Akteur

Álvaro Siza Vieira
Porto (P)

Architektur des Elementaren

Das Gesamtwerk des portugiesischen Baukünstlers Alvaro Siza in Buchform

2. März 2001
Ein Jahr vor dem Abschluss an der Universität Porto, 1954, begann Alvaro Siza da Vieira zu bauen. In drei Jahren realisierte er vier Häuser in seiner Geburtsstadt Matosinhos, die mit Porto längst zu einer Agglomeration mit über zwei Millionen Einwohnern verwachsen ist. Bis heute hat der 1933 geborene Siza in Porto sein Büro, und dort realisierte er die meisten Häuser, obwohl er auch in Deutschland (Berlin, Weil am Rhein), den Niederlanden (Den Haag, Amsterdam, Maastricht) oder in Spanien (Alicante, Almería, Barcelona, Santiago de Compostela) baute. Werke von Siza stehen zudem in Italien, Brasilien und Argentinien. Planungen bestehen für Frankreich, die USA und Macao.

Ein voluminöser Band mit rund 1000 Photographien und Plänen lässt nun ein in 45 Jahren entstandenes Œuvre am Leser vorbeiziehen. Siza, mit den bedeutendsten internationalen Preisen geehrt, gilt als eine der grossen Persönlichkeiten der Gegenwartsarchitektur. Dieser Meister hat nahezu allen Gattungen der Baukunst eine Form, eine Farbe und eine Materialität gegeben. Er errichtete soziale Wohnbauten und Einfamilienhäuser, Verwaltungsbauten und Banken, Häuser für Lehre und Forschung, Sakralbauten, Industriearchitekturen und Museen sowie Infrastrukturen für Sport, Freizeit und Verkehr. Einen der schönsten Gärten unserer Zeit plante er in Santiago, wo er zuvor schon ein Museum für Gegenwartskunst (1988-93) realisiert hatte. Wahrscheinlich ist in dieser Pilgerstadt das baumeisterliche Credo Sizas am eindrücklichsten erlebbar: das sensible Erfassen des Ortes in seiner historischen Dimension und die verständnisvolle Konfrontation einer gebauten Situation mit dem Form- und Materialwillen der Gegenwart. Francesco Dal Co spricht in seinem Vorwort von Sizas «aufrichtiger Bescheidenheit» und benennt dessen bauliche Denkhaltung mit der Paraphrase eines Zitates von Julio Cortázar, dass «ein Bauwerk nicht vom Thema her hässlich ist, weil es in der Architektur keine schönen oder hässlichen Themen gibt; es gibt nur die gute oder schlechte Behandlung des Themas».

Kenneth Frampton, der als Autor des Bandes verantwortlich zeichnet, stellt Siza und seinen Lehrer Fernando Távora in den Kontext der modernen Architektur und verweist auf die Vorbildfunktion von Frank Lloyd Wright und besonders von Luis Barragán und Alvar Aalto. Aber er irrt mit der Behauptung, Siza habe erstmals 1968 bei einem Bürohaus in Porto (Avenida Alfonso Henriques) ein organoides Formenvokabular verwandt. Sizas erste Hauptwerke, das Restaurant und Teehaus Boa Nova (1958-63) und sein Schwimmbad Leça da Palmeira (1962/63), die beide nördlich von Matosinhos direkt an der Atlantikküste liegen, sind so «organisch» in die dramatische Landschaft gelegt, dass mit ihnen bereits der 30-jährige Siza jedem formalistischen Baugedanken eine Absage erteilt. Die Virtuosität, die der Architekt im Viereck Aufgabe, Ort, Geschichte und Natur anstrebt und erreicht, durchzieht sein ganzes Werk.

Seit Alvaro Siza 1980 mit der Wohnanlage am Schlesischen Tor in Berlin erstmals einen baulichen Komplex ausserhalb Portugals beginnen konnte, stieg die Produktion und Reputation des iberischen Büros rasant. Rund zwei Drittel der Bauten und Entwürfe im sorgfältig gemachten Werkkatalog sind in den letzten 20 Jahren entstanden. Alle Hauptwerke sind aufwendig illustriert. Die weitgehend chronologische Reihung umfasst die frühen Bauten in Matosinhos und Porto, die Wohn- und Verwaltungsarchitekturen im Portugal der sechziger und siebziger Jahre; die frühen Wohnkomplexe in Berlin und Den Haag; das Lehrerseminar in Setúbal (1986-94); die Universitätsbibliothek in Aveiro (1988-95); das Museum in Santiago de Compostela; die Architekturfakultät (1986-96) und das Museum der Fondation Serralves (1991-99) in Porto; die Kirche Santa Maria in Marco de Canavezes (1990- 96), das Rektorat der Universität von Alicante (1995-98) und die Vitra-Fabrik in Weil am Rhein (1991-94). Mit diesem Industriebau, der im trinationalen Stadtraum von Basel liegt, hat der portugiesische Architekt zwar nicht nationalgeographisch, aber urbanistisch-morphologisch auch in der Schweiz gebaut.


[Kenneth Frampton: Alvaro Siza. Das Gesamtwerk. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2000. 617 S., Fr. 220.50.]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Kontakt

Rua do Aleixo 53, 2º
4150 Porto
Portugal

Tel +351 226 167270



Álvaro Siza Vieira © filmcasino