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db deutsche bauzeitung 12|2013
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Halt und Sinnlichkeit

Hortgebäude Allenmoos II in Zürich (CH)

Mit dem Umbau und der Erweiterung eines maroden Schulpavillons zu einem Schulhort schufen Boltshauser Architekten ein gelassen ruhendes Gebäude, das unaufgeregte und großzügige Räume für bis zu 100 Kinder bietet. Ein ausgewogenes Spiel zwischen Einfachheit und Komplexität sorgt dabei sowohl für räumliche Klarheit als auch für anregende sinnliche Erfahrungen.

2. Dezember 2013 - Martin Höchst
Knapp 15 Minuten dauert die Fahrt mit der Straßenbahn vom umtriebigen Züricher Hauptbahnhof bis zum Bad Allenmoos in Zürich-Unterstrass. Kaum hat man die denkmalgeschützte Freibadanlage (Haefeli Moser Steiger, 1939) mit ihren eleganten und äußerst filigranen Überdachungen und Funktionsbauten passiert, prägt ausschließlich Wohnen das Bild der verkehrsberuhigten Straßen. Mitten durch dieses vorstädtische Quartier mit seiner lockeren zwei- bis viergeschossigen Bebauung führt ein kleiner parkartiger Grünzug. Hier, in Sichtweite zur benachbarten Volksschule und umgeben von Wohnbauten, findet sich der von Boltshauser bis Anfang 2011 grundlegend umgebaute Schulpavillon, der seither als Hort für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren dient.

Das gestreckte eingeschossige Hortgebäude (ca. 63 x 16 m) ruht ganz selbstverständlich und erdenschwer im leicht bewegten Gelände der behutsam ergänzten Grünanlage (Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich). Über die ganze Länge seines Flachdachs zieht sich ein kastenförmiges Oberlicht, das zusammen mit der Eingangsnische an der östlichen Stirnseite und den insgesamt sechs ausgesparten Wandabschnitten der Südfassade bereits einen Hinweis auf seine einhüftige innere Organisation gibt. Aufgrund der über die Geschossdecke nach oben gezogenen Fassadenflächen und geschosshohen kastenartig ausgebildeten Fenster ergibt sich ein durchgängig sehr dünner Dachrand, der in einem spannungsreichen Kontrast zur sonstigen Massivität des Gebäudes steht. Dies trägt erheblich zu seiner wohltuend abstrakten Anmutung bei: dimensionslos, ein wenig rätselhaft, archaisch. Inmitten der mehr oder weniger gelungenen Wohnbebauung ringsum behauptet es so freundlich aber bestimmt seine Sonderstellung.

Besetzt und vernachlässigt

Die souveräne Ausstrahlung des Gebäudes lässt seine bewegte Vergangenheit beinah vergessen: In den 50er Jahren als Erweiterung der benachbarten Volksschule, eher zweckmäßig als gestalterisch hochwertig, mit fünf Unterrichtsräumen errichtet, sollte es 2002 nach einem Jahr des Leerstands schließlich dem Neubau eines bis zu viergeschossigen Schulgebäudes weichen. Der Widerstand der Anrainer gegen das Projekt – durch sämtliche juristischen Instanzen hindurch – verhinderte jedoch dessen Realisierung. 2009 schließlich, nach einer zwischenzeitlichen Hausbesetzung, schrieb die Stadt Zürich in Anbetracht des steigenden Bedarfs an Hortplätzen einen Wettbewerb unter drei eingeladenen Büros zur Umnutzung und Sanierung des Pavillons aus. Boltshauser Architekten überzeugten mit ihrem Konzept, in Grundriss und Volumen des Bestands eher zurückhaltend einzugreifen. Die angedachte behutsame Sanierung entwickelte sich jedoch v. a. aufgrund der für heutige Schneelastrichtlinien zu schwach dimensionierten bestehenden Dachkonstruktion zu einem »Beinah-Neubau«. So entstand auf dem erhaltenen UG, abgesehen von ein paar verbliebenen Raumwänden, eine neue Stahlbetonkonstruktion, die den Außenkanten des Vorgängergebäudes weitgehend folgt. Lediglich nach Westen wurde das Bauvolumen um eine Raumachse verlängert und entlang der Südfassade um einen überdachten Außenbereich erweitert.

Gebrannt oder gestampft

»Ein ganz wesentlicher Punkt, der zur ungewöhnlich hohen Akzeptanz v. a. auch bei Erziehern und Eltern führt, ist die als vertraut empfundene Materialität«, so Projektleiter Daniel Christen von Boltshauser Architekten. Ton, ob gebrannt als Bekleidung aus Klinkerplatten oder als Stampflehm wie an den Stützen der Südfassade bestimmt das Äußere des Horts. Stampflehm-Fachmann Martin Rauch musste sich schon aus Kostengründen mit der Errichtung der mächtigen U-förmigen Außenstützen begnügen, die in ihren verschließbaren Nischen Freiluftspielgeräte aufnehmen. Eingelegte horizontale Reihen schmaler, leicht auskragender Klinkerplatten, deren Abstände sich von oben nach unten zunehmend verkleinern, dienen als Tropfnasen, um starke Auswaschungen des Lehms zu verhindern. Die vom Bauherrn befürchtete Beschädigung des weichen Materials durch Kinderhand hat sich bislang nicht eingestellt, vielleicht weil sich in der Betrachtung und Berührung der archaisch anmutenden Bauteile ganz unvermittelt ein gewisser Respekt einstellt.

Die von den Architekten ursprünglich gewünschte Vormauerschale der Außenwände aus dem »Kolumba-Klinker« ließ sich nicht durchsetzen. Die aufzuwendende Graue Energie und die Kosten für diesen Wandaufbau erschienen dem Bauherrn nicht angemessen. Nach vielen Diskussionen unter den Architekten aber auch mit der Stadt Zürich kam eine eigens hergestellte nur 2 cm dicke Variante des ursprünglich favorisierten Ziegels zum Einsatz, die, nicht vermauert sondern um 90° gedreht, auf die Wärmedämmung geklebt und anschließend verfugt wurde. Gerade weil auf eine Verlegung in versetzten Stoßfugen verzichtet wurde und auch die Außenecken sowohl die Materialstärke und als auch die Verarbeitung deutlich erkennbar machen, enttäuscht dieser Kompromiss nicht. Das beträchtliche Ansichtsformat der Platten von 52,8 x 10,8 cm und die sichtbaren Spuren ihrer handwerklichen Herstellung, wie leichte Verformungen und Fingerabdrücke, sowie die präzise Verarbeitung führen zu einer solch hohen Wertigkeit der Klinkerbekleidung, das sie selbst im Zusammenspiel mit den Stampflehmoberflächen zu überzeugen vermag.

Verschränkt und verbunden

Die nach innen versetzte einzige Öffnung der östlichen Stirnseite mündet im Windfang, der mit Kunst auf die kindlichen Nutzer des Gebäudes sympathisch beiläufig verweist: Ausgewählte sich teilweise überlagernde kleine Figurenumrisse – gezeichnet von Hortkindern in einem Workshop mit den Künstlern Marta Rauch-Debevec und Sebastian Rauch – wurden auf keramischen Wandfliesen verewigt und heißen nun den Eintretenden willkommen. Ein heller über 40 m langer Raum schließt sich an und macht die eigentlichen Dimensionen des Gebäudes deutlich. Bei durchschnittlich 4 m Breite herrscht dennoch nicht die Atmosphäre eines Flurs, da die Planer die vermeintlich ungünstigen Proportionen mit gut platzierten Fensteröffnungen in der Nordfassade und Aufweitungen nach Süden unter dem Oberlicht gliedern. Hier kann das zenitale Licht gar über Wandabschnitte aus Glasbausteinen in die Schul- und Betreuungsräume im Süden fallen und bietet zudem ein Spiel mit Transparenzen. So weitet und verengt sich der lange Raum, erhält mal zenitales Licht oder bietet Ausblicke und entwickelt dabei eine Aufenthaltsqualität, die der Nutzungsflexibilität im Hortalltag zugutekommt.

Die sechs großzügigen Räume entlang der Südfassade – für Unterricht sowie Hortbetreuung und ganz im Westen die professionelle Küche mit Edelstahleinbauten – werden sowohl abschnittsweise über das Oberlichtband als auch über jeweils ein beeindruckend großes (ca. 6 x 3 m) Fenster nach Süden mit Tageslicht versorgt. Mit tiefen mittelgrauen Metalllaibungen, die auch die Türflügel bündig in sich aufnehmen, gefasst und flankiert von den Stampflehmstützen des überdachten Freibereichs präsentiert sich der kleine Park wie auf einer Bühne. Wenn zudem noch der textile Sonnenschutz in Fenstergröße langsam herunter gleitet, wirkt es, als ob sich ein Bühnenvorhang nach einer Theatervorstellung senkt.

Der ockerfarbene fugenlose Lehm-Kasein-Bodenspachtel, der durchgängig auf den Estrich aufgebracht wurde, soll, ebenso wie der unbeschichtete Lehmputz – im Erschließungsbereich blau pigmentiert – zu einem gesunden Raumklima beitragen. Der Einsatz dieser ökologisch sinnvollen Materialien kostete die Architekten jedoch viel Überzeugungsarbeit. Die Robustheit der Oberflächen scheint sich bisher bewährt zu haben und zudem verleiht ihre sichtbare Handwerklichkeit dem ansonsten sehr geradlinig gestalteten Inneren eine wohltuende Dosis an »Unvorhersehbarem«. Feinsteinzeugfliesen rund um die schwarzen Waschtische der Zahnputzecken und als Bodenbelag der Küche sowie Messingleisten an den Deckenleuchten ergänzen den überraschend vielstimmigen Materialkanon der Innenräume. Und dennoch, dank sorgfältiger Platzierung und Gewichtung kann ein klares Gesamtbild entstehen.

Dreifachverglasungen, dicke Wärmedämmschichten und die kontrollierte Lüftung lassen den Totalumbau den Minergie Standard für Neubauten erreichen. Energetisch ist der Hort also bestens für die Zukunft gerüstet. Die nicht minder zukunftsfähige Gestaltung des Gebäudes, die ohne die sehr sorgfältige Detaillierung nicht zu erreichen gewesen wäre, ist dem Blick der Planer für das Beständige, das Kindern wie Erwachsenen sowohl Aneignung als auch sinnliche Erfahrung erlaubt, zu verdanken. Als öffentlich genutztes Gebäude mit überzeugend eigenständiger Architektur leistet der Schulhort von Boltshauser einen wichtigen Beitrag zur Aufwertung des ganzen Quartiers – wie schon seit 1939 das benachbarte Bad Allenmoos.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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