Welchen Status hat die Architekturfotografie heute? Einerseits sorgen die Bilder für die massenhafte mediale Verbreitung von Bauwerken. Andererseits schaffen die Fotografinnen und Fotografen durch ihre Haltung, ihre Interessen und ihren Stil sehr individuelle Bilder dieser gebauten Wirklichkeit. Sie erzählen eigene Geschichten der Gebäude, entscheiden, ob sie diese belebt oder unbelebt in Szene setzen, inszeniert oder naturalistisch, mit oder ohne Kontext, als Neubau oder im Gebrauch. Welche Auswirkung hat dieser fotografische Blick auf die Vermittlung der Gebäude und ihrer Architekten? Viele Architekten verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit einzelnen Fotografen. Wie stark prägen mögliche Bilder schon den Entwurf? Welche Bilder schaffen Aufmerksamkeit, welche neue Blickwinkel?
Gerade in Zeiten der Bilderflut, in der sich Fotos und Renderings scheinbar kaum mehr unterscheiden lassen, holt die Publikation den Beitrag der Architekturfotografie vor den Vorhang und ermöglicht gleichzeitig einen Blick hinter die Kulissen. In acht bildreichen Kapiteln werden die Beziehungen zwischen Architektur und Fotografie einem Sichtwechsel unterzogen. Die unterschiedlichen Positionen treten dabei in einen spannungsvollen Dialog. Erkenntnisgewinn und Schauvergnügen gehen Hand in Hand.
Presseschau
Auf den dritten Blick
Zwischen Eyecatcher-Zwang und überraschenden Blickwinkeln, Kunstform und PR, Komplizenschaft und Kritik: Das Verhältnis von Architekturfotografie und Architektur ist so untrennbar wie komplex. Eine Buchpublikation bringt jetzt Klarheit.
Die Fotografie ist heute keine einsame Profession mehr. Was sich einst mit ikonischen Einzelstücken behauptete, muss sich heute gegen die weltweite Online-Bilderflut stemmen. 2003 taten sich einige österreichische Fotografen zusammen und gründeten die Interessengemeinschaft IG Architekturfotografie. Was aus wirtschaftlicher Notwendigkeit entstand, ist gleichzeitig ein Abbild einer selbstbewussten, auf hohem Niveau operierenden Szene. In der jetzt erscheinenden Buchpublikation Vom Nutzen der Architekturfotografie wird das eigene Tun mit reichhaltigen Bildbeweisen untersucht.
Im Round-Table-Gespräch mit dem Standard erklären die Fotografen Pez Hejduk, Hertha Hurnaus und Stefan Oláh und die Buchmacherinnen Angelika Fitz und Gabriele Lenz, warum wir Architekturfotografie brauchen, in welchem Verhältnis sie zur Architektur steht und ob Menschen und Tiere nun ins Bild gehören oder nicht.
Standard: Bücher mit Architekturfotografien sind üblicherweise auf pure Ästhetik setzende Coffee-Table-Books. Auch dieses ist voller Bilder, kommt aber eher daher wie eine Handreichung. Was für eine Absicht steckt dahinter?
Fitz: Ohne Architekturfotografie gibt es keine Architekturgeschichte. Denn es geht ja um viel mehr, als nur ein Gebäude abzubilden. Die Fotografie zeigt, was mit der Architektur passiert, unter welchen Bedingungen sie entsteht. Sie ist kein passives Medium, sondern ein aktiver Beitrag zur Architekturgeschichte. Der Begriff des „Nutzens“ hält das Buch zusammen: Wie wird die abgebildete Architektur gebraucht, und wie werden die Bilder selbst genutzt. Unser Anspruch war also nicht weniger, als ein Standardwerk zur Architekturfotografie zu machen. Denn erstaunlicherweise gibt es so etwas noch nicht.
Lenz: Die Verbindung zwischen Fotografie, Architektur und Buch ist am Bauhaus entstanden, mit László Moholy-Nagy. Damals war es nicht üblich, Fotografien in Büchern zu zeigen, weil das als etwas rein Journalistisches galt. Später hat sich Le Corbusier – ein großer Selbstvermarkter – intensiv mit der Inszenierung durch Fotografie beschäftigt.
Oláh: Es war uns auch als IG Architekturfotografie wichtig, etwas Mutiges zu machen und nicht eine Werkschau, in der jeder seine fünf besten Fotos beisteuert.
Hejduk: Es sollte auch kein Best-of der Architektur sein. Dann wäre es wirklich ein Couchtisch-Buch geworden. Es geht explizit um das ungeklärte Verhältnis zwischen Fotografie und Architektur.
Hurnaus: Dadurch lassen sich wiederum die Grenzen ausloten, an denen Architektur anfängt. Deshalb ist im Buch die ganze Bandbreite von anonymer Architektur bis zu Bauten von Herzog & de Meuron enthalten.
Standard: Vor zwölf Jahren wurde die IG Architekturfotografie gegründet. Was war der Impuls dafür?
Hejduk: Es ging vor allem um Rechtsfragen – leider, denn man kann sich seine Zeit auch schöner vertreiben. Es war damals so, dass Publikationshonorare bei Verlagen zusehends abgeschafft wurden und das Internet mit seiner Gratismentalität immer stärker wurde. Es gab sehr viele Unklarheiten. Heute hat sich die Sachlage beruhigt, was gut ist, denn wir wollen ein Miteinander.
Oláh: Das Positive ist: Weil es heute niemanden mehr gibt, der auf unserem Niveau arbeitet und zugleich seine Bilder und die Rechte herschenkt, etabliert sich auch ein Bewusstsein für Qualität.
Standard: Die Aufklärungskampagne hat gewirkt. Die Architekten beneiden heute die Fotografen um ihre Durchsetzungskraft.
Fitz: Und genau weil die Fotografen das Bewusstsein für Nutzungsrechte geschärft haben, war es wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu setzen: die Architekturfotografie als kulturelle Praxis zu betonen. Das ist „Nutzen“ auf einer anderen Ebene.
Hejduk: Auf der einen Seite wollen die Architekten so viel wie möglich visuell präsent sein. Auf der anderen Seite sind wir ein Luxussegment. Man kann auch bauen, ohne es fotografisch zu dokumentieren.
Standard: Trotzdem werben Architekten vor allem mit Bildern – und das, dank Internet, mehr als je zuvor.
Hejduk: Schon. Aber wie viele Architekturbüros wirklich professionell fotografieren lassen, das steht in keiner Relation.
Fitz: Ich finde es erstaunlich, wenn Architekten sich die Chance auf den dritten Blick entgehen lassen. Auch wenn es Auftragsfotografie ist, ist es nie Propaganda, sondern eine neue Sichtweise. Die Architekturfotografie war schon immer Komplizin und Kritikerin, und meistens ist sie im selben Foto beides.
Standard: Um auf den Buchtitel zurückzukommen: Was ist der Nutzen der Architekturfotografie?
Hejduk: Ganz einfach: Ich liebe diesen Beruf. Eigentlich fotografiere ich immer für mich selbst. Aber wir bewahren in unseren Archiven auch Zeitdokumente auf. Ein Archiv zu führen ist viel Arbeit, das füllt Terabytes und Aktenschränke voll mit analogem Material. Wenn man dann zehn Jahre später hineinschaut, hat man einen anderen Blick und entdeckt Sachen wieder neu.
Oláh: Für mich zählt der Wille zum Suchen und Entdecken. Das Spüren ist neben dem Sehen das Wichtigste – die Frage, wie gern man sich in einem Raum aufhält. Den gesellschaftlichen Mehrwert bekommen Bilder oft erst, wenn die Gebäude, die sie darstellen, nicht mehr existieren. Darüber denkt man aber bei der Arbeit nicht nach.
Fitz: Für mich als Nutzerin liegt der Wert darin, dass ich auf den Fotos etwas sehe, das ich nicht wahrnehme, wenn ich selbst hingehe.
Standard: Was macht man, wenn man ein Gebäude fotografieren soll, das man einfach schlecht findet?
Hurnaus: Den persönlichen Geschmack kann man zuerst einmal zurücknehmen. Man filtert durch spezifische Ausschnitte eine Essenz heraus und zeigt dadurch Aspekte, die im ersten Gesamteindruck gar nicht wahrgenommen werden.
Oláh: Das Fotografieren ist ein visuelles Aufräumen in der Unordnung der Welt.
Standard: Es ist ein altbekanntes Klischee, dass Architekten keine Menschen in ihren Bildern haben wollen. Trifft das noch zu?
Hurnaus: Das war früher tatsächlich so. Die jüngere Architektengeneration will aber stärker belebte Bilder. Als Fotografin ist es eine intuitive Entscheidung. Wenn der Mensch sich zu sehr in den Vordergrund drängt und man als Erstes darauf schaut, was der anhat, finde ich das schwierig. Aber grundsätzlich können Menschen im Bild den Maßstab der Architektur verdeutlichen.
Oláh: Das hat auch mit der Technik zu tun. Mit den Kameras, die wir vor 20 Jahren hatten, war es viel schwieriger, einen Menschen scharf ins Bild zu bekommen.
Fitz: Wir zeigen im Buch auch Beispiele, in denen neue Räume so fotografiert werden, dass sie nicht steril ausschauen, sondern dass man ihr Potenzial erkennt, das Warten auf den Ansturm des Lebens. Auch brandneue Gebäude können von Nutzung erzählen.
Standard: Manche Architekten blenden gerne die Umgebung ihrer Gebäude aus. Als Fotograf kann man den Kontext wieder hineinholen.
Hurnaus: Es ist eine Frage des Zeitaufwands: Je länger man sich mit einem Gebäude auseinandersetzen kann, umso mehr nimmt man auch das Umfeld wahr, und so entstehen umfangreichere und interessantere Dokumentationen.
Hejduk: Es gibt Auftraggeber, die das Umfeld nicht gerne im Bild haben. Da wird schon mal verlangt, dass ein Bushaltehäuschen rausretuschiert wird.
Oláh: Das hängt stark davon ab, wer der Auftraggeber ist. Es kann sein, dass die Kuratoren glücklich sind, weil sie den künstlerischen Wert des Bildes sehen, und die Marketingabteilung ist entsetzt, weil im Bild ein Traktor herumsteht, der die Perfektion stört.
Hurnaus: Ein Bildmotiv ist immer eine Art Bühne, auf der alles Mögliche stattfinden kann.
Hejduk: Und alle warten immer darauf, dass Hühner, Schafe und Katzen ins Bild laufen!
Hurnaus: Und dass endlich die Sonne kommt. Oder dass sie endlich wieder weggeht.
[ „Vom Nutzen der Architekturfotografie“, Hrsg. v. Angelika Fitz und Gabriele Lenz, € 49,95 / 288 Seiten, 250 Farbabbildungen, Birkhäuser-Verlag, Basel, 2015 ]
verknüpfte Publikationen
- Vom Nutzen der Architekturfotografie
Werk im Bild
Friedrich Achleitners Architektenporträts aus sechs Jahrzehnten und ein Standardwerk zur Architekturfotografie: zwei Buchempfehlungen.
Man solle keinen Architekten entwerfen. Die ersten Striche würden schon an der Entwurfsmethode scheitern, sodie Conclusio Friedrich Achleitners am Ende des Porträts von Boris Podrecca, das zugleich eine brillante Reflexion über die Schwierigkeit ist, mit Sprache einen Menschen einem anderen zu vermitteln. „Wie entwirft man einen Architekten?“ ist auch die Textsammlung betitelt, die die Herausgeberinnen Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek kürzlich vorstellten. Aus rund 500 von Achleitner aus verschiedenen Anlässen verfassten Ausstellungsrezensionen, Eröffnungsreden, Laudationes, Katalogbeiträgen oder Nachrufen wählten sie 86 „Porträts von Aalto bis Zumthor“, viele davon bislang nie gedruckt veröffentlicht, mittlerweile vergriffen oder schwer zugänglich. Wie der Untertitel ankündigt, sind die zwischen 1963 und 2011 entstandenen Beiträge alphabetisch gereiht. Es finden sich alte Unbekannte, Überraschungskandidaten, Männer und Frauen, Alte und Junge – wobei aus heutiger Sicht manch alter Herr zum Zeitpunkt der Achleitner'schen Befassung mit ihm ein Jungspund war.
Es ist eigentlich kein Architekturbuch, eher eine Abfolge von Prosaminiaturen – von scheinbar leichter Hand souverän hingeworfenen verbalen Bildnissen. In Wirklichkeit ging dieser Leichtigkeit der Texte mit großer Sicherheit nicht nur eine eingehende Befassung mit den jeweils Porträtierten voran, sondern auch qualvolles und sorgfältiges Abwägen des Gesagten und Geschriebenen. Denn selbst bei intimer Kenntnis der Porträtierten sind Achleitners Texte nie distanzlos, nie anbiedernd, nie unterwürfig, nie selbstgefällig.
Die Auswahl haben sich die Herausgeberinnen nicht leicht gemacht. Sie sollten einerseits durch die Spanne ihrer Entstehungszeit Achleitners Entwicklung und die damit verbundenen Interessen und Beziehungen abbilden, quasi so etwas wie eine indirekte Biografie von Friedrich Achleitner sein, erklärt Eva Guttmann. Etliche stammen aus Friedrich Achleitners frühen Jahren als Architekturkritiker für die „Presse“. Man könnte vorschnell hinterfragen, wen heute noch Texte über Antonio Gaudí oder Eileen Gray interessieren, deren Werke längst Eingang in den Bildungskanon gefunden haben. Wenn aber Achleitner im Jahr 1970 feststellt, dass die Architektin, deren Tisch E 1027 seit Jahrzehnten in jedem populären Einrichtungsmagazin zu sehen ist, „bis vor Kurzem in Wiener Architektenkreisen nicht einmal ein Geheimtipp“ gewesen sei, werden auch Texte über heute Berühmte zu wichtigen Dokumenten der jeweils zeitgenössischen Architekturrezeption. Besonders erfreulich ist es, Würdigungen von auch heute noch nur in Fachkreisen bekannten Persönlichkeiten zu finden, wie jene zum 70. Geburtstag des Bau- und Siedlungsforschers Adalbert Klaar (1900– 1981), dessen Bauaufnahmen und Baualterpläne österreichischer Dörfer und Städtenicht nur Architekturgeschichte dokumentieren, sondern auch eine wichtige Grundlage für die denkmalpflegerische Praxis sind.
Unglaublich inspirierend und erkenntnisfördernd ist diese Zusammenstellung, deren Aufmachung (Buchgestaltung: Peter Duniecki) ebenso unprätentiös und griffig ist wieAchleitners Architektenentwürfe. Ein großartiges Lesebuch und ein wertvoller Beitrag zur österreichischen Architekturgeschichtsschreibung!
In die Architekturgeschichte geht nur ein, was beschrieben, dokumentiert und – seit dem 19. Jahrhundert – fotografiert wurde. Während das Geschriebene Gefahr läuft,nicht gelesen zu werden, kann man sich dem Bild schwer entziehen. Die Vermittlung von Architektur über Bilder ist nicht dasselbe wie das Erleben des Originals oder eine gut reflektierte Architekturkritik. Aber wie sehr architektonische Handschriften undikonische Gebäude in unseren Köpfen präsent sind, hängt in erster Linie mit deren fotografischer Dokumentation zusammen. Um den „professionellen Umgang mit dem Medium Architekturbild zu verbessern“ und zur „allgemeinen Sensibilisierung für den kulturellen und ideellen Wert der Architekturfotografie“ beizutragen, haben sich vor zwölf Jahren österreichische Architekturfotografinnen und -fotografen zur IG Architekturfotografie zusammengeschlossen. Schon allein dieses gemeinsame Auftreten hat viel dazu beigetragen, Bewusstsein für den Wert ihrer Arbeit zu schaffen. Mit einem Buch, herausgegeben von der Kulturtheoretikerin Angelika Fitz und der Buchgestalterin Gabriele Lenz, hat die Szene nun ein Statement gesetzt, das weit mehr als eine Leistungsschau mit schönen Architekturbildern ist. „Vom Nutzen der Architekturfotografie“ lautet sein Titel, und diesen Nutzen bildet das Buch in vielfacher Hinsicht ab.
Dabei geht es aber nicht allein darum, wie die Architekturfotografie der Architektur in einem dokumentarischen und propagandistischen Sinne dienlich ist, was sie zweifelsohne ist. Mit der medialen Verbreitung steigt nicht nur der Wert des Gebäudes, sondern auch der Ruf derer, die es geplant haben. In den meisten Fällen ist Architekturfotografie Auftragsarbeit. Architekten brauchen die Bilder für ihre Portfolios, sie dienen der Akquise, und ohne eine Serie guter Fotografien ist die Publikation eines Bauwerks in Fachmagazinen heute undenkbar. Dennoch sind die Fotografen nicht bloße Erfüllungsgehilfen. Ihr Blick ist auch ein interpretierender und kritisierender. Oft erzählen die Hintausansicht eines Gebäudes oder ein Detail mehr über sein Wesen als die Cover-taugliche Totale der Fassadenfront. Das Bild einer Seilbahnstation aus Perspektive des Skitouristen, der sich in der Gondel der Bergstation nähert, zeigt zwar den praktischen Nutzen der Bergstation für den Skibetrieb. Jenes Bild, bei dem bloß ein Stück Gebäudehülle hinter einer schroffen Felsformation hervorblitzt, inspiriert aber viel mehr zu Reflexionen über die Konditionen des Bauens in hochalpinen Gefilden.
Welche Rolle spielen Nutzungsspuren, Menschen und Tiere, wie werden Bilder inszeniert, wie kann der richtig gewählteStandpunkt des Fotografen architektonische Intentionen unterstreichen, was kann er über den städtebaulichen Kontext erzählen? Welche Rolle spielt der Fotograf als Komplize oder Kritiker? Jedem professionell in der Architektur Tätigen, sei es planend und bauend,sei es publizistisch, bietet das Buch mannigfaltige Erkenntnisse. Das gelingt schon durch die Choreografie der ausgewählten Fotos auf der Bildebene. Ein Standardwerk zur Architekturfotografie wollten die Protagonistinnen vorlegen – das ist ihnen gelungen. Den Schau-und Lesegenuss erhöht, dass sie nicht auf einer technoid-didaktischen Ebene blieben, sondern ein hochgradig sinnliches Werk zustande brachten.
verknüpfte Publikationen
- Vom Nutzen der Architekturfotografie
- Wie entwirft man einen Architekten?