden Höfe. Eine Holzpergola über der umlaufenden, geschosshohen Verglasung spendet Schatten. Zur Rechten und zur Linken arbeiten die Angestellten mit Blick auf den Besucher, der über den Hof zum Foyer gelangt, dem zentralen Knotenpunkt zwischen den Bürospangen.

Fliessende Räume

Im Foyer wird klar, was Ferrater mit Raumerlebnis meint: Der gläserne Eingang ist niedrig, mit dem ausgestreckten Arm lässt sich fast der Türrahmen fassen. Während im EG die Glasfassaden die angrenzenden Höfe wie Bilder rahmen, staffelt sich der Luftraum darüber in die Höhe. Nach Norden ausgerichtete Dachöffnungen erhellen das Foyer mit einem diffusen Licht, das weit auf die Deckenunterseiten streut, und geben gleichzeitig den Blick auf die Berge frei: ein sakral wirkender Raum, das Herz des Gebäudes, architektonisch wie funktional.

In den beiden Bürospangen ergeben sich von hier aus vier unabhängig voneinander bespielbare Gebäudetrakte, in denen sich jeweils ca. 10 bis 15 Arbeitsplätze befinden. Die Organisation des Grundrisses spiegelt so die der Firma mit ihren vier unabhängigen Abteilungen wider. Die gemeinschaftliche Infrastruktur, wie Besprechungsräume, Teeküche und Waschräume ist vom Foyer aus erschlossen. Darüber findet sich ein zweites Geschoss mit den Räumen der Geschäftsleitung.

Die Übergänge der Räume sind fließend und transparent: Glasinnenwände und Schwingtüren verbinden Büros, Flure und Sonderräume optisch miteinander. Panoramafenster mit fast bodenbündigen Profilen lassen den Blick ungehindert in den Hof schweifen. Auch der einheitliche Bodenbelag für Innen und Außen, ein italienischer Naturstein, wirkt schwellenlos. Dort, wo Innenwände keinen Durchblick ermöglichen, erweitern Glasoberlichter die Dachuntersicht, so bleibt die großzügige Aufweitung der Büros in der Höhe auch in den Einzelbüros erlebbar. Die Installationen liegen versteckt hinter Schrankeinbauten vor den geschlossenen Außenwänden; der Innenraum bleibt dadurch frei von sichtbarer Technik, ein klarer, luftiger Eindruck entsteht. Die Einfachheit aller Details und der nahtlose Übergang zum Freiraum veranschaulichen das Selbstverständnis der Firma, das sich auf die Nähe zur Natur und Landschaft gründet. Die auffällige Kubatur ist also kein Selbstzweck: Sie ist nicht nur Landschaftszitat, sondern schafft im Innern eine luftige Atmosphäre trotz geringer Gebäudetiefen. Die geschlossenen Wände ziehen nicht nur notwendige Grenzen im suburbanen Durcheinander, sondern sind auch klimatisch sinnvoll, die Gliederung des Gebäudes in verschiedene Trakte schafft nicht nur einen Bezug zur Landschaft, sondern unterstützt v. a. die Firmenorganisation. Mit einfacher aber unverwechselbarer Architektur schafft Ferrater eine enorme funktionale und atmosphärische Vielschichtigkeit.

WDVS am Mittelmeer

Schnörkellos, kostengünstig und pflegeleicht, so wünschte sich der Bauherr das Gebäude. Die Betonkonstruktion hat daher eine für Spanien ungewöhnliche thermische Hülle. Ein Wärmedämmverbundsystem wurde auf den Betonaußenwänden verschraubt und mit einem speziellen Putz versiegelt. Dieser ist fugenlos verarbeitet, wasserabweisend, sehr hart und durch seine glatte Oberfläche wenig schmutzanfällig. So können Fassaden und Dach einfach mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Eine hochgedämmte Fassade statt aufwendiger Klimatechnik, in Spanien ist das bei modernen Bauten keine Selbstverständlichkeit. Die thermische Hülle und die Ausrichtung des Gebäudes alleine wirken sich schon positiv auf das Raumklima aus. Dazu kommt, dass der solare Wärmeeintrag durch die Orientierung der Gebäudeöffnungen nach Innen und durch die Pergola stark verringert und gleichzeitig eine Querlüftung über die Höfe und Oberlichter möglich ist. Fensterhohe, manuell schaltbare Ventilationsöffnungen in der Glasfassade unterstützen die natürliche Lüftung. Zusätzlich planten die Architekten eine Zulufttemperierung, die in den heißen Monaten Juli und August die Räume kühlt und in den kälteren Monaten Dezember und Januar das Gebäude erwärmt. Auch bei der Tageslichtausbeute wirkt die bauliche Gestaltung unterstützend: An diesem eher bedeckten Wintertag sind nur einzelne Schreibtischleuchten notwendig, um für genügend Helligkeit in den Büros zu sorgen – dank der geringen Gebäudetiefen und der zahlreichen Glaseinbauten. Weil Wasser an der Orangenküste ein seltenes, dennoch oft verschwendetes Gut ist, planten die Ingenieure einen Teich, der Regenwasser vom Gebäude und aus dem Hof sammelt und den Toiletten und dem Garten zuführt.

Konsequente Planung als Chance

Die Grupo Azahar arbeitet viel für öffentliche Auftraggeber und ist nun schwer von der spanischen Wirtschaftskrise getroffen. 2011 musste sie bereits das Gebäude an die Bank übergeben. Nur noch wenige Angestellte arbeiten heute vor Ort. Derweil nun die Pflanzenschätze verkümmern, der Garten verwildert und vertrocknet, plant die Bank die Nachnutzung des Gebäudes. Die Stärke des Baus sollte sich in diesem Augenblick beweisen: Im Gespräch ist ein Zentrum für kleine Firmen. Prägnante Architektur, geringer Wartungsaufwand und ein Grundriss mit separierbaren Gebäudetrakten machen die Umnutzung möglich. Gute Aussichten also, dass im Salzberg an der Orangenküste die Arbeit weitergeht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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