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db deutsche bauzeitung 12|2013
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db deutsche bauzeitung 12|2013

Rückbesinnung auf das Elementare

Bürogebäude in Lustenau (A)

Wenn Architekten für sich selbst bauen, entsteht viel planerischer Freiraum. Beim Büroneubau in Lustenau von und für baumschlager eberle wurde die Gelegenheit genutzt, ein Haus zu entwickeln, das ohne Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik auskommt. Wohltemperierte Innenräume entstehen ausschließlich durch die elementaren Mittel der Architektur, wie z. B. 76 cm dicke Außenwände. Hinzu kommt eine Software, die die vorhandenen Energieströme effizient steuert – ganz ohne die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts geht es also auch hier nicht.

2. Dezember 2013 - Barbara Mäurle
In großen, bronzefarbenen Lettern prangen die Ziffern »2226« rechts neben dem Eingang. Hierbei handelt es sich keineswegs um die Hausnummer, wie man vielleicht zunächst vermuten mag, sondern um den Namen des Gebäudes. Dieser bezieht sich auf die weltweit anerkannte Wohlfühltemperatur von 22-26 °C. Damit verleihen die Architekten bereits vor dem Betreten des Hauses ihrer Haltung Ausdruck, dass v. a. der Mensch und sein Wohlempfinden im Mittelpunkt ihrer Planung stand.

Nähert man sich dem frei stehenden, sechsstöckigen Solitär, fallen bereits von Weitem die tiefen Fensterlaibungen auf. Ein Baudetail, das dem Betrachter höchstens von mittelalterlichen Burgen und Schlössern, jedoch kaum aus modernen Gewerbegebieten bekannt vorkommt. Eingänge, gekennzeichnet anhand der zu Beginn beschriebenen bronzenen Ziffern, gibt es gleich vier – einen in jede Himmelsrichtung, jeweils im zweiten von fünf Fensterachsen angeordnet. Hier entstand die erste (und einzige) Verwirrung beim Besuch vor Ort: von der »richtigen« Seite ins Architekturbüro zu gelangen.

Viel Platz für das Raumprogramm

Trennwände in klassischer Trockenbauweise gibt es nicht. Massive, 24 cm dicke Innenwände aus Ziegel zonieren das Raumprogramm, das aus einer Cafeteria sowie Galerie im EG und Büroflächen in den oberen Geschossen besteht. Wobei auch kleinere Wohneinheiten im noch nicht komplett vermieteten Gebäude für die Planer denkbar sind. Die windmühlenflügelartig angelegten massiven Innenwände begrenzen zwei Treppenhäuser (eines davon als Fluchtweg konzipiert), die sanitären Anlagen bzw. die Spülküche und einen wahrlich winzigen Technikraum. Auf diese Weise entstanden auf jedem Stockwerk vier Großraumbüros (bzw. Flächen für Galerie und Cafeteria), die, wo gewünscht, durch 1,2 bis 1,8 m breite und 3,36 bis 4,21 m raumhohe Glastüren voneinander getrennt werden können. Sind diese durchaus imposanten Türen über ein Drehscharnier im Boden geöffnet, entstehen ansprechende Blickbeziehungen durch das gesamte Gebäude. Dazu tragen die generell als angenehm empfundenen großzügigen Raumhöhen von rund 4,21 im EG und 3,36 m in den oberen Etagen bei. Viel Lichteinfall gewähren die bis zur Decke reichenden und rund 1,15 m breiten Fenster, die alle über seitliche, 40 cm breite Lüftungsklappen verfügen. Die tiefen Fensterlaibungen auf der Fassadenseite bieten je nach Sonnenstand die benötigte Verschattung, damit sich das Gebäude im Sommer nicht aufheizt.

Weniger Energie mit weniger Technik

Im Laufe ihrer nun mehr seit 28 Jahren anhaltenden Bürohistorie hat baumschlager eberle unterschiedliche Konstruktionsweisen umgesetzt. »2226« stellt für sie eine Rückbesinnung auf die elementaren Mittel der Architektur dar. Die Gründe für diesen Schritt werden folgendermaßen beschrieben: »Gebäude brauchen immer weniger Energie, der Aufwand für diese Reduktion wird durch ihren Unterhalt und ihre Wartung immer höher. Die gegenwärtigen Versprechungen vom Haus als Kraftwerk erinnern stark an die nie erfüllten Verheißungen der Moderne, Störfaktor in der Leistungsbilanz der heilen Welt ist nur noch der Mensch. In Lustenau ging es konkret darum, sinnvolle Zusammenhänge für den Nutzer zu finden, nicht aber die Natur durch eine technische Umwelt zu ersetzen.«

Das wichtigste »elementare Mittel der Architektur« von 2226 sind sicherlich die Außenwände. Die Wanddicke beträgt insgesamt beachtliche 76 cm. Diese teilt sich auf in ein 36 cm dickes tragendes und ein 36 cm dickes wärmedämmendes Ziegelmauerwerk. Zu dieser massiven Konstruktion kommen 8 mm gelöschter Kalkputz (außen) und 20 mm Innenputz (bestehend aus 15 mm Kalkzement-Grundputz und 5 mm Kalkputz als Spachtelung). Die massive Hülle nimmt bei Tag Wärme langsam auf, speichert sie und gibt sie bei Nacht nach und nach an den Innenraum wieder ab. Die Drehung des Baukörpers mit seinen tiefen Fensterlaibungen reduziert dazu den Wärmeeintrag. Die Abwärme von Mensch, Computer und insbesondere der Beleuchtung sind weitere Energielieferanten, deren Ströme durch eine Software gesteuert werden. Für das jeweils zur Jahreszeit passende behagliche Raumklima sorgen die mit Sensoren ausgestatteten Lüftungsflügel. Bei niedrigen Außentemperaturen öffnen sich Klappen mit einem Ausstellungshub von 20 cm erst dann, wenn der CO2-Gehalt der Raumluft über ein festgelegtes Maß steigt; bei sommerlicher Hitze erfolgt die Frischluftzufuhr automatisiert in der Nacht. Zu einer hohen Nutzerfreundlichkeit zählte außerdem, dass sich die Technik (Software) manuell und selbsterklärend bedienen lässt. Der »Technikraum« ist auf jeder Etage nur rund 0,5 m² groß, in ihm sucht man Heizkessel, Wärmepumpe & Co vergeblich.

Die Qualität steckt im Detail

Ein schlichter Quader, dicke Wände, hohe Räume, viel Licht und wenig Technik – die Summe dieser Faktoren reicht noch nicht aus, um aus einem solide gebauten Bauwerk qualitätsvolle Architektur zu machen. Die Liebe zur Gestaltung steckt in Lustenau v. a. im Detail: So würde die Gebäudehülle ohne die spannungsreichen Fassadenvor- und -rücksprünge auf allen vier Seiten in ihrer stoischen Symmetrie (wahrscheinlich) langweilig wirken. Durch zurückhaltende Vor- und Rücksprünge wirkt das Haus jedoch kraftvoll und einzigartig in seinem Umfeld. Der traditionelle, gelöschte Kalkputz aus der Region hebt diese Eigenschaften durch seine weiße, unregelmäßige Struktur zusätzlich hervor. Im Inneren ist es der konsequent in allen Räumen eingesetzte Anhydrit-Fließestrich, der begeistert. Um die homogenen Oberflächen nicht zu unterbrechen, gibt es z. B. keine Kabelauslässe im Boden. Gilt es Arbeitsplätze oder Kaffeemaschinen mit Strom zu versorgen, werden Löcher in den Boden gebohrt. Im Luftraum einer darunterliegenden Vollholzschalung lassen sich die Kabel zum Versorgungsschacht führen, der immer längs der Innenwände mit einer 30 cm breiten und bündig mit dem Boden abschließenden Holzabdeckung angeordnet ist. Bohrt man einen Auslass an der falschen Stelle oder hat Umstrukturierungen im Sinn, lassen sich die gebohrten Zugänge ohne sichtbare Rückstände wieder verschließen.

Intelligent gelöst wurden außerdem die brandschutztechnischen Maßnahmen: Die Brandschutztüren rund um das Fluchttreppenhaus sind unsichtbar in die Innenwände mittig integriert. Nur ein flächenbündig mit den Wänden abschließender schwarzer Rahmen, der die Gebäudeproportionen eher hervorhebt als stört, ist sichtbar, wenn die feuerhemmenden Bauelemente eingefahren sind. Die Ausstattung der Cafeteria sowie einige Büromöbel entwarfen die Architekten selbst; sie passen in ihrer Robustheit entsprechend gut zur Architektur. Die riesigen silbernen Lampenschirme mit knallroten Reflexionsflächen im Innern stammen als »Kunst am Bau« vom Designer Ingo Maurer. Will man zumindest etwas Kritik üben, ist es die Raumakustik: Ausschließlich schallharte Oberflächen machen zuweilen den Gesprächspartner schwer verständlich.

Die gestalterische Sorgfalt vom Innenraum spiegelt sich bei den Außenanlagen wider. Die ohne Begrenzungen auskommenden Parkplatz- und Gehflächen wurden nicht versiegelt, sondern mit hellem Kies bedeckt. Als ein schöner Nebeneffekt erweist sich die hohe Reflexion des Sonnenlichts, die den Wärmeeintrag ins Gebäude weiter erhöht. Das lang gestreckte bodenbündig eingelassene Wasserbecken sowie die versetzt angeordneten Baumreihen wirken streng sowie elegant zugleich und strukturieren die nähere Umgebung.

Durch Reduktion Mehrwert geschaffen

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Wie diese in der gebauten Realität aussehen kann, zeigt der Neubau 2226 im österreichischen Lustenau, gleich hinter der deutschen Grenze. Im Prinzip kann dort nichts kaputtgehen — die beste Voraussetzung für ein langes Gebäudeleben ohne nennenswerte Wartungs- und Unterhaltskosten. An der Software gilt es noch Feinjustierungen vorzunehmen – aber dies hat sich bestimmt nach den ersten Herbst- und Wintertagen eingespielt. Hitze erprobt ist das Gebäude bereits jetzt. Es wurde diesen Sommer bezogen und weist seither konstant angenehme Innenraumtemperaturen zwischen 22 und 26 °C auf.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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