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db deutsche bauzeitung 12|2013
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db deutsche bauzeitung 12|2013

Heimvorteil

vorarlberg museum in Bregenz (A)

Bregenz, von den meisten Besuchern wegen seiner Seebühne als Reiseziel geschätzt und von Architekturtouristen v. a. aufgrund des Kunsthauses von Peter Zumthor besucht, ist um ein Kleinod reicher: das neue »vorarlberg museum«. Seine Architekten haben bei ihrer bislang größten Bauaufgabe erneut ihr Können unter Beweis gestellt – Alt und Neu sind in adäquater Weise miteinander verwoben und werten die städtebauliche Situation massiv auf.

2. Dezember 2013 - Christine Fritzenwallner
2008 saß Andreas Cukrowicz als Teilnehmer der Bregenzer Tri-Veranstaltung am Mittagstisch im Festspielhaus und verwies bei der Frage, welche Projekte sein Büro bearbeite, u. a. auf den gerade gewonnenen Wettbewerb für das neue Vorarlberger Landesmuseum. Eine große Bauaufgabe für ein noch junges und außer in Vorarlberg noch weitgehend unbekanntes Büro! Genau dieses gewann nun also den europaweit ausgeschriebenen, zweistufigen Wettbewerb und setzte sich gegen zahlreiche namhafte Büros durch. Fünf Jahre später haben Cukrowicz Nachbaur Architekten ihre bislang größte Bauaufgabe bravourös gemeistert. Was sie hierbei bewältigten, hat gegenüber ihren bisherigen Bauten ein deutlich stärkeres Gewicht – was sich schon allein an der medialen Aufmerksamkeit ablesen lässt, die in den vergangenen Monaten in großen Wellen über den Bodensee schwappte.

Knick in der Optik

Wettbewerbsvorgabe war, dass die Fassade des denkmalgeschützten Verwaltungsbaus der ehemaligen »Bezirkshauptmannschaft« im Norden beibehalten werden sollte, sein Kern durfte für die Umnutzung zum Museum verändert und bis zur Höhe des benachbarten Theaterturms aufgestockt werden. Das 1857 gegründete und 1905 am Kornmarkt eröffnete Landesmuseum aber, im Süden an die Rückwand des Verwaltungsbaus »geklatscht« und um 1950 unsensibel verändert, sollte abgerissen werden – für eine Weiternutzung als Museum kam es nicht mehr infrage. An seiner Stelle konnte ein Neubau entstehen. Nahezu als Einzige haben Cukrowicz Nachbaur aber bei der Erweiterung nicht wieder den Umriss des vorherigen Museums nachgezeichnet und so die vermeintliche Blockrandbebauung fortgeführt, sondern den Neubau mit einem leichten Fassadenknick angeschlossen. Auf diese Weise entstand auf dem trapezförmigen Baugrundstück keine Ecke in Form eines spitzen Winkels, die den Kornmarkt stadträumlich weiterhin von der Seepromenade isoliert hätte. Im Gegenteil: Nun öffnet sich der Platz und gibt sich bereits von der Seepromenade aus Spaziergängern zu erkennen. Dass seine schlichte und doch attraktive Außenraumgestaltung, mit drei Baumgruppeninseln und einem fugenlosen beige-gelblichen Asphalt, dabei gut zum neuen Museum, aber auch zum bestehenden Bodenbelag der Seepromenade passt, ist einer Arbeitsgemeinschaft aus Baumschlager Hutter, Hörburger, Kuëss und Vogt Landschaftsarchitekten zu verdanken.

Balanceakt

Wohl wissend nicht nur um die unglückliche städtebauliche Situation des früheren Landesmuseums, sondern auch um die differenzierte Wirkung der historischen Verwaltungsbaufassade, haben die Architekten ihren Heimvorteil gekonnt ausgespielt. Ohne dass das neue Museum nun in drei Einzelkörper zerfällt – laut Projektleiter Stefan Abbrederis planten viele Wettbewerbsteilnehmer eine klare Fuge zwischen Alt und Neu –, sind Erweiterung und Aufstockung zwar zu erkennen, verbinden sich aber mit dem Altbau v. a. farblich zu einem einheitlichen Ganzen. In vertikaler Richtung endet die von unten nach oben schlichter werdende Ausgestaltung der denkmalgeschützten Fassade bei der Aufstockung in einer neutralen, sich zurücknehmenden, ja fast kargen Fläche. Sie wirkt wie eine feine Putzfassade, besteht aber aus weiß pigmentiertem und hydrophobiertem Beton. Lediglich eine horizontale Linie, Vorsprünge, eine Fensteröffnung und zwei Inschriftenfelder akzentuieren sie in stimmig austarierten Proportionen. Die Hülle des Neubaus hingegen ist, wie auch die Altbaufassade, aufwendig plastisch gestaltet, wenngleich auf völlig andere Weise: Hier überzieht eine ornamentartige Fassadengestaltung die helle Betonhaut. Diese ist an der Eingangsfront ohne Bewegungsfugen ausgeführt, lediglich Schalungsfugen geben sich bei genauerem Hinsehen zu erkennen.

Freies Assoziieren

Was aber hat es nun mit den vielen hervorstehenden Punkten an der Erweiterung auf sich? »Sobald sich ein Besucher diese Frage stellt, hat man ihn schon gefangen«, erläutert Abbrederis. »Auf manche wirken sie wie Pudding- oder Sandkastenförmchen, auf andere wie eine Kletterwand, wiederum andere sehen Blüten und ein florales Muster darin. Die meisten kommen näher und fassen sie erst einmal an.« Tatsächlich aber sind es Abdrücke von PET-Flaschen, die die Hülle überziehen. Sie sind ein Teilbereich der Kunst am Bau, die hier glücklicherweise nicht additiv hinzugefügt, sondern stets gelungen in das Projekt integriert, ja sogar in Form eines bedruckten Baunetzes und einer temporären Ausstellung während der Baustelle in die Bauphase integriert wurde. Die ursprünglich im Wettbewerb formulierte Idee, Buchstaben an die Fassade zu applizieren, verwarfen die Architekten später zugunsten dieser, die mit Manfred Alois Mayr und Urs Beat Roth umgesetzt wurde. Die Fassadengestaltung hat nun zweierlei Bezug zum Museumsinhalt: Zum einen zeigt die Ausstellung auch römische Alltagskultur, die auch die Verzierung von Gefäßen und Tonscherben umfasst. Die Abdrücke in Form von Plastikflaschenböden sollen einen Brückenschlag in unsere Zeit bilden und, mit der Unterseite nach außen zeigend, auf das Innere verweisen. Zum anderen stehen sie durch ihre mannigfaltige Anordnung auf der Fassade für Druckstöcke, wie sie ebenfalls in der Ausstellung zu finden sind, und verweisen so auf das Textilhandwerk in Vorarlberg, früher ein großer Wirtschaftsfaktor. Dass diese beiden Interpretationen wohl von keinem Besucher erkannt werden, schadet der reizvollen Wirkung des Gebäudes jedoch nicht.

Tradition in neustem Standard

Durch die messingumrahmte Glastür – der Handgriff, der ein früheres Werkzeug abstrahiert darstellt, ist dabei das kleinste Kunst-am-Bau-Projekt –, ins Innere gelangt, findet man sich im großzügigen Foyer wieder. Hinter der Kasse fällt durch einen zum Himmel verglasten Luftraum Licht ins EG. Aufgrund seiner nackten, 23 m hohen Wände und Decke wirkt dieser »Lichthof«, der früher ein Innenhof war, jedoch recht kahl. »Wir haben die Flächen bewusst freigelassen, damit man sie für Projektionen nutzen kann«, erklärt Abbrederis. Folglich sind in die Brüstungsbereiche der Erschließungsgalerien, neben herausfahrbaren Brandschotts, Schienen und Installationsmöglichkeiten für Schweinwerfer integriert.

Hinter den Wänden des Lichthofs grenzt, für die Besucher nicht ersichtlich, im EG und 1. OG die Erschließung der Museumsverwaltung an, die im Altbau untergebracht ist. Wer in deren rückseitigem Eingangsfoyer das historische und um drei Stockwerke originalgetreu erweiterte Treppenhaus bewundern kann, mag vielleicht erstaunt sein, dass dieses Kleinod mit seiner hübschen Verglasung nicht für alle offensichtlich in den Lichthof eingebunden werden konnte. Stattdessen ist immerhin in der Ausstellung noch ein Stück vom Altbau erlebbar: Die Schotten zwischen den früheren Bürotüröffnungen konnten aus statischen Gründen nicht entfernt werden, folglich ist die alte Tragstruktur nun in den Ausstellungsbereich im 2. OG integriert. In dieser Ausstellungsebene finden sich, merkwürdig abstandslos in alphabetischer Reihenfolge aneinandergereiht, Kunstobjekt-Gruppen wie z. B. Architekturmodelle, Heiligenfiguren, Trachtenhauben oder Schwertknäufe (Bereich »buchstäblich vorarlberg«).

Ungeachtet dessen wirkt die Materialität und ihre Zusammenstellung in sämtlichen Bereichen sehr stimmig und exquisit, und das nicht nur optisch: Ein beige-brauner, 3 cm dicker, doppelt geglätteter Lehmputz, in sieben Arbeitsgängen aufgebracht, fühlt sich nicht nur haptisch gut an, er führt durch seine hygroskopische Wirkung v. a. auch zu konstantem Innenraumklima – ein Drittel der Gebäudelüftungstechnik konnte so eingespart werden, wie Simulationen im Vorfeld ergaben. Weitere Energieeffizienzmaßnahmen resultieren aus den Erdsonden, die über einen Solekreislauf und mittels Wärmepumpe die Bauteilaktivierung regulieren, und der eingesetzten Passivhaushaus-Bauweise. Des Weiteren bestimmt massives Eichenholz (sägerau als Fußbodenbelag, geräuchert bei Mobiliar oder bei Wand- und Deckenbekleidung in den Tagungsräumen der »bel étage«) die wohlige, farblich gedämpfte Atmosphäre, ebenso wie Messingbeschläge oder der fugenlose Bitumenterrazzo im Foyer. Dass trotz all dieser hochwertigen Materialien und ihrer hohen handwerklichen Umsetzung die Baukosten vermutlich (die Schlussrechnung steht noch aus) rund 2 Mio. Euro unter dem Budget bleiben konnten, ohne dass die Architekten Abstriche im Entwurf hinnehmen mussten, scheint fast wie ein Wunder.

Ausblicke und Einblicke

Die überwiegende Dunkelheit bzw. Introvertiertheit in den Ausstellungsbereichen von Vorarlbergs neuer Schatzkammer mag bedauerlich sein und in der Natur der Sache liegen. Wo aber Fensteröffnungen den Blick nach draußen gewähren – vom Tagungsraum im 1. OG über die großen Fensteröffnungen im Brigantium-Bereich (»Römer oder so«, 3. OG) und bei der »akustischen Reise durch Vorarlberg (»Sein und mein«, 4. OG) bis hin zur Verglasung im Treppenhaus –, sind sie wohlakzentuiert und proportioniert. Am überwältigendsten Panoramafenster indes läuft man zwischen den beiden Ausstellungsbereichen im obersten Geschoss fast vorbei, sofern die Aufseher nicht freundlich die Tür öffnen und zum Eintreten einladen: in einen komplett mit schwarzem Filz und Teppichboden ausgekleideten, dem Balg einer alten Kamera nachempfundenen Raum. Er ist wiederum eine Kunst-am-Bau-Idee, die der Wiener Künstler Florian Pumhösl zusammen mit den Architekten verwirklicht hat. Nichts, aber auch nichts, lenkt hier vom eigentlichen Kunstwerk ab: dem Bodensee und seiner Umgebung. Nur mit einer riesigen Fensteröffnung und einer Sitzbank versehen, kann man sich folglich ungestört am Blick auf das größte Ausstellungsstück des Museums berauschen. Einen gelungeneren »Abschluss« hätte man nicht finden können. Chapeau!

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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