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Korkanzug

»Korkenzieherhaus« in Berlin-Staaken

Alle Anstrengungen, ein Einfamilienhaus recycelbar und aus möglichst naturnahen Materialien zu bauen, müssen zwangsläufig wie Greenwashing wirken. Doch wer, wenn nicht ein privater Bauherr, kann auf den Pioniergeist junger Architekten vertrauen, den Boden für Experimente bereiten und so die Anwendung außergewöhnlicher Techniken wie z. B. Korkplatten als Fassadenbekleidung voranbringen?

12. November 2019 - Jürgen Tietz
Im Umfeld einer in die Jahre gekommenen, von gestalterischer Selbstbestimmung geprägten »Wildschweinsiedlung« am Rand der großen Stadt steht das Korkhaus als freundlicher Alien unter lauter anderen Einfamilienhäusern. Mit seinen regenerativen Baumaterialien Kork und Holz, einem ambitionierten Energiekonzept und der kubisch-reduzierten Gestaltung samt Schrägdach hält es seinen mal besäulten, mal etwas angeschmuddelten Nachbarn den Spiegel vor. Charmant zeigt es ihnen dabei auf, was architektonisch bei der Bauaufgabe so alles denkbar wäre, ohne sich zugleich exaltiert über die Nachbarn zu erheben. Das Korkenzieherhaus macht damit genau das, was gute Architektur immer tun sollte: Mit ihm loten die beiden jungen Architekten Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce mit ihrem Büro rundzwei in Grundriss, Form und Material die Möglichkeiten von Bauaufgabe und Budget aus. Ihren selbstgestellten Grundsatz der unbedingten Nachhaltigkeit beim Bauen im Sinne des Cradle-to-Cradle-Ansatzes, behalten sie dabei konsequent im Blick.

Das Maximum herausgeholt

Den Anstoß zu dem planungsintensiven Einfamilienhaus in Berlin gab der Zufall. Auf einer Bahnfahrt kam Marc Dufour-Feronce mit seiner künftigen Bauherrin ins Gespräch. Man traf sich wieder und das in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Vorhaben konnte seinen Lauf nehmen. Ungewöhnlich ist nicht nur das Fassadenmaterial. Ungewöhnlich waren auch die Knackpunkte der Bauaufgabe, nämlich die Forderung der Bauherrin, das Haus bei Bedarf in zwei unabhängig voneinander erschließbare Einheiten unterteilen zu können. Ein Wunsch, der noch relativ einfach in die Grundrissentwicklung zu integrieren war. Die über dem Gebäudesockel liegenden kleineren Räume sind teilweise untereinander verbunden und können auch als Studio-Apartments genutzt werden, ein separater Eingang ist mit eingeplant.

Eine weitaus größere Herausforderung war es für die Architekten, auf UG, EG und DG eine Wohnfläche von über 300 m² unterzubringen. Und das, ohne dass man sich dabei im UG wie im Keller fühlt. Möglich wurde das nur, indem die Zitrone des Baurechts von den Architekten hinsichtlich Kelleranhebung und Dachausformung soweit ausgequetscht wurde, bis sie keinen weiteren Saft mehr geben konnte. So lugt der »Keller« nun über den Boden hinaus und wurde zum Wohngeschoss. Hinzu kam die innere Raumorganisation des Hauses anhand von Split-Levels, die sich um den zentralen Erschließungskern des Treppenhauses nach oben schrauben. Das sieht reizvoll aus und erinnert an eine Art zeitgenössische Mischung aus Loos’schem Raumplan und Scharoun’schem organischem Bauen. Im Fertigstellungsjahr 2019 passt das eigentlich hübsch als zeitgenössisches Korrektiv zur Quadratur des Bauhausjubiläums.

Der Außenpool ist eingetieft und dadurch vor den Blicken der Nachbarn geschützt. Wie das gesamte UG wird er durch Wände aus grobem Stampfbeton eingefasst, die ihre schichtweise Entstehung zur Schau tragen – eine Reminiszenz an die Berliner Tradition des Kellergeschossbaus, erläutert Dufour-Feronce.

Um das ambitionierte Raumprogramm zu verwirklichen, reicht das Haus nun also tief in die Erde hinab. Darüber aber schwebt es, ganz Kind ­einer leichten Moderne, mit einem gläsernen Sockelgeschoss empor. Darüber schließt sich das mit hochrechteckigen Korkplatten bekleidete OG an. Es mündet in eine scharfkantige, kronenartige Dachlandschaft mit vier Giebelfeldern. Dort, wo sich die Satteldachflächen in der Mitte des Hauses verschneiden, haben die Architekten ein zentrales Oberlicht platziert. Es versorgt das innen liegende Treppenhaus mit Tageslicht.

Betreten dürfen wir das Korkenzieherhaus leider nicht. Zu unerfreulich waren die Erfahrungen, die die Bauherrin mit allzu schaulustigen Architekturliebhabern bereits gemacht hat. So muss sich das Erlebnis der spiralartig – korkenzieherartig – hochwindenden Raumstruktur der Holzkonstruktion des Hauses auf die Erläuterungen von Marc Dufour-Feronce im Büro von rundzwei Architekten in Charlottenburg beschränken. Gleich um die Ecke steht die Alma Mater der beiden Architekten, die TU-Berlin. Während Reeg nach ­seinem Diplom bei ACME in London und bei Herzog & de Meuron internationale Erfahrungen sammelte, arbeitete Dufour-Feronce ebenfalls zunächst bei ACME und anschließend bei LAB Architecture Studio.

Weitgehend rückbaubar

Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, dem sich die Architekten programmatisch verschrieben haben, beißt sich gemäß der reinen Lehre freilich kräftig mit der Bauaufgabe eines Einfamilienhauses. Bei einer Wohnfläche von rund 300 m² für drei Personen sowie Außenpool bekommt das Konzept zusätzliche Schlagseite.

Nun ist die reine Lehre das eine, die normative Kraft der faktischen Forderungen der Bauherrschaft das andere. Daher lohnt trotz dieser Einschränkung der Blick auf die nachhaltigen Bemühungen der Architekten, mit einem weitgehend vorfabrizierten Holzbau und dem Energiekonzept mit Erdspeicherheizung, Bauteilaktivierung, Photovoltaik sowie Solarthermieanlage auf dem Carport.

Das Gebäudeinnere ist bestimmt vom Dreiklang aus Ortbetonböden im EG (mit Estrichspachtel behandelt und mit grauem Silikatanstrich versehen), Holzflächen aus mit Natur-Öl behandelter Fichte (Bekleidungen der Holzbalkendecken, Fensterrahmen, Leimholzstufen und Pflasterparkett in den OGs) und offenporigen, mit einer natürlichen weißen Silikatfarbe beschichteten Gipsfaserplatten als Wandbekleidungen, die fast ebenso viel Feuchtigkeit aufnehmen können wie Lehmputzplatten. Wo irgend möglich haben die Architekten auf mechanische Befestigungstechniken zurückgegriffen, um auf Bauschäume und Kleber verzichten zu können – auf dem lösungsmittelfreien ­Parkettkleber auf Acrylbasis prangt immerhin ein Öko-Siegel.

Hinzu kommt schließlich das nicht nur in Berlin bisher ungewöhnliche Fassadenmaterial aus 14 cm dicken Korkfassadenplatten. Sie sind direkt auf die darunter liegenden Holzfaserplatten montiert, die dem Holzrahmen mit Zelluloseeinblas- und Holzfaserstopfdämmung aufliegen.

Die Idee für die Fassade aus Kork hat eine Mitarbeiterin aus Portugal mitgebracht, erzählt Dufour-Feronce. Das nachwachsende Naturmaterial, mit seinen markanten mal helleren, mal dunkleren Farbnuancen und der leicht reliefartigen Oberflächentextur, wird dort alle paar Jahre von den Stämmen der Korkeichen geschält. Längst dient es nicht mehr nur zum Verschließen von Weinflaschen oder als Fußbodenbelag. Es findet seinen Einsatz u. a. in der Industrie, denn es dämmt Geräusche und Vibrationen, kommt ohne chemische Zusatzstoffe oder Kleber aus und gilt darüber hinaus als wasserabweisend, feuerbeständig und strapazierfähig. Also der ideale Ersatz für die wenig geliebten und wenig nachhaltigen Wärmedämmverbundsysteme, mit denen Land auf Land ab immer noch zahllose Häuser eingepackt werden? Die Hersteller aus Portugal scheinen davon fest überzeugt zu sein, berichten die Architekten, die sich von der Faszination für das Material haben anstecken lassen. Immerhin gibt der Hersteller 20 Jahre Garantie auf die Haltbarkeit des Materials, das im Lauf der Zeit eine helle Patina entwickelt. Im Übrigen gibt es keinerlei Mangel an Kork – dahingehende Behauptungen gehören in den Bereich der Gerüchte.

Die maximale Größe der Platten von 100 x 50 cm ergibt sich aus der Größe der Presse, in der die zunächst zu Granulat verarbeiteten Stücke der Baumrinde – mitunter Abfall aus der Flaschenkorkenproduktion – unter Druck und Wärme ihre Form erhalten.

Dabei treten enthaltene Harze aus, die die Korkkörner untereinander verbinden und dafür sorgen, dass die Platten ohne weitere chemische Zusätze verbaubar sind und sogar schimmelresistent bleiben.

An der Fassade sind die Platten dann in einem Falz-System befestigt. An den Dachkanten wurden sie auf Gehrung geschnitten, um einen möglichst scharfkantigen Dachabschluss zu erzeugen. Der wird auch nicht durch Regenrinnen gestört, da innenliegende Fallrohre das Regenwasser abführen. Generell ist bei der Verwendung von Korkdämmung mit einem Kostenplus von rund 15 % gegenüber WDVS zu rechnen. Beim Staakener Haus kam man sogar auf 50 % – der speziellen Detailausbildung und der scharfen Kanten wegen.

Von einem internationalen Kork-Hype sollte man vielleicht noch nicht sprechen. Gleichwohl findet sich das vollständig recycelbare Naturmaterial nicht nur am Berliner Korkenzieherhaus. Gleich eine ganze Reihe ambitionierter Projekte experimentieren derzeit damit. Dazu zählt auch das Cork-House im englischen Berkshire von Matthew Barnett Howland mit Dido Milne und Oliver Wilton. In Zusammenarbeit u. a. mit der Bartlett School of Architectur entwickelt, wird das Material dort massiv verwendet. Und Jaspar Morrison hat just eine eigene Kork-Möbel-Linie entwickelt. Wenngleich feuerfest wird sich in den nächsten Jahren zeigen, inwieweit der Funke der Faszination für das Naturmaterial auch auf weitere Bauprojekte überspringt. Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich Dauerhaftigkeit und Patina darstellen werden. Das Korkenzieherhaus bietet dafür jedenfalls eine anschauliche Referenz.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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